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zappenduster · 6 years
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Shoah / שׁוֹאָה Hebräisch für: Abgrund, Vernichtung, Dunkelheit, Unheil, Heimsuchung.
»Ich habe eine dunkle Seite in mir, die mich unerklärlicherweise das Unheil suchen lässt. (…) Diese dunkle Seite ließ mich vermutlich direkt nach dem Krieg in Deutschland Philosophie studieren, und vermutlich drehte ich auch deswegen “Shoah”.« — Claude Lanzmann
Claude Lanzmann, der einzige Liebhaber mit dem Simone de Beauvoir jemals eine Wohnung teilte und der ihren allbekannten Spleen erfolgreich ablehnte, selbst die Männer ihres Herzens zu siezen, verstarb letzte Woche im Alter von 92 Jahren. Damit bin ich thematisch also etwas spät dran, war jedoch allgemein nie der große Fan von virtuellen Nachruf-Onelinern. Dies hier wird demnach auch keiner, sondern stellt eine große Empfehlung dar, sich mit dem Werk von Claude Lanzmann (noch einmal) auseinanderzusetzen.
In seinem neuneinhalb Stunden langen Film “Shoah” von 1985, an dem er zwölf Jahre lang arbeitete, lässt er die Toten sprechen, indem er die Überlebenden mit nahezu psychoanalytischer Präzision über jedes Detail des Tötungsprozesses der europäischen Juden und Jüdinnen befragt. Es ist demnach kein Film über die Menschen die in ihm zu sehen und zu hören sind. Es ist ein Film über die Toten und über den Tod. Er zeigt die Schwelle von dem, was längst vorbei und längst zu spät ist.
In “Shoah” gibt es keine Musik, keinen Kommentar, keine Bilder von Massengräbern, Gaskammern oder von ausgemergelten Leibern. Im Mittelpunkt steht die Gegenwärtigkeit des Erinnerns. Die jüdischen Protagonisten berichten nicht von ihrer eigenen Geschichte, nicht wie sie überlebt haben oder wie ihnen bspw. die Flucht aus Treblinka, Auschwitz oder Sobibor geglückt ist. Die jüdischen Protagonisten sind die Sprecher der Toten, sind Zeugen des letzten Moments im Vernichtungsprozess, einst zugeteilt von den Deutschen in sogenannte “Sonderkommandos” zur Beseitigung der Spuren des Todes: auf den Rampen, in den Gaskammern, in den Krematorien, beim Ausheben von Massengräbern. Sie sagen immer “wir”, sie sagen niemals “ich”.
Zu den Interviews gibt es wunderschöne Landschaftsbilder. Sie zeigen die Tatorte im gegenwärtigen Verblendungszusammenhang; vermeintliche Idylle, scheinbar unberührte Natur, trügerisch friedliche Dörfer. Chelmno, Belzec, Sobibor, Treblinka, Auschwitz. Die stumme Untröstlichkeit der Orte, über die nun das Gras gewachsen ist. Doch genau dort fand Jahre zuvor das Unaussprechliche statt, für das im Off versucht wird, eine Sprache zu finden. Eine Sprache, die nicht auf jede x-beliebige Weise entschlüsselt werden kann, sondern erlernt werden muss. Denn nicht nur das Erlebte drängt mit aller Kraft ins Vergessen, sondern auch die Fähigkeit des Hinsehens, des Hinhörens, des Mitgefühls, der Trauer und der Melancholie. “Shoah” spricht eine Sprache, die mittlerweile auf eine Generation trifft, welche lieber lernen möchte, sich über esoterische, spiritualistische und konsumerable Narrative einzuholen, wie es im Nichts, im Jenseits des Selbst aussieht. Die sich immer tiefer ins Innere flüchtet und nur dort glaubt die Erkenntnis darüber zu finden, was sie ausmacht, statt raus zu wollen, aus dem was sie ausmacht, um wirklich empathisch sein zu können und wirklich hinzusehen. Was sich demnach durch die Wahrheit der Sprache im Film offenlegen lässt, bleibt daher vielen Menschen heute womöglich vollständig verwehrt, tritt vermutlich und fälschlicherweise nur als pflichtbewusste, gar staatsoffizielle Erinnerungsarbeit oder emotionales Mutprobenspektakel auf. “Shoah” jedoch, ist Trauerarbeit; unzerstörbar, dunkel, opak.
Übrigens: Die sehr wichtigen Filme “Pourquoi Israël” (Warum Israel) und “Tsahal” (Tsava Haganah Leisrael = Armee zur Verteidigung Israels) wurden für das antizionistische Bedürfnis des TV-Senders “Arte” leider nicht ausgestrahlt, sind aber unbedingt zu empfehlen. In einem passenden Interview mit Claude Lanzmann über “Tsahal” heißt es: »Die Nationen der Welt sind heute schnell bei der Hand, Israel zu verurteilen, und vergessen dabei das Überlebensproblem, das sich diesem Land unentwegt stellt. Sie nehmen die militärische Macht Israels als gegeben hin und sind nicht einmal erstaunt darüber. Dieses mangeln­de Erstaunen halte ich für eine große Gefahr. Mein Film soll dieses Erstaunen wieder wecken und die Realität in einem neuen Blickwinkel darstellen.«
“Shoah” ist noch bis zum 04. September 2018 in der Mediathek zu sehen:
Teil 1: https://www.arte.tv/de/videos/017079-001-A/shoah-1-2/ Teil 2: https://www.arte.tv/de/videos/017079-002-A/shoah-2-2/
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zappenduster · 6 years
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»Die Opfer sind aus ihrem Versteck hervorgekommen, und die Kliniken sind voll mit Erwachsenen, die wegen sexuellen Mißbrauchs behandelt werden wollen. Die Entwicklung, die innerhalb der letzten zehn Jahre stattgefunden hat, ist wirklich erfreulich.« — Charlotte Krause Prozan "Therapie zur Aufdeckung von Erinnerungen", nennt sich eine psychotherapeutische, politisch stark aufgeladene Behandlungsform, um die in den 90er Jahren ein erbitterter Streit entbrannt ist. Eine Therapie, die mit einem psychoanalytisch unkritischen und vor allem völlig wahllosen Begriff der "Verdrängung" operiert, und damit vorgibt, jahrelang vollständig verdrängte, bzw. bis dato nicht-existente Erinnerungen an einen Mißbrauch in der Kindheit wieder an die Oberfläche zu holen, um damit die Ursache diverser Krankheitssymptome zu erklären. Im Folgenden schildert der Bericht den Fall von Christine und ihrer Familie. Christines Geschichte ist besonders tragisch, weil nur einen Monat, nachdem sie zu der Überzeugung gekommen war, sie könne sich daran erinnern, daß ihr der Vater sexuelle Gewalt angetan habe, bei ihr eine Myelofibrose diagnostiziert wurde. Das ist eine unheilbare Krankheit, bei der sich das Knochenmark allmählich in narbiges Gewebe verwandelt. Es spricht für die Überzeugungskraft dieses Glaubenssystems [das der Therapie zur Aufdeckung von Erinnerungen], daß ihre neu gewonnenen Erinnerungen und nicht ihre tödliche Krankheit im Zentrum ihrer Therapie standen und die letzten Jahre ihres Lebens beherrschten. Christine, die 26 Jahre alt war, als sie die Therapie begann, hatte ihr ganzes Leben lang gewußt, daß sie nicht aus einer perfekten Familie kam. Ihr Vater Jack war Alkoholiker und schlug im Rausch häufig wütend auf ihre Mutter ein. Bereits als Christine acht Jahre alt war, hatte er durch heftiges Trinken die Fähigkeit eingebüßt, zumindest im nüchternen Zustand vernünftig zu sein, und er konnte sich nur noch selten erinnern, was er nach dem dritten Glas gesagt oder getan hatte. Als Christine elf Jahre alt war, nahm ihre Mutter Hellen allen Mut zusammen und ließ sich von Jack scheiden, um ihre Töchter aus diesem destruktiven Umfeld herauszunehmen. Mit ihrem Gehalt als technische Zeichnerin war es für Helen schwer, einen Haushalt mit zwei Töchtern finanziell zu tragen. Nachdem sie während der Rezession in den siebziger Jahren entlassen worden war, bekam die Familie für eine gewisse Zeit Sozialhilfe, bis sich die Mutter mit dem Verkauf von Lebensmittelzusätzen und Haushaltswaren in ihrer Wohnung selbstständig machen konnte. Es gab aber auch damals schöne Zeiten. Wenn sie mit der Mutter, die in einiger Entfernung lebte, später telefonierte, erinnerte sich Christine manchmal an die Ausflüge, die ihre Mutter, ihre Schwester und sie unternahmen, als ihr Vater für zwei Wochen auf einer Reservistenübung war. Christine war während der Grundschulzeit eine hervorragende Schülerin und, obwohl ihre Noten an der High School etwas schlechter wurden, beliebt bei ihren Mitschülern. Über lange Zeit hinweg hatte sie einen Freund, den ihre Mutter sehr schätzte. Obwohl Christine sich deutlich an die schlimmen Trinkgelage ihres Vaters erinnern konnte, brauchte sie in der Therapie ein Jahr, bis sich bei ihr und ihrer Therapeutin der Verdacht herauskristallisierte, daß ihre Probleme möglicherweise auf sexuellen Mißbrauch zurückgingen. Sie aß wenig und hatte selbst in letzter Zeit zuviel getrunken. Außerdem hatte sie anscheinend nur schemenhafte Erinnerungen an einige Abschnitte ihrer Kindheit. All diese Symptome, das wußte ihre Therapeutin aus den Büchern über die Therapie zur Aufdeckung von Erinnerungen, traten häufig bei Erwachsenen auf, die Erinnerungen an Belästigungen während der Kindheit verdrängt hatten. Die Tatsache, daß ihr Vater Alkoholiker war, machte die Aufgabe, den mutmaßlichen Täter zu identifizieren, leicht. Zusätzlich zu ihrer Therapie nahm Christine an einer Gruppe mit "überlebenden Opfern" sexuellen Kindesmißbrauchs teil. Sie kaufte eine Reihe von Büchern zu diesem Thema, auch "The Courage to Heal", das ihr besonders hilfreich erschien. Hier erfuhr sie, daß Alkoholismus in der Familie und andere »dysfunktionale Verhaltensmuster oft mit sexuellem Mißbrauch einhergehen« und daß die Opfer häufig zum Alkohol als einem Mittel greifen, um mit ihren Erinnerungen an die Belästigung nichts mehr zu tun zu haben. In der Therapie und in Selbsthilfegruppen lernte sie, wie man die wiedererlangten Erinnerungen »noch einmal durchlebt«. Die Sitzungen, in denen sie diese Szenen erneut durchmachte, waren von quälenden Schmerzen begleitet. Ihr Körper reagierte häufig so, als wäre sie tatsächlich psychischer Gewalt ausgesetzt. Über eine dieser Sitzungen mit ihrer Therapeutin schrieb sie: »Heute hatte ich eine körperliche Rückblende - was bedeutet, daß ich körperlich erneut erlebte, wie mein Vater seine Hände auf meine Brüste legte; ich mußte würgen und hatte das Gefühl zu ersticken, weil ich spürte, wie sein Penis wieder in meinem Mund war.