Das antigenitalistische Manifest
Ein relativ neues, aber im deutschsprachigen Raum schon etwas bekannter gewordenes Phänomen ist innerhalb der antisexistischen und Transgender/Intersex Bewegung der Aktivismus gegen Genitalismus.
Wer sind die Antigenitalist*innen? Was wollen sie?
Dazu einige Erläuterungen
Wer? - Initiatoren waren eine Gruppe von Aktivistinnen, beeinflusst von u.a. Kim Schicklang (ATME), Leslie Feinberg, Malcolm X, Emma Goldberg, den Haschrebellen, Michael Focault, Luisa Francia, Valerie Solanas, Adorno, Sartre, Erich Mühsam, etc., die sich recht bald vom eher etablierten, gesellschaftskonformen Aktivismus lossagte und losagierte.
Generell kann jeder mitmachen, aber als "Genitalismus Erfahren" gilt nur, wer sich durch die eigene geburtliche Zuweisung "weiblich" bzw. "männlich" gestört,
eingeschränkt oder diskriminiert fühlt, warum auch immer (agender/antigender/nogender/multigender/transgender/intersex sind willkommen und z.T. schon bei uns dabei)
Herkömmliche Transaktivist*innen / Antisexistinnen (=nicht wir):"wir wollen Veränderungen innerhalb der Gesellschaft, mithilfe staatlicher Gesetze, herbeiführen."
Antigenitalist*innen (=wir): "Wir nicht. Wir möchten uns Freiräume außerhalb der Gesellschaft erkämpfen, in denen staatliche Macht, Zuweisungen und Gesetze ausgehebelt sind, wir möchten Guerilla führen gegen einen Staat der uns anhand von Genitalien ein FALSCHES Geschlecht zuweist, wir möchten mit allen Mitteln gegen Geschlechtszuweisungen, egal wie begründet, kämpfen".
Herkömmliche TA/AS: "Wir möchten durch Hilfsangebote und Safe Spaces für alle LGBTIQ* einen sensibleren Umgang mit Transthemen ermöglichen, in dem man sich safe* austauschen kann, dafür muss die Exklusion von Cis*männern gewährleistet sein."
Antigenitalist*innen: "Wir werden innerhalb der Gesellschaft, egal ob von Heteros, Homos, DWT oder Feminist*innen ständig bevormundet, kulturell ausgeschlachtet, mundtot gemacht, fremddefiniert und genitalistische Gewalt hingenommen oder ausgeübt, ohne daß ein glaubhaftes Interesse, diese Bevormundungen und Gewalt zu ändern, geäußert wurde, von daher brauchen wir Räume, in denen wir und unsere Definitionen entgegen aller Gesetze, Medien(lügen)stimmen und offizieller Propagandabezeichnungen frei
von der üblichen niederdrückenden Penis=Mann / Vagina = Frau Lügen Propaganda bestehen können, sich entfalten können, denn nur in solchen Räumen, die frei sind von Staat, Transsexuellengesetzen, Geschlechterwechsellügen und Geburtsgeschlechtszuweisungswahnsinn, können wir angstfrei sein, agieren und überhaupt eine Vorstellung entwickeln, wer wir sind, was uns bedrückt und was wir uns wünschen und wir brauchen.
Dazu gehören eine eigene (nicht "Täter") Sprache (d.h. keine "TS/falscher Körper/falscher/kranker Mensch/Körper/Geist"Linguistik, keine Zugeständnisse an die Gesellschaft und deren faschistisches Körperschemensystem, daß uns wegretouschiert, operiert, assimiliert), eigene Symbole, eigene Geschichten, eigene Medien, eigene Bezüge, Kanäle und Ansprüche.
Diese Bedürfnisse als Grundvorraussetzung für eine ungehemmte, nicht gewaltsam unterdrückte, staatlich verbotene und durch feindseelige Regeln im Keim erstickte Entwicklung sehen wir in der aktuellen Mainstream (und auch subkulturellen) Gesellschaft weder verwirklicht, noch überhaupt wahrgenommen.
Herkämmliche TA/AS: Wir definieren Gender als selbst wahrgenommenes Geschlecht oder gelebtes Geschlecht und grenzen es ab von zugewiesenem und “biologischem Geschlecht”. Wir unterscheiden zwischen cisgender, transgender und intergender und sehen diese als unterschiedliche Gruppen von Menschen an, die sich anhand biologischer Merkmale deutlich voneinander unterscheiden lassen.