« Als sie erfahren hatte, daß sie bald sterben würde, schrieb sie danach im ersten Brief an ihre Mutter nichts über ihre Krankheit, sondern nur über ihre neugewonnenen Überzeugungen. »Es gibt da einige Dinge, die ich Dir sagen muß; ich hatte Angst, sie Dir am Telefon zu sagen, weil ich sie als quälend empfinde. Es ist mir jetzt klar, daß große Zeitabschnitte wie aus meinem Gedächtnis gelöscht sind. Dies war für mich eine große Überraschung… Ich habe angefangen, Erinnerungen an Dinge zu haben, die vor langer Zeit geschehen sind, Dinge, von denen ich nicht einmal wußte, daß ich sie vergessen hatte. Diese Erinnerungen trafen mich mit ihrer ganzen Wucht, und ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß sie stimmen… Ich erinnere mich daran, abends allein mit meinem Vater vor dem Fernsehapparat gesessen zu haben. Ich erinnere mich an vieles, was er mir an diesen Abenden angetan hat, jedoch nicht an alles. Ich erinnere mich deutlich daran, daß er mich wiederholt belästigt hat. Ich bin heute davon überzeugt, daß er mich vergewaltigt hat… Ich weiß nicht, ob das mit dem Inzest monatelang oder jahrelang so weiterging, aber ich weiß, daß sich der emotionale Schaden über jetzt fast zwanzig Jahre hinweg ausgewirkt hat; und es wird noch einige weitere Jahre dauern, bis ich geheilt bin.« Als sie den Brief gelesen hatte, brach Helen zusammen und beschloß, ein Gewehr zu kaufen, ihren Ex-Mann ausfindig zu machen und ihn zu töten. Die eigene Tochter zu vergewaltigen, war das abscheulichste Verbrechen, das sie sich vorstellen konnte. Der Impuls, ihren Ex-Mann zu töten, verschwand jedoch nach einigen Tagen. Sie erkannte, daß sie damit weder das, was geschehen war, rückgängig machen noch ihrer Tochter helfen konnte. Sie beschloß, daß es am besten wäre, ihre Tochter auf jede nur erdenkliche Art zu unterstützen. Als sie den Brief noch einmal las, bemerkte sie, daß sich ein Teil von Christines Wut gegen sie richtete. Christine hatte festgestellt, daß der sexuelle Mißbrauch etwa zu der Zeit stattgefunden hatte, als ihre Mutter bei der örtlichen Unitarier-Kirche eine Teenager-Gruppe gegründet hatte. Weil Christine damals erst zehn Jahre alt war, nahm ihre Mutter nur ihr ältere Schwester Janice zu den wöchentlichen Treffen mit. Christine schrieb: »Ich bin heute davon überzeugt, daß dies [die Gründung der Teenager-Gruppe] ein Versuch von Dir war, Janice vor meinem Vater zu schützen.« Weil Christine ihre Mutter im Brief ausdrücklich geschrieben hatte, daß sie das Thema nicht am Telefon besprechen wollte, schickte Helen ihr eine Reihe von Briefen, in denen sie sich für den Mißbrauch an Christine entschuldigte. Sie schrieb, sie hätte keine Ahnung von dem Mißbrauch gehabt und daß sie, hätte sie davon gewußt, Christine und Janice gewiß sofort aus dem Haus gebracht hätte. Eine Woche danach erst erfuhr Helen von Janice, man habe bei Christine die Diagnose Myelofibrose gestellt und sie habe möglicherweise nur noch drei Monate zu leben. Nachdem sie in der Bibliothek gewesen war und alles, was sie bekommen konnte, über die Krankheit gelesen hatte, beschloß sie, mit ihrer Tochter zu telefonieren. Christine reagierte abweisend, und das Gespräch dauerte nur wenige Minuten. In den Wochen nach der Myelofibrose-Diagnose nahmen Christines Vorstellungen bezüglich der Häufigkeit und Schwere des Mißbrauchs zu. Je mehr Erinnerungen hochkamen, desto stärker waren sie und ihre Therapeutin der Auffassung, daß ihre Mutter dem Mißbrauch - entweder stillschweigend oder direkt - zugestimmt haben mußte. In einer der aufgedeckten Erinnerungen sah sie, wie ihr Vater sie am Handgelenk von der Veranda herabhängen ließ. Ihre Mutter stand am Hauseingang und sah zu, weigerte sich jedoch einzuschreiten. Wegen der Symptome, die sie und ihre Therapeutin im nachhinein herausfanden - dazu gehörten wenig Essen, Bettnässen und gute Noten in der Grundschule -, kamen sie zu der Auffassung, ihre Mutter müsse sich der Tatsache bewußt gewesen sein, daß irgend etwas nicht stimmte. Mit Unterstützung der Therapeutin und ihrer therapeutischen Gruppe hörte sie schließlich mit dem "Verleugnen" auf und akzeptierte, daß ihre Mutter am Mißbrauch beteiligt war. Als sie noch einmal "The Courage to Heal" las, erfuhr sie, daß es bei einem Mißbrauch für Täter unangemessen sei, auch nur den Versuch zu unternehmen, die Beziehung zur Mißbrauchten in irgendeiner Form zu steuern. Nur dem Mißbrauchsopfer sollte es erlaubt sein, zu entscheiden, »ob, wann und wie oft es in eine Interaktion treten will«. Die Täter sollten keinesfalls die Wut des überlebenden Opfers »herunterspielen oder kritisieren«. Nachdem Christine und ihre Therapeutin über den Anruf ihrer Mutter gesprochen hatten - den sie beide als plump aufdringlich und manipulativ ansahen -, kamen sie zu dem Schluß, es handle sich bei den Aufmunterungen ihrer Mutter um genau die Art von Herunterspielen, vor der in "The Courage to Heal" gewarnt wurde. Die Mutter hatte gemeint, sie solle sich jeden Tag, der ihr noch bliebe, um Glück und Frieden bemühen. Christine schrieb ihrer Mutter einen langen wütenden Brief. »Nach diesem Mißbrauch steht jetzt ein jahrelanger Heilungsprozeß an«, schrieb sie. »Ich habe das Gefühl, daß Du, wenn Du sagst 'lebe im Heute', meine Erlebnisse - meine Wirklichkeit - völlig abtust. In mir kommt eine solche Wut auf, daß ich unseren Kontakt streng begrenzen muß. Ich möchte nicht, daß Du mich anrufst; ich werde einen Brief von Dir entgegennehmen - aber einzig und allein, wenn Du sagen kannst: 'Christine, ich habe deine Gefühle heruntergespielt, und es tut mir leid' oder 'Christine, deine Kindheit war eine einzige Hölle, und ich habe nicht geholfen' oder 'Christine, ich erkenne, daß du ein Anrecht darauf hast, dich, wenn du möchtest, für den Rest deines Lebens darüber zu ärgern'. Ich glaube, es würde mir helfen, zu hören, wie Du eingestehst: 'Ja, Christine, ich sah, wie du mißbraucht wurdest, und ich habe dir nicht geholfen.' Wenn Du mir das nicht sagen kannst, nimm bitte auch keinen brieflichen Kontakt zu mir auf.« Helen wußte nicht, was sie tun sollte. Sie hatte weder mit angesehen, wie Christine von der Veranda herunterbaumelte, noch hatte sie je einen Verdacht, daß es zu sexuellem Mißbrauch gekommen war. Sie hätte nie eine ihrer Töchter schutzlos zu Hause zurückgelassen. Ginge sie auf die Forderungen ihrer Tochter ein, wäre das für sie eine Lüge; andererseits wollte sie auf keinen Fall den Kontakt zu ihrer Tochter verlieren. Zum erstenmal stellt sie die Qualifikation von Christines Therapeutin in Frage. Konnte es für eine Frau, die bald sterben würde, von Nutzen sein, sich in der Therapie so intensiv auf Mißbrauchserinnerungen zu konzentrieren? Helen las ein Buch über Todkranke, das ihr dabei half, den Vorgang des Sterbens zu verstehen; sie schickte es Janice in der Hoffnung, sie würde es an Christine weitergeben. Als das Ende der Dreimonatsfrist näherrückte, machte Helen Christines Arzt ausfindig; er sagte ihr, daß Christines Krankheit langsamer verlief, als sie erwartet hatten. Zu ihrer Erleichterung erfuhr Helen, Christine würde vielleicht noch mehrere Jahre leben können. Eine Woche später traf aus Denver der Brief einer Anwaltssozietät ein. »Unsere Kanzlei vertritt Ihre leibliche Tochter Christine Philips«, begann das Schreiben. »Wir haben in Erfahrung gebracht, daß Sie betrügerisch und ungesetzlich gehandelt und damit gegen das in Bundes- und Landesgesetzen verankerte Recht auf Privatsphäre verstoßen haben, indem Sie kürzlich mit bestimmten Medizinern in Kontakt getreten sind. Mit diesem Brief setzen wir Sie davon in Kenntnis, daß wir sofort alle erforderlichen Schritte einleiten werden, wenn Sie durch künftige Handlungen erneut die Rechte unserer Klientin verletzen.« In dieser Zeit konzentrierte sich Christine in der Therapie weiterhin auf ihre Kindheit. Sie versuchte, mit ihrem Vater Kontakt aufzunehmen, um ihm gegenüberzutreten; sie erfuhr jedoch, daß er in einem Pflegeheim dahinvegetierte, weil sein Gehirn infolge des Alkoholkonsums und nach mehreren Schlaganfällen in jüngster Zeit erheblich geschädigt war. Mit einigen wenigen, unzusammenhängenden Sätzen stritt er ab, jemals etwas Falsches getan zu haben. Die Wut, die Christine nun dank ihrer Erfahrungen in der Therapie zum Ausdruck bringen konnte, richtete sich allmählich immer stärker gegen ihre Mutter. Sie und ihre Therapeutin konzentrierten sich nun weniger auf die spezifischen Erinnerungen an den sexuellen Mißbrauch, den ihre Mutter stillschweigend gebilligt hatte, sondern mehr auf die subtileren Formen des Mißbrauchs, von denen, wie sie meinte, ihre Kindheit durchdrungen war. Die Rückblenden auf den sexuellen Mißbrauch durch den Vater wurden ihr zum Symbol für ihre Erziehung. Der Mißbrauch, so stellte sie fest, hatte während ihrer gesamten Kindheit stattgefunden. Viele der Dinge aus ihrer Kindheit, an die sie sich erinnerte, definierte Christine mit Hilfe ihrer Therapeutin um. So hatte beispielsweise Janice Flöte und Gitarre gespielt, Christine war jedoch von ihrer Mutter nicht ermuntert worden, ein Musikinstrument zu erlernen. Die scherzhafte Ermahnung ihrer Mutter "Sei glücklich, das ist ein Befehl" erschien ihr im Rückblick böswillig - vielleicht war es ein Versuch, Christines Emotionen zu steuern. Die Tatsache, daß sie in der weiterführenden Schule Bier getrunken hatte, deutete auf einen frühen Alkoholmißbrauch hin. Daß die Mutter nicht bemerkt hatte, daß sie trank, war ihrer Meinung nach eine Form von Vernachlässigung. Als ihre Krankheit schlimmer und ihre Vorstellung von der Kindheit düsterer wurde, fand sie innerhalb der Gemeinschaft der anderen Mißbrauchsopfer Unterstützung. Sie begann, bei den Gruppen von Denver Vorträge zu halten; in kirchlichen Gruppen, bei Kursen zur Frauenforschung und auf lokalen Zusammenkünften berichtete sie, wie es ist, ein Mißbrauchsopfer zu sein und dazu eine unheilbare Krankheit zu haben. Schließlich kam sie zu der Überzeugung, daß der Mißbrauch - dessen wesentlichen Einfluß auf ihre Leben sie nun erkannt hatte - der wahre Grund für ihre Erkrankung sei. Als ihre Milz anschwoll und entfernt werden mußte, besuchten viele der Frauen aus ihrer Therapiegruppe sie im Krankenhaus. Seit dem Brief der Anwaltskanzlei wurde Helen von Janice über den Gesundheitszustand ihrer Tochter informiert; sie bat ihre ältere Tochter, Christine liebe Grüße und gute Wünsche zur Genesung zu übermitteln. An einem Sonntagmorgen einige Monate später erhielt Helen einen Anruf von Christines Therapeutin; sie sagte ihr, daß Christine ihr eventuell einen Besuch erlauben würde, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt seien. Vor einem Treffen, erklärte die Therapeutin, müsse Helen "The Courage to Heal" gelesen haben. Dann müsse sie noch selbst in Therapie gehen. Helen war begeistert von der Möglichkeit, mit Christine zusammentreffen zu können, und betonte, sie habe keine Ahnung gehabt, daß Christines Vater sie sexuell mißbraucht hätte. Die Therapeutin beschimpfte sie dann noch über eine Stunde lang wegen der Art und Weise, wie sie ihre Tochter aufgezogen habe. Die Anzeichen, daß etwas mit ihrer Tochter nicht in Ordnung sei, sagte sie zu Helen, wären deutlich erkennbar gewesen, und nur eine sehr nachlässige Mutter könne sie übersehen haben. Außerdem stellten die Telefonanrufe bei den Ärzten und das Buch über das Sterben, das sie Christine über Janice geschickt hatte, unverfrorene Versuche dar, Christine zu manipulieren. Wenn sie mit ihrer Tochter zusammentreffen wolle, dann müßten ihre Handlungen sehr genau beobachtet werden. Am Ende des Telefongesprächs war Helen in Tränen aufgelöst. Am selben Tag kaufte sie "The Courage to Heal" - ein dickes, großformatiges Buch von fast fünfhundert Seiten - und las es sofort von der ersten bis zur letzten Seite. Dem Abschnitt mit der Überschrift "Herkunftsfamilien" widmete sie besondere Aufmerksamkeit, ebenso dem folgenden Kapitel, das Ratschläge für die Partner und näheren Angehörigen der Opfer enthielt. Sie las die Zeilen: »Kam es innerhalb der Familie zum Mißbrauch oder finden Sie in der Familie im allgemeinen nur wenig Unterstützung und verhält sie sich Ihnen gegenüber eher kritisch beziehungsweise neutral, kann es sehr schwierig werden, die Beziehungen weiter aufrechtzuerhalten. Manchmal wird seitens der Familie den Opfern wirklich geholfen und ihnen Verständnis entgegengebracht; doch das ist eher selten. Aus ihrem eigenen veränderten Blickwinkel schauen die meisten Mißbrauchsopfer auf Familien, die immer noch eingekapselt in Gewohnheiten leben, die es schon gab, als sie noch Kinder waren. Und wenn sie sich vom System der Familie lösen, sehen sie sich damit konfrontiert, daß es hier möglicherweise keinen Platz mehr für sie gibt.« Helen bestärkte ihren Vorsatz, Christine unbedingt wissen zu lassen, daß es in ihrer Familie immer Platz für sie gab. Einige Seiten später las sie, daß die nächsten Angehörigen »der Überlebenden immer glauben« sollten. »Auch wenn sie manchmal selbst zweifelt, wenn ihre Erinnerungen vage sind, und wenn sich das, was sie erzählt, übertrieben anhört, glauben Sie ihr.« Helen erfuhr auch, daß sie die Wut- und Schmerzgefühle ihrer Tochter "bestätigen" solle. »Hier handelt es sich um gesunde Reaktionen. Sie muß sie empfinden, sie ausdrücken und angehört werden.« Helen fand vor Ort eine Therapeutin, und nach den ersten Sitzungen bat sie sie, die Therapeutin ihrer Tochter anzurufen, um herauszufinden, ob man ein Treffen arangieren könne. Als Helen zu ihrer fünften Sitzung kam, wirkte die Therapeutin mürrisch. Sie hatte Christines Therapeutin angerufen und erfahren, daß es eine ganze Reihe von Punkten gab, die bei Helen zunächst angesprochen werden müßten, ehe sie ihre Tochter sehen könne. Ihre Therapeutin legte Helen dann den Gedanken nahe, daß sie selbst vielleicht verdrängte Erinnerungen an einen Mißbrauch habe, den sie als Kind erlitten habe: »Doch als erstes müssen wir herausfinden, warum sie einen Kinderschänder geheiratet haben.« Nach der Sitzung ärgerte sich Helen über die Beschuldigung und beschloß, nicht weiter in diese Therapie zu gehen. Sie schrieb einen Brief an Christines Therapeutin und log darin, sie habe die Therapie beendet, weil sie zu teuer sei; sie wolle ihr aber versichern, daß sie eine andere Art der Beratung finden würde und daß sie weiterhin sehr stark daran interessiert sei, ihre Tochter zu sehen. Daraufhin erhielt sie von Christines Therapeutin einen Antwortbrief, in dem die sie scharf zurechtwies, weil sie ihre Therapie abgebrochen hatte: »Meiner Meinung nach habe ich deutlich klargemacht, daß Sie emotional dazu in der Lage sein müssen, aktiv zuhören zu können, wenn Christine ihre Wut ausdrückt.« Weil Helen unbedingt ihre Tochter noch einmal sehen wollte, schrieb sie schließlich Monate später einen Brief, in dem sie sich, so gut sie es konnte, bereit zeigte, auf die neuentwickelten Überzeugungen ihrer Tochter hinsichtlich der grauenhaften Verhältnisse in ihrer Kindheit einzugehen. Sie beschloß, ihre Elternrolle zu verteidigen sei weniger wichtig, als Christine ihre Unterstützung anzubieten. »Du weißt gar nicht, wie sehr ich mir wünsche, Dich zu sehen, damit ich mich bei Dir entschuldigen kann - mich zutiefst bei Dir für so viele Dinge entschuldigen kann, die meine von Herzen geliebte Christine verletzt haben. Die Tatsache, daß ich all dies unabsichtlich gemacht habe, ist nebensächlich - es hat Dich, Christine, verletzt, und es tut mir wirklich leid… Kein Tag vergeht, an dem ich nicht häufig an Dich denke, mich nicht danach sehne, daß Du glücklich und gesund bist, und ich mich nicht frage, wie es Dir geht. Würde ich zuviel von Dir verlangen, wenn ich Dich bitte, mich kommen zu lassen, damit ich Dich ganz kurz sehen kann? Wie sehr ich mir doch wünsche, daß ich Deine Stimme hören kann!« Durch Vermittlung von Christines Therapeutin wurde Helens Wunsch entsprochen. Sie würde sich in Anwesenheit der Therapeutin mit Christine treffen müssen. Helen stimmte sofort zu. Am Tag des Treffens in Denver kam Helen eine halbe Stunde zu früh zum Haus der Therapeutin und wartete im Wagen. Das Haus war groß und schön; sie mußte einen Knopf drücken, um durch ein Eingangstor mit dem Wagen durchgelassen zu werden. Nicht die Therapeutin ihrer Tochter, sondern eine Kollegin kam heraus und führte Helen in ein holzgetäfeltes Arbeitszimmer. Als Helen sah, wie ausgelaugt Christine war, konnte sie ihre Tränen nur mit Mühe zurückhalten: Christine hatte tiefe Ringe unter den Augen, und ihr Körper war schlaff. Sie sackte in sich zusammen und über einen an der Schulter angelegten Tropf wurde ihr Morphium zugeführt. Als Helen eine Bewegung machte, um ihre Tochter zu umarmen, hielt sie die Therapeutin, die sie ins Zimmer geführt hatte, am Arm fest und bat sie sich auf die Couch im gegenüberliegenden Teil des Arbeitszimmers, weit weg von Christine, zu setzen. Christines Therapeutin saß neben ihrer Tochter und hielt deren Hand. Helen sagte ihr, wie schön es sei, sie zu sehen, und wie nahe sie ihr täglich in ihren Gedanken und in ihrem Herzen gewesen sei. Doch Christine reagierte nicht. Christine und ihre Therapeutin wußten, daß das Treffen nicht als fröhliches Beisammensein geplant war, sondern eher als "Konfrontation", wie man in der Bewegung [die der sektenähnlich operierenden Therapeuten und Patientinnen] sagt; die beiden hatten zahlreiche der vorangehenden Therapiesitzungen damit verbracht, sich auf diesen Tag vorzubereiten. Christine hat eine lange Liste von Mißbrauchsereignissen zusammengestellt; dazu gehörten auch sexuelle Gewaltakte, von denen sie meinte, daß ihre Mutter sie zugelassen habe. Nachdem die Therapeutin Christine etwas ins Ohr geflüstert hatte, sagte sie zu Helen, daß Christine eine Erklärung abgeben wolle, die sie für dieses Zusammentreffen vorbereitet hätte. Christine nahm die linierten Blätter, die sie auf dem Schoß liegen hatte, in die Hand und begann vorzulesen: »Mutter, ich habe im Moment Probleme damit, mir selbst und anderen zu vertrauen, meine Gefühle auszudrücken und aus mir herauskommen zu lassen. Statt dessen würge ich sie in mich hinein. Es ist schwierig für mich, zu erkennen, wer ich bin.« Ihre Stimme war schwach, und sie mußte zwischen jedem der Sätze zweimal Luft holen. Sie fuhr fort: »Als ich dich sagen hörte: 'Meine beiden Töchter sind begabt und klug', hörte ich dich sagen, ich sei als Einzelperson für dich bedeutungslos, und ich besäße für mich genommen keine bemerkenswerten Eigenschaften. Immer sagtest du: 'Wenn es meinen Kindern weh tut, tut es auch mir weh' oder 'Weine nicht, sonst weine ich auch.' Und ich dachte dann, meine Gefühle täten dir weh, und ich sei böse. Wenn ich etwas nicht machen wollte, worum du mich gerade gebeten hattest, und du sagtest 'Warum mußt du mich so reizen?', hörte ich heraus, daß dich mein Bedürfnis nach Unabhängigkeit verletzte. Wenn ich abends zu spät nach Hause kam und du sagtest 'Warum haßt du mich so sehr?', hörte ich aus deinen Worten heraus, daß ich einzig und allein vorhätte, dir wehzutun. Als du sagtest: 'Es macht mir nichts aus, dir Anziehsachen zu kaufen, solange du sie nur anziehst', hörte ich aus deinen Worten heraus, daß Geld, das für mich ausgegeben wurde, verschwendetes Geld sei. Als du sagtest, du liebtest alle deine Kinder gleich, aber Janice an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen ließt, während ich noch nicht einmal an einem Schnellkurs für Models teilnehmen durfte, hast du mir damit die Botschaft vermittelt, ich sei dir nichts wert…« Helen fiel es schwer, sich auf das zu konzentrieren, was ihre Tochter sagte. Sie wußte, daß sie nie gedacht hatte, ihre Tochter bedeute ihr nichts oder sei ihr nichts wert; und sie hatte ganz bestimmt nicht beabsichtigt, ihr diese Botschaft zu vermitteln. Wie kam es, daß es eine so große Diskrepanz zwischen ihren eigenen Erinnerungen an Christines Erziehung und der Überzeugung gab, die sich bei Christine selbst herausgebildet hatte? Als sie die Beschuldigung hörte, sie habe ihre ältere Tochter bevorzugt, unterbrach sie Christine, um dieses einfache Mißverständnis zu klären. Sie hatte Christine nicht erlaubt, in Model-Kurse zu gehen, weil die zu teuer waren und sie das zu einem Zeitpunkt wollte, als sie kaum das Nötigste verdiente, um ihre Töchter zu ernähren. Beim Schönheitswettbewerb, an dem Janice kurze Zeit vorher teilgenommen hatte, lagen die Dinge anders - es war umsonst, und die Kleidung der Teilnehmerinnen war vom örtlichen Kaufhaus gestiftet worden. Doch Christines Therapeutin unterbrach Helen: »Sie dürfen jetzt nur zuhören«, sagte sie unnachgiebig. »Sie dürfen sich jetzt nur Christines Wut anhören.« Man gab Helen einen Stift und einen Notizblock, damit sie ihre Antworten aufschreiben konnte. Sie versuchte ein paar Minuten lang, ihre Gedanken in Worte zu fassen, war jedoch wegen der Verbitterung ihrer Tochter so verwirrt, daß sie ihre Schreibversuche bald aufgab. Christine las weiter vor: »Mich zu zwingen, mit am Tisch zu sitzen und genau das zu essen, was ich deinem Willen nach essen sollte, betrachte ich als Mißhandlung. Und daß du nicht versucht hast, etwas zu ändern und herauszufinden, warum ich keinen Appetit hatte, war eine Vernachlässigung meiner Person. Du hast mir die Botschaft übermittelt, ich sei es nicht wert, daß du mir deine Zeit und Beachtung schenkst, als du sagtest, ich sollte Gesangsstunden nehmen; aber ich war es dir nicht wert, denn du hast nichts in dieser Richtung unternommen. Als du sagtest 'Lügen sind etwas, was ich nicht dulden kann - ich mache das ja auch nicht mit dir', hörte ich heraus, daß du dir wünschtest, ich lebte nicht in unserer Familie, und daß du glücklicher wärst, wenn ich tot bin. Jedesmal, wenn du sagtest 'Ich versuche so gut zu dir zu sein, doch du bist nie zufrieden', hörte ich heraus, daß ich dir gegenüber nicht dankbar genug bin. Jedesmal, wenn du sagtest 'Warum mußt du immer recht haben?', hörte ich heraus, daß ich nie recht hatte und daß ich es nicht verdiene, Selbstachtung zu haben. Jedesmal, wenn du sagtest 'Ich weiß, daß du es besser machen kannst', hörte ich heraus, daß das, was ich tat, nicht gut war…« Um die ganze Liste der Anschuldigungen zu verlesen, brauchte Christine fast eine Stunde. Sie schloß mit: »Jetzt habe ich mich dafür entschieden, diese Dinge als das zu sehen, was sie wirklich sind: ein eklatanter Kindesmißbrauch, der gar nichts damit zu tun hatte, wer ich bin oder wer ich damals war. Ich nutze meine Wut darüber, um neue Stärke zu gewinnen (…) ich weise diese Botschaften an mich als die Lügen zurück, die sie immer schon gewesen sind. Den Haß und die Scham, von denen ich all diese Jahre dachte, sie gehörte zu mir, gebe ich an dich, die rechtmäßige Besitzerin zurück. Ich glaube, daß das narbige Gewebe in meinem Knochenmark einfach Ausdruck meiner Überzeugung ist, ich sei im Kern verfault, und Ausdruck meines Wunsches, es dir dadurch recht zu machen, daß ich zu existieren aufhöre.« Dann folgte ein langes Schweigen. Eine der Therapeutinnen sagte zu Helen, sie könne jetzt auf Christines Anschuldigungen antworten. Helen fragte sich, was sie ihrer Tochter sagen könne und wo sie beginnen könne, alles wieder ins Lot zu bringen. Vielleicht wäre es ein Ansatzpunkt, wenn sie ihr erzählen könne, wie glücklich sie als Kind gewesen zu sein schien. Sie versuchte, sich an Liebesbeweise zu erinnern, die am besten zeigen würden, wie sehr sie Christine immer gemocht hatte. Helen sah ihre Tochter an, sah, wie sie die Zettel auf ihrem Schoß faltete, so als ob sie das viel Kraft kostete. Helen wußte, dieser Besuch war das letzte Mal, daß sie Christine je sehen würde. Helen erkannte, daß die Wahrheit nicht mehr von Belang war und daß die Zeit nicht ausreichen würde, alles ins rechte Lot zu rücken. »Es tut mir leid, Christine«, war alles, was ihr einfiel; deshalb wiederholte sie es wieder und wieder. »Es tut mir leid, Liebling. Es tut mir alles so leid…« Gegen Ende des Treffens händigte ihr Christines Therapeutin eine Kopie der Liste mit den Anschuldigungen aus. Einige Monate später starb Christine und hinterließ die Anordnung, daß ihre Familie erst eine Woche nach ihrer Beerdigung von ihrem Tod benachrichtigt werden sollte. Helen kann nicht verstehen, was mit ihrer Tochter während der Therapie geschehen ist; sie sitzt noch immer rätselnd über den Briefen und über der Liste, die ihre Tochter zusammengestellt hat. Angesichts der Art und Weise, wie Christine ihre Kindheit neu deutete, fragt sich Helen mittlerweile, ob die Beschuldigung des sexuellen Mißbrauchs gegen ihren früheren Mann nicht genauso falsch ist wie die Beschuldigung, sie habe es zugelassen, daß der Mißbrauch stattfand. Am traurigsten ist Helen darüber, daß sie nicht in der Lage war, ihre Tochter in der Zeit der Krankheit zu stützen und zu trösten. Die Wahrheit über das, was über Christines Kindheit durchdrang, wird nie mit absoluter Sicherheit ans Tageslicht kommen.
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»(...) Also tat ich etwas, was ich in den letzten Jahren absichtlich vermieden hatte, (...) nämlich in ein Museum zu gehen oder jedenfalls in eine Ausstellung oder so (...), man kann nicht als Künstler aufhören und damit abschließen und ein für alle Mal das ganze Kunstding aufgeben und dann lustig in die Hamburger Kunsthalle oder das Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte gehen und sich da ansehen, wie andere Typen vor und während und nach einem frisch, fromm, fröhlich, frei damit weitergemacht hatten, so ging das nicht, ich hatte Angst vor was weiß ich was, dass ich da neidisch wurde vielleicht, nein, nicht neidisch, auch nicht einfach nur traurig, schlimmer als das, es war auch nicht bloß das Wiedererkennen der ganzen Niederlage, es war mehr als das, (...) ich hatte Angst davor, rückfällig zu werden (...) und dann ging ich da durch und bremste mich dabei regelrecht aus, zwang mich gewaltsam, das Tempo rauszunehmen und die Bilder zu betrachten, und ich betrachtete und betrachtete und siehe, da ging nichts, das sagte mir alles gar nichts, das war erleichternd und enttäuschend zugleich, (...) und ich wollte es nicht glauben, war ich denn wirklich schon so sehr abgestumpft? (...) War ich wirklich so ein flacher Hausmeisterstiesel geworden, dass ich an diesen ganzen Bildern (...) vorbeigehen und völlig abgestumpft und leer an nichts anderes als ans Zeittotschlagen und wo man einen Kaffee herbekam denken konnte? Sicher, es war Ölmalerei, nicht gerade mein Ding, sie hatten auch ein paar Skulpturen dazugestellt, aber die waren wirklich doof, das sah man gleich, da musste ich mir nichts vorwerfen, das war höchstens Kunsthandwerk, (...) aber dass auch alles andere, aber auch wirklich alles andere auch so egal war, das irritierte mich dann doch, das war hier doch das Kunstding, es konnte doch unmöglich sein, dass ich das wirklich alles, alles schlecht fand!« — Karl Schmitt Ein die Grenzen des Verstehbaren sprengender Wunsch innerhalb unserer gegenwärtigen Kultur, wäre einer, der nicht kreativ sein will. Ein Wunsch, welcher kreative Potenziale ins Leere laufen lässt und sich der Erschaffung von Neuem entzieht. Im Gegensatz zum kreativen Unvermögen, welches beinahe schon als Krankheit gehandelt, und als zu überwindende Schwäche problematisiert wird, erscheint der Unwille zum kreativ sein als blanke Absurdität, denn Kreativität ist seit den 70er Jahren zu einer allgegenwärtigen und sich schnell verbreitenden ökonomischen Anforderung geworden. Vor allem die Ideen und Praktiken ehemaliger Gegen- und Subkulturen sind in die Hegemonie umgeschlagen. Das kreative und (vermeintlich) kritisch-subversive künstlerische Potential sämtlicher Nischen- und Gegenbewegungen der 60er und 70er Jahre, einst als hoffnungslos randständig wahrgenommen, ist, im Sinne einer neoliberalen Anpassung und Umformung des Kapitalismus und seinem kulturellen Überbau, nicht minder subversiv in die dominanten Segmente innerhalb diesem eingesickert und damit nicht dasselbe geblieben. Die sogenannte "Künstlerkritik" des 19. Jahrhunderts, die ungefähr mit dem Geist der 68er-Generation zu ihrem Ende kam, formulierte eine dezidiert antikapitalistische Kritik an der Entfremdung und stand ganz im Namen der Emanzipation, Kooperation und Authentizität; dies alles ist in unsere Gegenwartskultur, in das projektorientierte Arbeiten und in die Organisationen mit ihren flachen, nahezu antiautoritären Hierarchien bereits eingebaut. Das Nebeneinander von Kreativität als Anforderung und Kreativität als (romantisierter) Wunsch, weist allerdings noch weit über das Feld der Arbeit und des Konsums hinaus, denn es hat sich ebenso in die Struktur des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sowie in das gesellschaftliche Selbst umfassend eingefügt. Die ehemals gegenkulturelle Hoffnung, die Selbstgestaltung des Individuums in neuen institutionellen Formen, und Elemente ästhetischer Utopien in gesellschaftliche Praxis umzusetzen und etablieren zu können, scheint heute gegen alle Widerstände Realität geworden zu sein. Ein genauer Blick jedoch lässt jede Faszination darüber in ein Unbehagen umschlagen: Die Implementierung dieser emanzipatorischen Hoffnungen ist in einen Kreativitätsimperativ gekippt und hat ständig neuartige Zwänge eines Aktivismus permanenter ästhetischer Innovationen mit sich gebracht und eine zwanghafte Zerstreuung der subjektiven Aufmerksamkeit im unendlichen, niemals befriedigenden Zyklus der kreativen Akte; ein Ensemble aus Traditionen und Prozeduren, an denen die KünstlerInnen selbst, so wie auch die RezipientInnen, die KritikerInnen und auch die Märkte und die Medien teilnehmen. Marx machte auf die kapitalistische Vergesellschaftung und die Rationalisierung der Kunst und ihre Systematik aufmerksam, Adorno und Horkheimer auf die ideologische Einbettung und Marktangleichung der Kultur in alle Lebensbereiche, Benjamin wies auf die Abhängigkeit der Kunst von der Entwicklung der Technologie hin und Bourdieu zeigte, wie sich Klassenbewusstsein in Bezug auf den kulturellen Geschmack als Geschmackskapital und Distinktionswettbewerb herausbildet. Kunst wurde seither von Prozessen ästhetischer Grenzüberschreitung begleitet, die ganz ohne staatliche oder andere äußere Verordnungen aus der Kunst selbst ausgehend, in alle anderen Bereiche einsickerten und dies somit gleichzeitig die vollständige Entautonomisierung der Kunst bedeutete; in dem Moment, in dem sie radikal modern sein will, arbeitet sie systematisch an ihrer Selbstentgrenzung. Die an der Originalität orientierten Tätigkeiten des Künstlers verschieben sich dadurch von den Kunstwerken letztendlich auf den Künstler als Individuum und umfassen auch die privaten Bereiche der Freizeitgestaltung, des Kleidungsstils und sogar der intimen Beziehungen. Gleichzeitig werden somit auch die Kunstwerke selbst mit diesen alltäglichen Aktivitäten gleichgestellt, die ästhetischen Praktiken werden an die Erschaffung des Neuen gekoppelt und mit einem Ethos der Produktion verknüpft, der auf RezipientInnen angewiesen ist. Das Ideal des kreativen Subjekts, des Künstlertypus, ist genau an dieser Stelle entstanden. Der Künstlertypus (und die Kunstkritik), der mit der Bohèmekultur nach 1800 aufkommt, bezieht das schöpferisch Neue nicht mehr nur auf Kunstwerke, sondern formiert dies zu einem allgemeinen Lebensstil, welcher sich als eine solche Entgrenzungskraft verstehen lässt. Dies galt schon in den ästhetischen Utopien und kulturrevolutionären Bewegungen der Romantik, wobei die Figur des Künstlers zum gesellschaftlichen Vorbild wurde. Die Bohème stellt ein Milieu von (meist) Twentysomethings dar, die in die Großstädte von New York, London oder Berlin geflohen sind, um Künstler zu werden. Sie umfasst neben der künstlerischen Tätigkeit den Mikrokosmos einer teils ökonomisch prekären, teils opulenten Alltagskultur mit hedonistischer Ausrichtung. Einen zeitgenössischen Auftrieb bekam diese Grundstimmung durch die politischen "Romantizismen" der Selbstverwirklichung, durch die politischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts, die die legitime künstlerische Praxis weit über die exklusiven Strukturen der bürgerlichen Kunst und ihres Geniekults ausdehnten, und durch die infantile Rebellion gegen jegliche Autorität nach 1968, die nicht nur wirkliche Individualität und Gleichheit hervorbrachte, sondern in ihrer Dialektik systematisch Narzissmus beförderte und prosperieren ließ, sowie durch den Impuls für eine Entstehung einer sozialen Praxis, die an ästhetischen Erlebnissen, Wahrnehmungen und Selbstgestaltungen ausgerichtet ist. Dieser narzisstisch-hedonistische Tenor affirmiert alles, was auf den ersten Blick dem Ich zugehörig scheint, insbesondere jedes Gefühl und jede Laune, obwohl gerade das Ich auch die Möglichkeit besitzt, solche Allüren zu überwinden. Gleichwohl wird nichts geduldet, was nicht mit dem Ich zu tun hat. Was also nicht dauerhafte und vollkommende Affirmation und Identifizierung erlaubt, muss aus dem Ich ausgeschlossen und danach zerstört werden. Vor allem die Sexualität und die intimen Beziehungen eignen sich jedoch grundsätzlich nicht für eine vollständige Einverleibung in das Ich, denn dort gibt es immer Ichfremdes, nur schwer Bejahbares wie bspw. Triebe, Begehren, Wünsche oder auch das Fehlen von Wünschen. Dieser Narzissmus, der in seiner historischen Entwicklung ein künstlerischer, ein kultureller Narzissmus ist, ist demnach auch ein zutiefst sexualfeindlicher. Eine Kultur, die in ihren Traditionen und Mythen nicht nur das gnadenlos ichversessene Über-Ich verehrt, sondern - bspw. in Gestalt kindlicher Götter wie der des unverantwortlich mit seinen Liebespfeilen schießenden kleinen Knaben Eros - auch weniger ichkonforme Instanzen anerkennt, erscheint solchen Dingen gegenüber weitaus besser vorbereitet. Sie wäre in der Lage, gelegentlich auch Ansprüche an das Ich heranzulassen und zu respektieren, die diesem notwendigerweise als weniger vernünftig und moralisch als es selbst erscheinen müssen. Doch vor allem nach 1968 empfindet man auch die zivilisierte, urbane Trennung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum als eine Zumutung und weiht Letzteren in einen Raum, der sich nicht länger Sachlichkeit und Argumentation zu eigen machen solle, sondern mit Empfindungen auf die eigene Identität verweist. Denn wenn man nicht bei sich selbst ist, so meint dieser Narzissmus, kann man ausschließlich nur die saftige Beute im Maul eines anderen sein. Dass es auch Wirkungsfelder gibt, die nicht nach einem "Entweder/Oder" strukturiert sind, sondern nach etwas Drittem, Allgemeinen für den zivilisierten Austausch und die Entwicklung dieser Individuen Geeignetes, kann und will dieser Narzissmus nicht wahrhaben. Er kennt nur Gut und Böse und keine Zwischenbereiche, und empört sich über alles, was nicht unmittelbar ichkonform ist, wie bspw. sachliche Argumente, erotisches Begehren, freche Reden, offene Diskussionen, abwägendes Denken, schonungsloses Formulieren und Dissens. In der spätmodernen Ökonomie, erfährt dieser Sozialcharakter samt des kulturell narzisstischen Ichs, eine immense und explosionsartige Ausbreitung durch die Erschaffung ästhetischer Objekte des Neuen, in denen die Vorraussetzung für die Formierung kreativer Subjekte zum Ideal der ästhetischen Selbstgestaltung bereits angelegt ist. Die Massenmedien und die Psychologie spielen hierbei zwei äußerst entscheidende Rollen. Während die Psychologie der Kreativität etwa seit den 70er Jahren als wissenschaftliche Subjektivierungsinstanz nahelegt, dass der Mensch, der in Richtung eines kreativen Selbst strebt, nicht die Ausnahme, sondern die natürliche Regel der Subjektkonstitution, also die des Künstlertypus sei, und gleichzeitig Methoden zur inneren Konditionierung kreativer Kompetenzen entwickelt, so treiben (vor allem die audiovisuellen) Massenmedien mit ihrem privatisierten Starsystem die äußere Institutionalisierung voran, indem kulturelle Attraktivität in immer extremeren Darstellungen transportiert wird und eine ganze Fülle an möglichen Identitäten dargeboten werden, welche sich dank technologischen Fortschritts für jeden auch immer leichter annehmen lassen. Das expressive Individuum, nicht das dispziplinierte, wird damit zum popkulturellen Modell. Unterstützend findet in den urbanen Räumen eine Kulturalisierung und Ästhetisierung von urbaner Atmosphäre statt und bietet damit auch eine Orientierung am Material als dauerhafte Form im gebauten Raum, welcher ebenfalls gleichzeitig in einer Weise angelegt ist, ständig den Wunsch nach dem kreativen Neuen in urbaner Erfahrung zu reproduzieren. Der Wunsch nicht kreativ sein zu wollen, heißt Widerstand. *Abbildung eines sehr dummen "Kunstwerkes" der sogenannten "Creative Industries" von Jorge Mendez Blake.
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zappenduster · 6 years
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»I can't say I've ever hated anything more than this. (…) This is the perfect soundtrack for late capitalism. The ultimate normie experience. Everything about this is horrible.« — Dino Spiluttini »This is like totally regular boring music. "Café Del Mar" on piano. (…) I had to pull some lines of coke and pour them down with two pots of coffee just to stay awake.« — Philipp Bückle Hat Óli (Teil des EDM-Duos "Kiasmos") zu seinen Anfangszeiten als Schlagzeuger der metallischen Hardcore-Band "Fighting Shit" und mit dem ersten Album "Eulogy For Evolution" seines selbstbetitelten Solo-Projekts "Ólafur Arnalds" zwar sehr gefälligen, aber durchaus akzeptablen Output für die Generation-Unentschlossen geliefert und sich nebenbei auch als angenehmer Zeitgenosse gezeigt, kann man nun die gespenstischen Auswirkungen der Pop-Kultur, die glaubt Avantgarde zu sein, an nur einem Video ausmachen: https://youtu.be/acSdnfyIVaE In Zeiten der zum Trend gewordenen und vermarkteten Verzweiflung, Ordnung ins postmoderne Chaos bringen zu wollen, mittels Esoterik, Technikkritik, Öko-Trends, Nachhaltigkeit, Gesundheit und neuer Körperlichkeit, Yoga, alternative Bildungsmodelle (Unbedingte Schule, Montessori, Waldorf etc.), Rückzug in Religion und auf's Land, und die Absage an alles Künstliche und Unauthentische, wird ganz besonders die "Improvisation" als Spontaneität und Freiheit verkauft, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Diese, und auch die "freie Improvisation", dienen im kulturellen Wirrwar der Köpfe des Großteils aller KünstlerInnen längst nicht mutmaßlich als eine Form von Ekstase und Anti-Kunst, welche sich der absoluten Musik diametral entgegenstellt, sondern ist vielmehr einer groben Unzurechnungsfähigkeit im Umgang mit Kultur geschuldet, sowie der Nötigung etwas möglichst kreatives, spaßiges und trotzdem unbestreitbares zu Geld und zur eigenen Identifikation machen zu müssen. Gab es in den 60er und 70er Jahren noch in diversen Spielarten des Free Jazz ("Schlippenbach Trio", "Brötzmann Quartett" oder "Anatoly Vapirov"), des Noise/Musique Concrète (die "Metal Machine Music" LP von "Lou Reed", das "Sozialistische Patienten Kollektiv", "Maurizio Bianchi", "Merzbow" oder Tipp: "Interstellar Nightmare") oder auch des sogenannten Emotive Hardcore der 80er und 90er (Gruppen wie "Don Martin Three", "Navio Forge", "Honeywell" oder "Julia") seriöse An- und Ausflüge der freien Improvisation in einen Zustand höchster Ergriffenheit, der sich nicht freiwillig als Enthuisiasmus, sondern unfreiwillig als Besessenheit zeigte und damit das Terrain der absoluten Musik verlassen wurde, so diente diese Freisetzung von Trieben und die Entladung von Frustrationen auch gleichzeitig immer schon der Selbstmanipulation für den bloßen Eindruck einer vermeintlichen Freiheit. Die Sprache der Musik regredierte zu einer infantilen Sprache. Wo sie sich auf die impulsiven und wahllosen Überreste von Elementen stützte, fand eine Unterwerfung unter primitive Ausdrucksformen statt. Die Improvisation jedoch in einen kulturideologischen Diskurs einzubetten, in dem sie mit Primitivität und Infantilität gleichgesetzt wird, tut den Kindern unrecht. Die ideologische Paarung von Infantilität und Primitivität geht auf die Kulturtheorie Freuds zurück, in der die »Beziehung zwischen dem Kulturprozess der Menschheit und dem Entwicklungs- oder Erziehungsprozess des einzelnen Menschen ins Auge [gefasst wird]«, und »wir uns ohne viel Schwanken dafür entscheiden, dass die beiden sehr ähnlicher Natur sind, wenn nicht überhaupt derselbe Vorgang an andersartigen Objekten.« Zur Vergewisserung der eigenen Freiheit, müssen sich die Improvisateure ständig ihrer Angst vor dem unbewussten Reproduzieren von bereits bestehenden Mustern stellen. Anstelle von Stil, wird dabei häufig auch der Wert der "Authentizität", der "Intuition", der "Unverwechselbarkeit" usw. beschworen. Im Schutz dieses esoterischen Kunstanlasses, versuchen dann Konsorten wie "Nils Frahm" und der ganze andere, genauso klingende Kladderadatsch, ein musikalisches Rumpelstilzchen-Spiel zu treiben, damit ihre Improvisation zu musikalischer Anekdotik verkümmern, und zu prätentiösem Schabernack werden kann, ohne sich der kritischen Frage nach Methode, Anspruch und musikalischer Realität stellen zu müssen. Die Identifizierung von Improvisation und emotionaler Unmittelbarkeit ist besonders evident, wenn Improvisation als pädagogisches Instrument eingesetzt wird. Dabei suggeriert die Improvisation die Hoffnung, ein Ort unverfälschten Selbstausdrucks oder energetischer Elementargewalt sein zu können, die enthemmend auf den Kompositionsschüler, oder eben auf die dumpfbackigen RezipientInnen der Pop-Kultur einwirkt und einem scheinbar noblen Zweck zugeführt wird. Wenn dann so eine entsetzliche Scheiße dabei herauskommt, scheint das selbst dann niemand zu bemerken, wenn es live auf dem "Haldern-Pop" vor einem steht und grinst. Indieklassikretropop mit Gänsehautfeelingpur. Ein Werbeclip für die Werbung selbst. Eine Hymne für die "Leftovers", die man hier getrost mit "die Zurückgebliebenen" übersetzen kann; Skandinavienfans, Nichtshinterfrager, Schanzenviertelaufräumer, Alles-voll-schön-Finder, Sich-auch-für-Kunst-Interessierer, Auf-Bento-Liker. Aber was rege ich mich auf, wer Musik will hört sowieso "Rachel's".
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zappenduster · 6 years
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Die von allen Seiten sehr aufgeregte Debatte über #MeToo ist tatsächlich immer noch in vollem Gange. Zumindest erscheint sie weit weniger zu irgendwas gekommen zu sein, als dass die tatsächlich dadurch aufgedeckten Straftaten entsprechend geahndet wurden. Auch die KritikerInnen des Hashtags versagen häufig auf ganzer Linie, rennen sie doch mit dem plumpen "wie darf man denn jetzt noch flirten?" offene Türen ein, die zugegebenermaßen vielleicht doch mittlerweile nicht mehr ganz so offen stehen, wenn man die vorgeschlagenen und auch bereits durchgeführten Verbote und Änderungen der Rechtslagen betrachtet. Dabei ist eine Kritik an #MeToo doch generell nicht sonderlich schwer: Vergewaltigungen sind nicht dasselbe wie Respektlosigkeiten, fallen bei #MeToo dennoch unterschiedslos und ständig in Eins. Damit, dass Kommentare, Beleidigungen oder gar ungefragtes Anfassen in sexistischer Absicht degradierend, lästig, eben ekelhaft und deshalb zu bekämpfen ist, es aber immer noch nicht alles zum Selben werden lässt, nicht einmal zum Gleichen, müsste jedem an Analyse und Veränderung interessierten Menschen eigentlich sofort einleuchten, falls dieser das nicht nur als identitätspolitischen Diskurssport innerhalb der Kultursphäre vor sich her trickst. Stattdessen reagiert der größte Teil der sich im menscheln selbst dauerbestätigenden Dumpfbackendeutschen, der hierzulande eben diese neoliberale "Spielart" des Feminismus wohl spätestens seit #Aufschrei oder #Ausnahmslos vollständig zu sich in den Mainstream geholt hat - wer inkludiert hier eigentlich wen? -, überwiegend mit: Hysterie und den Affekten narzisstischer Kränkung (für die, die hier tiefere Einblicke wollen, empfehle ich für den Einstieg einmal mehr den Beitrag aus »Beißreflexe« von Caroline A. Sosat »Die betroffenheitsfeministische Dynamik. Zu Abwehrmechanismen in feministischen Gruppen« zu lesen). Die Psychoanalyse aber, ist die Mohammedkarikatur dieses brutal verdummten Mainstreamfeminismus. Wer es wagt Widersprüche auch wie solche zu behandeln und psychoanalytische, empirisch gut belegbare Tatsachen, wie bspw. die zugrunde liegenden Unterschiede und Herausbildungen von Weiblichkeit, nicht zu ignorieren bereit ist, wird in den autoritären Moralhygiene-Aktionen diverser Leute nicht selten schon als Teil des Problems denunziert, sodass sich in den Topf der 1000 wesentlich komplett verschiedenen, und dennoch auf einen einzigen Hashtag heruntergebrochenen Schandtaten die sich unter #MeToo finden lassen, hinter "Vergewaltiger", "Grabscher" und "U-Bahn-Starrer", gleich noch die "unsolidarische wie-kannst-du-es-nur-wagen-zu-denken Differenz" mit einreiht. Das ist traurig, denn dass Männer und Frauen in dieser Gesellschaft immer noch zu fundamentalen Missverständnissen in Sexualverhalten und Zwischenmenschlichkeit sozialisiert werden, bei dem Männer das Entscheiden und das Machen, und Frauen die hübsche Zustimmung zu reproduzieren haben, ist nicht nur Nebenwiderspruch, sondern der eigentliche Ansatz einer materialistisch-feministischen und notwendig psychoanalytischen Kritik auf die Klassenverhältnisse und den kulturellen Überbau im Kapitalismus. Zumindest, wenn man sich nicht nur mit Cliquenkabbeleien zufriedengeben will, die einem lediglich das gute Gefühl der Gruppenzugehörigkeit bieten, aber mitnichten etwas mit Kritik zu tun haben. Denn wie Kritik geht, dass bestimme immer noch ich: kleiner behinderter PoC-Migrantenjunge mit arabischen und jüdischen Vorfahren und gelegentlicher Neurodermitis. Ich dürfte für diese thematische Überleitung zu Privilegien und »Cultural Appropriation« deshalb sogar Lippenteller tragen! Aber liebe Kinder; was ist »Cultural Appropriation« eigentlich genau? Das sind Weiße die sich über "schwarzen Haarschmuck" bei anderen Weißen aufregen, während Schwarze u.a. in Taschad, Niger und Kamerun gegen »Boko Haram« ums nackte Überleben kämpfen. Moment! Will ich damit etwa sagen, die Leute hierzulande haben keine richtigen Probleme mehr? Will ich damit die psychischen und seelischen Belastungen von gesellschaftlichem Druck und Zwang der auf den Menschen lastet etwa runterspielen und relativieren? Ja, ich will! Ich würde gerne sagen "ja, ich will zumindest ein bisschen", aber ich entscheide mich doch lieber vollständig dafür, denn sonst tut es ja keiner. »Vielleicht ich bin manchmal bisschen Arschloch. Aber muss Welt auch Arschlocher haben. Wo soll sonst die ganze Scheiße raus?« — Dusan, der serbische Nachbar, gespielt von Christoph Waltz, in Downsizing von Alexander Payne (Dieser Film, der im Licht einer wichtigen, aber leider auch sehr kurzen Ideologiekritik steht, sei hiermit wärmstens empfohlen!) »Cultural Appropriation« ist also ein sehr weißes Hobby, denn wie jeder weiß, weiß Weiß es immer noch am besten. Dennoch ist längst nicht alles daran verkehrt, die Praxis der kulturellen Aneignung zu kritisieren, denn der Ansatz zielt vor allem darauf, aufzuzeigen, dass Weiße bestimmten Körperschmuck oder bestimmte Frisuren tragen können, für welche Nicht-Weiße sehr häufig diskriminiert werden und bspw. keinen Job, keine Wohnung etc. bekommen, oder andersrum ihnen grade dafür ein besonderer, positiv-rassistischer Exotenbonus inkl. sämtlicher Eigenarten zugeschrieben wird, und sich mit der Vorführung dieser, nicht selten monetäre- und/oder Distinktionsgewinne erwirtschaften lassen. Insbesondere wenn man an die unzählbaren, verachtenswerten Spektakel wie bspw. »Karneval der Kulturen« denkt, um nur ein Beispiel zu nennen. Diese beiden Formen der Kritik an »Cultural Appropriation« halte ich also insofern für berechtigt, da sie eine materialistische Basis haben und diverse ethnisch motivierte Ausrichtungen in der Gesellschaft im Umgang mit nicht-weißen Kulturen aufzeigen. All die Hippies also für ihre Wursthaare, Farbbeutelgesichter und Hennaschmierereien, sowie für ihren Fetisch einer folkloristischen Ästhetisierung zu kritisieren, ist richtig und notwendig, da eben genau dort ein mindestens latent-rassistischer Wunsch sichtbar wird. Gleichzeitig aber, werden damit eben diese sehr beliebigen und irrelevanten Oberflächlichkeiten okkupiert und von ihrem traditionellen, und meist eben in keinster Weise widerständigen oder gar emanzipatorischen Sinn befreit. Dass sich Kultur nicht undialektisch abbilden lässt, ist den KritikerInnen der »Cultural Appropriation« dann auch in keinster Weise klar. Von ganz besonders eindrucksvoll ekelhaftem Engagement ist dabei, dass der Widerspruch umgekehrt keine Rolle mehr zu spielen scheint, denn solange es nur um Schein- und nicht um tatsächliche politische Emanzipation geht, ist z.B. der Hijab für die VerfechterInnen der Kritik an kultureller Aneignung plötzlich gar nicht mehr mit symbolischer, kulturhistorischer Bedeutung wie die der Unterdrückung der Frau behaftet, sondern gilt lediglich als bloßes Modeaccessoire. Damit kriegt man es dann auch ohne Probleme zustande, dass Frauen im Iran, die sich gegen Verschleierung und sonstige Menschenunwürdigkeiten auflehnen und sich ihrer von allen Seiten ungefragt festgeschriebenen Kultur im Austausch gegen eine individuelle Freiheit entledigen wollen, fast vollständig ignoriert, und weder rückblickend in den 70ern, noch heute in entsprechenden feministischen Kämpfen großartig unterstützt werden. Nicht vom intersektionellen Meinungsfeminismus, und meist auch nicht von denen, die sich explizit politische AktivistInnen nennen. Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist sowieso Müll. Innerhalb der Kulturindustrie und vor ihrem Hintergrund, sind diese Formen des Distinktionsgeschwätzes - denn es Kritik nennen kann man nicht wollen - gegen die kulturelle Aneignung, bloßer Fetisch als verdinglichter Ausdruck von behaupteter Spontaneität. Schwach!
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zappenduster · 6 years
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Da mich immer wieder Leute fragen, wann meine nächste Ausstellung sein wird, ob ich ihre Band im "The Loch" buchen oder ihre Platte auf meinem Label veröffentlichen könnte, wann denn mein nächstes Solo-Album erscheint oder die nächste Tour stattfindet, die Antwort auf all das ist easypeasy: Ich steige aus so ziemlich allen Dingen aus, die etwas mit Kultur zu tun haben, denn Kultur schlägt alles mit Ähnlichkeit und macht, wenn man zu lange zu leidenschaftlich involviert ist, entweder todkrank oder saublöd. Da beobachtet man bspw. jahrelang Menschen, die man generell erstmal für klug, wichtig und sympathisch hält, dabei, wie sie scheinbar zum 25sten Mal ihren 16ten Geburtstag feiern, sich entweder mit dem peinlichen Trotz eines Teenagers oder mit dem hippiesken Omakitsch eines NDR-Talkshow Gasts kleiden, und immer noch so über Musik bloggen, als wäre das Kulturindustriekapitel nie verfasst worden und als hätte der selige Martin Büsser nie auch nur einen Artikel veröffentlicht. Die noch immer den Jazz oder ganz allgemein Musik, mit an Masturbation gleichendem Instrumentalistentum verwechseln und es lediglich darum geht, möglichst komplexe Strukturen zu konstruieren, die im Postmodernismus absichtlich nur so schwammig konkretisiert werden können, so dass es entweder durch harten Selbstbetrug oder nur durch das Eingestehen der eigenen Unfähigkeit etwas dergleichen jemals reproduzieren zu können, gefallen findet. Jede andere Rezeption würde allerdings auf das Unvermögen treffen, Ästhetik, Kunst und Musik überhaupt noch wahrheitsgemäß erfahren zu können. Nicht selten schreiben solche Leute im Jahre 2018 dann auch tatsächlich ein Buch über "die Geschichte des Punk" oder so, und gehen dann mit irgendeinem noch viel älteren Pillenliteraten zusammen auf Lesereise, auf der im Vorprogramm irgendeine Feministin auch Mal was freches aus ihrem Blog vorlesen darf, was all die Leute im Publikum zum Lachen bringt, welches in der Freizeit so gerne so familiär das Schanzenviertel aufräumt. Wo jemand von der Partei "Die Partei" oder halt irgendein anderer Comedian die Veranstaltung moderiert, bzw. - Entschuldigung! - den Abend begleitet, und jeder am Ende einen gaaaaaaaaanz schönen Asta-Abend haben kann, bei dem es Club-Mate und selbstvergewissernde Trump-Gags regnet und man mit einem Attest, dass Poetry-Slam und "Frida Gold" doch total kitschig seien und man die AfD nicht gewählt habe, aber ganz sicher hoch und heilig versprochen zur Wahl gegangen ist, irgendwann auch endlich wieder nach Hause darf, während aus der erbärmlich abgestimmten Anlage der das Trauerspiel hostenden Kaschemme womöglich die neue "Donots"-Platte hupt. Wer von Letzterem nicht reden will, soll auch von "Frei.Wild" schweigen. Ich plädiere deshalb dafür, eine meiner vielen Weltideen in die Tat umzusetzen: "Exit Popkultur", das Aussteigerprogramm für alle die aus dem Sumpf des immer barbarischer werdenden Popkultursektors aussteigen möchten, sich dem aber alleine nicht gewachsen sehen. Wir von "Exit Popkultur" arbeiten zusammen mit den Aussteigern an der Überwindung ihrer kulturellen Weltanschauung und der Aufarbeitung der Vergangenheit, einschließlich begangener Straf- und Schandtaten, wie bspw. die jahrelange Beteiligung an den Zeitschriften "Intro", "Spex" oder "Visions". Wir helfen bei der Entwicklung persönlicher Kompetenzen und Einsichten, indem wir verstärken, was voranbringt und helfen, nicht Gelungenes und Hinderliches zu erkennen und abzubauen. Wir zeigen Möglichkeiten und Grenzen auf und geben auch kritische Hinweise. Es wird gemeinsam an Strategien gearbeitet, um Probleme zu lösen und dazu Handlungsszenarien sichtbar zu machen, die auf die konkrete Situation zugeschnitten sind. Das schließt die Suche nach dem besten Weg mit ein. Wir arbeiten mit den Aussteigenden an der Neugestaltung der persönlichen, durch die popkulturelle Unterdrückung bisher sehr in Mitleidenschaft gezogenen zwischenmenschlichen und kulturellen Beziehungen und an der Neuorientierung im Alltag wie in Schule, Lehre, Beruf und Liebe, und daran, die Chance des Neubeginns konsequent zu ergreifen. Wir arbeiten ebenfalls sehr eng mit dem Mossad zusammen um etwaige Popkulturflüchtige, die nach diversen Zuwiderhandlungen Schutz im Ausland fanden, ausfindig zu machen. Nun, es könnte für mich persönlich vielleicht auch nur eine Pause werden, fühlt sich aber doch eher wie eine Scheidung an und ich bin auch kurz davor den ersten Synthesizer gegen eine PS4 einzutauschen. Außerdem kaufe ich mir einen Weißbauchigel und ich werde ihn baden.
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zappenduster · 7 years
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Diamond mine in town of Mirny, Sakha Republic, Russia. 525 metres deep with a diameter of 1,200m.
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zappenduster · 7 years
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»Deine Blindheit verletzt, ja sie tötet, doch wasch du nur deine Hände in Unschuld. Am besten Weihnachten in der Kirche. Einen Schein in die Dose, Brot für die Welt, und den Überfluß für dich. Arschgesicht!« — Loxiran Ich spende nicht für UNICEF, weil es eine Sekte ist und eine antisemitische noch dazu. Die MitarbeiterInnen, sehr häufig junge und hippe StudentInnen, arbeiten mit Überredungstaktiken, die Salafisten-Prediger vor Neid erblassen, und AnimateurInnen auf dem Ballermann wie eine Schlaftablette wirken lassen. Dass die Stände momentan nochmal um ein vielfaches aus dem Boden gestampft werden, an denen direkt vor Ort eine Vermessung der Arme und/oder Finger (sic!) vollzogen wird (erzielte bei meinen erbärmlichen Stock-Ärmchen nicht ganz das gewünschte Resultat, um das gute Gewissen dadurch zu vereinnahmen und es zahlen zu lassen), ist eine weitere Folge des postmodernen und ahistorischen Narrativerzählungshype, der von Zusammenhängen und Ursächlichkeiten nichts mehr wissen will, bzw. nur dann, wenn es grade in die entsprechende Ideologie passt. Dort, wo man sich keine Filme der The Weinstein Company mehr angucken soll, dafür aber unbedingt Filme über bspw. Malcolm X oder Jürgen Todenhöfer-Dokumentationen, wo man definitiv kein Frei.Wild hört, dafür aber Xavier Naidoo oder Roger Waters. Dort, wo in einer Universität (!) Kunst abgehängt wird, weil comichafte Genitalien abgebildet sind und sich einige Leute dadurch nicht inkludiert sehen oder anderweitig unwohl fühlen könnten (so geschehen vor gut einer Woche in Göttingen: http://tinyurl.com/ycy4xczo) und dort, wo man Linda Sarsours' Vernichtungsantisemitismus sofort verzeiht, verharmlost oder vollständig leugnet, weil sie einen hübschen Hijab zum Jihad trägt und den Women's-March (mit)organisierte. Dort, wo die Bild-Zeitung definitiv immer Gewalt und Sexismus fördert und "den Rechten in die Hände spielt", radikalislamistische oder esoterische Facebook-Seiten aber niemals für irgendetwas Schuld sein können; genau dort sitzt der antiintellektuelle Hass, der sich auch bei UNICEF oder Brot für die Welt finden lässt und der mitnichten etwas emanzipatorisches bedeutet, sondern als Wolf im Schafspelz, Produkt und Propaganda von Gegenaufklärung und Antihumanismus verkörpert. Deshalb spendet doch mal für eine gute Sache: Der Jüdische Nationalfonds (קרן קימת לישראל) in Jerusalem versteht sich als Teil der zionistischen Bewegung, die jüdischen Menschen das Leben in Palästina ermöglichen soll. Er fördert Umweltprojekte in Israel und ist landesweit tätig in der Forstwirtschaft.
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zappenduster · 7 years
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Das Museumspublikum, dem eine Arbeiterfamilie womöglich noch fremder ist als das Rotlicht-Milieu, erhält die Möglichkeit, sich ganz ohne eigene Gefahr einer Erfahrung auszusetzen, die primär artifiziell bleibt. Gegen die Intention der Künstler, mit ihren Fotos von Rockern, Strichern und Obdachlosen Klassengrenzen zu transzendieren, findet im Rahmen des Museums vielmehr eine Distanz schaffende Objektivierung des Fremden statt, die schlimmstenfalls mit den ehemaligen Freakshows auf Jahrmärkten vergleichbar ist - ein Effekt, der noch verstärkt wird, wenn großes Format und Farbigkeit Schock und Sensation betonen. Martin Büsser - Fotografie. Dopplung und Deutung / Dopplung und Deutung. Kritische Kommentare zur zeitgenössischen Kunst
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zappenduster · 7 years
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(…) Unter dem Banner der Intersektionalität zieht man gegen den weißen, heterosexuellen Mann. Während man sich in einem Meer aus Betroffenheit selbst reflektiert, vergisst man aber oft ganz schnell, dass nicht alles auf die Formel “check your privilege” reduzierbar ist. Antisemitismus wird in queerfeministischen Kreisen nur erwähnt, wenn es gerade reinpasst – und solange Antisemitismuskritik mit dem eigenen, angeblich antirassistischen Denken zusammenpasst. Unter den Verfasserinnen von #ausnahmslos ist etwa die Bloggerin und Online-Redakteurin des Missy Magazine Hengameh Yaghoobifarah, die sich früher “auch als antideutsch” bezeichnete, weil sie “100 Prozent anti-Shoah” sei und Demonstrationen gegen Homophobie in Neukölln als rassistisch verurteilt. Wie antirassistisch es ist, Muslime vor Kritik zu schützen, weil man meint, dass Vernunft und logische Argumente eurozentristisch seien, beziehungsweise dass die Kultur in arabischen Ländern einfach nicht verstehe, wer Antisemitismus verurteilt, kann dann vielleicht unter dem nächsten Hashtag geklärt werden. Folglich wird “der Nahost-Konflikt” jedoch zu einem Konflikt zwischen Unterdrückern und Unterdrückten, Weißen und Nichtweißen, und man hat eine feministische Szene, die begeistert zu einer Laurie Penny (ebenfalls Erstunterzeichnerin bei #ausnahmslos) aufsieht, die Israel boykottiert und von “gehäuteten Bankern” fantasiert. (…) Dora Streibl - Wir sind die Besseren / Jungle World Nr. 4, Disko
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zappenduster · 7 years
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Die in der Bossa Nova besungene Einsamkeit, die Traurigkeit, die Melancholie, die Liebe, das Alleinsein, das Du und das Wir - “Você”, “Agente vai levando” etc. All dies ist von einer Atmosphäre der Anteilnahme, der Sympathie und Solidarität gekennzeichnet; weswegen im Übrigen ein Liebeslied leicht umgedeutet werden kann als Anklage einer Politik der Verschleppung und Einsperrung. Roger Behrens - Bossa Nova. Fünf Versuche einer Annäherung
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zappenduster · 7 years
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Die neue Religion der Bildenden Kunst besteht (…) darin, daß es ihr seit Duchamps Ready-mades gelungen ist, nahezu den kompletten Bildervorrat der profanen Welt zu musealisieren und damit zu kulturalisieren, von den Fäkalien bis zum Popstar, von der Zigarettenwerbung bis zum Porno. An die Stelle von Heiligen und Aposteln sind Alltagsgegenstände und Personen des öffentlichen Lebens getreten, die mal in affirmativer und mal in kritischer Absicht von der Kunst nicht einfach nur gedoppelt, sondern zugleich auch als Kunstgegenstände geweiht werden. Der Gegenstand selbst ist zum Spektakel geworden. (…) Wenn der ehemalige Wall-Street-Broker Jeff Koons seine Erektion zur Schau stellt, wenn Orlan ihr Gesicht durch Operationen Stück für Stück verstümmeln lässt oder wenn sich Tracey Enim [sic!] Geldscheine in die Scham steckt, mündet das Bemühen um Bekanntheit in Prostitution an den Markt. Selbst noch in ihrer zum Teil kritischen Absicht offenbart sich in der pornographischen Entblößung die Machtlosigkeit der Kunst, es mit der Massenkultur aufnehmen zu wollen: Um überhaupt noch außerhalb des Kunstmarktes wahrgenommen zu werden, bedienen sich diese Künstler verzweifelt solcher Mittel, die auch die Boulevardpresse auf den Plan ruft. “Das Massenmedium ‘Bild’ hat dem Elitenmedium 'Kunst’ den quantitativen Rang abgelaufen” [Michael Diers: Fotografie Film Video – Beiträge zu einer kritischen Theorie des Bildes] (…). Um zeitgenössische Kunst überhaupt noch verstehen zu können, (…) ist die Kenntnis der Massemedien [sic!] und der Veränderungen, der sie unterworfen sind, unerläßlich. Kunstgeschichte, die noch immer glaubt, bildende Kunst isoliert von dem Bildervorrat des Alltags betrachten zu können, droht zu einer “zweiten Archäologie” zu werden. Martin Büsser - Bekannt wie Jesus. Ausstellung “Superstars” / Dopplung und Deutung. Kritische Kommentare zur zeitgenössischen Kunst
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zappenduster · 7 years
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»(…) In Unkenntnis darüber, wie schlecht es dir ging, schickte ich eine Woche vor deinem Tod eine Mail, mit dem freundschaftlich gemeinten Befehl: ‘Alles soll gut werden. Alles wird gut!’ Wahr ist: Es ist alles schlimm geworden, und es wird alles immer schlimmer.« — Roger Behrens Es ist jetzt ganze sieben Jahre her, dass Martin Büsser (*12. Februar 1968 / †23. September 2010) nicht mehr lebt. Es kommt mir vor als sei es gestern gewesen, dass ich den ganzen Tag auf die Postfrau wartete, die mir endlich sein neustes Buch in die Hände legen sollte, voller Erwartung auf das, was bei seiner Lektüre erfahrungsgemäß immer passierte - Erkenntnisgewinn, aber vor allem auch ein außerordentlicher Lesespaß -, wenn ich es dann endlich aufschlagen würde. Nie wurde ich enttäuscht. In einer entschiedenen Klarheit und mit beneidenswerter Leichtigkeit, formulierte er Texte und Kritiken über Punk, Hardcore und Emo in den 80ern, über die queeren Andersartigkeiten in der Popkultur und über diverse Nischen im Film und war maßgeblich an der Entstehung der sogenannten deutschen Poplinken in den 80er und 90er Jahren beteiligt. Ihm verdanke ich einen entscheidenden Teil meiner Erkenntnis über die Avantgarde und die bildende Kunst, wodurch sich ungefähr zeitgleich mit meinem Studium 2004/2005 ein großes Umdenken in meinem Schaffen vollzog. Er war es u.a. auch, welcher das zum Untergang geweihte Rocknpopmuseum in Gronau, dem er als wissenschaftlicher Berater zur Seite stand, zumindest vor dem geistigen Bankrott rettete. Mit seiner Band “Pechsaftha” (ein niederländisches Missverständnis einer Reservierung auf den Namen “Sascha Pech”), entwarf er mit seinen Bandkollegen (u.a. EA80) eine Art Hörspielmusical auf pfälzisch, mit satirischem Blick auf Kunst, Szene und Gesellschaft, der jedoch nicht selten und immer zum richtigen Zeitpunkt, in komödiantischere, obskurere Töne verfiel oder auch einfach nur straighter Anti-Punk war. “Talk Im Turm”, der letzte Titel auf der B-Seite der 1998 erschienenen 7inch “In Holland”, ist immer noch vollständig in meinem Kopf. Ich kann ihn euch aufsagen, wenn ihr wollt. Noch bevor Kimya Dawson durch ihren Juno-Soundtrack bekannt wurde, befasste sich Martin Büsser bereits intensiv mit der Bedeutung des sogenannten Anti-Folk, im Sinne einer neuen, popkulturellen Post-9/11-Befindlichkeit, woraufhin die The New York Times überhaupt erst bemerkte, dass diese Szene, bzw. dieses musikalische Genre, in Deutschland längst mit einem eigenen Buch gewürdigt wurde, in der eigenen Stadt jedoch noch immer völlig unbekannt war. Ein Jahr vor seinem Tod - sein Schwerpunkt lag mittlerweile stärker auf den Themen des Bereiches der Gender- und Queer Studies -, veröffentlichte der Verbrecher Verlag seine Graphic-Novel “Der Junge Von Nebenan”, welche ich bis heute leider immer noch nicht komplett gelesen habe, ob der kritzeligen Handschrift. Die Geschichte handelt von einem Jungen, der in den 1970er Jahren als Sohn zweier Top-Terroristen in der Bundesrepublik aufwächst und seine schwule Identität entdeckt, während die Eltern damit beschäftigt sind unterzutauchen. Dass bis heute niemand auch nur einen annähernd vergleichbaren intellektuellen Platz einnehmen konnte, beweist die Einzigartigkeit seines Wirkens und hinterlässt eine große Lücke, die ich dieser Tage nun wieder mit seiner Lektüre ein wenig zu füllen versuchen werde. Am 23. September 2010 erlag Martin Büsser seiner Krebserkrankung.
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zappenduster · 7 years
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»Wer nicht wählen geht, wählt automatisch die AfD!!1« — Das Volk Nicht etwa die NPD oder die CDU. Untermauert mit effizienter, aber völlig inkonsequenter und zurechtgebogener Grundschulmathematik, lügt sich Deutschland dieser Tage, vorzugsweise in den Social-Media-Kanälen, das politische Bewusstsein, die politische Verantwortung deutscher Geschichte zurecht. Davon ausgehend, dass die AfD als eine abzulehnende Partei zu gelten habe – während man gleichzeitig offen zugibt, nicht viel von Politik zu verstehen –, wird aus der dringendsten aller dringenden Botschaften, sie nicht zu wählen, eine universelle Grundvoraussetzung geschaffen. Man entzieht sich jedoch bereits damit jedem objektiven, politischen oder gar mündigen Urteil an der Wahlteilnahme und untergräbt mit einem moralisierenden Duktus von Autorität und Zwang, jede als demokratisch zu geltende Basis gleich mit. Da immanente Kritik allerdings noch nie die große Stärke der Schwarmintelligenzia war, sollte man vielleicht durchaus noch an eine konsensuelle Mehrheitsübereinstimmung glauben und hoffen dürfen, bei der die Menschen doch noch nicht völlig unzurechnungsfähig geworden sind und bei der die AfD selbstredend keine Alternative darstellt. Über die fehlerhafte und moralisierende Logik der Wahl-Argumentation hinwegsehend – denn wer wähnt sich schon nicht regelmäßig moralisch überlegen? –, findet sich jedoch ideologisches Kalkül, welches die Schuld bereits präventiv auf die Leute abwälzt, die sich der deutschen Tugend des Sich-erheben-müssens nicht fügen wollen. Falls dann "mal wieder etwas schief geht" (sic!), waren eben die NichtwählerInnen schuld, auf keinen Fall man selbst oder gar der scheußliche Gesamtladen den man sich aufgebaut hat und der einem tagtäglich zusetzt. Die, die sich nicht für politische Zusammenhänge interessieren, sie einfach nicht verstehen oder nachvollziehen können und demnach auch gar keine Lust und Zeit mehr darauf verschwenden auch nur ansatzweise bei irgendwelchen Entscheidungen mitzureden, die evtl. ein wenig anders sind (das kommt sogar in Deutschland vor), seelische und psychische Probleme, und daher ganz andere Sorgen haben, sollen sich also gefälligst an den kleinen Mathe-Memes und Apostel-Postings orientieren und auf die deutschen, vermeintlich politisch aufgeklärten Facebook- und Twitter-Freunde hören, die diese Bildchen hunderttausendfach teilen. Die sogar den perfiden Overkill erreichen, die moralische Wahlpflicht auch noch durch ein Zitat von Sophie Scholl "belegen" zu wollen: "Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben." Diese Umstandsbetrachtung ist also der "beispiellosen Aufarbeitung der deutschen Geschichte" entsprungen, aus der man "die großen Lehren gezogen" habe, von der dann z.B. ein Herr Gabriel ständig faselt, während er Israel "unter Freunden" als Apartheidsstaat diffamiert und sich bereitwillig mit NGO's trifft, die sich dafür einsetzen, Produkte des jüdischen Staates zu boykottieren, um den Juden wenigstens wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, wenn man sie schon nicht entgültig verschwinden lassen kann. Demnach handelt es sich tatsächlich um eine beispiellose Aufarbeitung der deutschen Geschichte; dermaßen verquer, selbstgerecht und selbstbemitleidend, hat dies nämlich noch keine Nation hinbekommen. Nur noch schlimmer erscheint es, wenn es sich bei den Demokratieprofis und HobbystatistikerInnen um sogenannte "kritische Deutsche" handelt, die in der Manier einer zwanghaft positivistischen Informiertheit, unbedingt bei jedem Papier zu jeder klitzekleinen Entscheidung im Bundestag dabei sein und mitentscheiden wollen, da sie alle Politiker mehr oder weniger für korrupt und von den Zionisten / den Amis / den Reptiloiden fremdgesteuert, sich selbst allerdings für aufgeklärt genug halten. Die, die sich ein Deutsches Reich zurückwünschen und deshalb auch gerne mal dazu aufrufen, sich vor dem Bundestag zu versammeln, um diesen, angepeitscht durch den Pathos einer Xavier Naido-Schmonzette, zu stürmen. Ich bitte deshalb inständig: bleibt Zuhause oder geht halt wählen, aber lasst doch bitte die Leute in Ruhe!
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zappenduster · 7 years
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zappenduster · 7 years
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zappenduster · 7 years
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Derrida / Därrida: http://tinyurl.com/jefnhb4 Deleuze: http://tinyurl.com/hryl86n Bourdieu: http://tinyurl.com/zezg4kd Foucault: http://tinyurl.com/gufyvzo Lacan: https://tinyurl.com/yacox83m Hegel: https://tinyurl.com/y6w2t6r9 and some more! http://www.stereo-dasein.com
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