Antigenitalist*innen: Wir weisen den Begriff “biologisches Geschlecht” vehement zurück, den wir als mensch-gemachtes Konstrukt und Willkür mit lobbyistischer Unterstützung (Verbreitung etc.) bezeichnen. Auch lehnen wir die Begriffe “cis(gender), trans(gender) und inter(gender) generell ab, da diese pseudo-biologische Betrachtungsweisen zementieren und Vorurteile schaffen, indem sie suggerieren, man könnte/sollte Menschen aufgrund genitaler Ausprägungen generell voneinander unterscheiden.
Auch der gelegentliche Hinweis, hier und da seien die Begriffe “cis-gender/transgender/inter-gender” anders, eher sozialisationsbedingt, gemeint, ändert nichts daran, es werden auch mit diesen Begriffen und Definitionen regelmäßig Menschen ausgegrenzt, unterschiedlich behandelt und beleidigt.
Von daher stellen wir diesen Begriffen die Begriffe “Genitalismus erfahren” (d.h. nicht als das, was man ist, von Geburt an anerkannt)” und “Genitalismus unerfahren” entgegen, die dem unterschwelligen Verweis ersterer Begriffe auf angebliche biologische Tatsachen den Verweis auf menschgemachte und änderbare Behandlung innerhalb einer menschlichen Gesellschaft entgegen.
Dadurch wird wieder erkenntlich, daß z.B. Männer mit als auch Männer ohne Penis sich gleich entwickeln könnten und würden, würde man aufhören, die einen von Geburt an wegen ihres Körpers zu benachteiligen und ihnen ihr Mann/Junge sein wegreden und -erziehen zu wollen bzw. überhaupt Kindern ein Geschlecht zuzuweisen.
Aber:
Wir gehen nicht von einer (möglichen) binären Geschlechterordnung aus, sondern wissen, daß es viele verschiedener Geschlechter gibt und es keinen Sinn macht, Menschen in entweder männlich oder weiblich unterteilen zu wollen.
Auch wenn viele von uns sich als entweder Mann oder Frau verorten und für ihre Akzeptanz in einem dieser Geschlechter kämpfen, heißt das nicht, wir würden die volle Akzeptanz und Gleichberechtigung anderer Geschlechter als Mann und Frau nicht unterstützen oder andere Geschlechter und deren Kämpfe bei unseren Kämpfen ausschließen - im Gegenteil.
Dennoch möchten wir uns nicht anmaßen, für oder über andere zu sprechen, deren Kämpfe gegen die Fremdbestimmung weitreichender und wahrscheinlich oftmals noch essentieller sind als unsere, da sie und ihre geschlechtliche Existenz in den meisten Teilen der Welt unkenntlich gemacht werden (sollen). Wir unterstützen euch jedoch gern.
Was? Genitalismus bedeutet "Mann = Penis / Frau = Vagina" und alles, was mit dieser Denk- und Zuteilungsweise verknüpft ist.
Antigenitalismus zielt auf die Bekämpfung insbesondere aller Gesetze, Organe und Medien/Propaganda ab, die dieses genitalistische Prinzip/die genitalistische Weltordnung beeinhalten und halten diesen Prinzipien das Streben nach einem Raum, dem sich von falschen Zuweisungen/Genitalismus betroffene Menschen frei entwickeln und selbstbestimmt leben, sprechen und handeln können, entgegen.
Wir wissen nicht, ob es je möglich sein ist, daß Menschen wie wir auf eine erträgliche Weise in heteronormativen Mehrheitsgesellschaften leben können, bisher ist dies nicht möglich und darum fordern und erstreben wir eigene Territorien frei von heteronormativer Herrschaft und Gesetzesgebung.
Wie? Die Frage nach den Mitteln und deren Grenzen sind umstritten. Da wir generell staatliches Handeln kritisch sehen und diesem z.T. feindlich gegenüber eingestellt sind, u.a. aufgrund unserer Erfahrungen mit genitalistischem Terror IN JEDEM STAAT DIESER WELT, lehnen wir es mehrheitlich ab, uns von Staaten und Gesetzen vorschreiben zu lassen, welche Mittel im Kampf für die eigene Emanzipation und Freiheit zu wählen sind.
Bisher haben wir u.a. Störaktionen, Demonstrationen, Kundgebungen, Flyer/Infomaterial und Infoveranstaltungen organisiert.
Wieviele? Wir sind eine recht kleine Gruppe aus maximal 10 Personen, die zwar einige Unterstützer und Befürworter hat, aber sich dennoch über weiteren Zuwachs oder Austausch freuen würde.
Warum? Mit dem wahrgenommenen Transaktivismus konnten/können wir uns u.a. nicht identifizieren weil
- z.B. Frauen ohne OP oftmals (partiell) als "noch männlich" oder "im männlichen Körper" dargestellt/bezeichnet wurden/werden und dadurch Gewalt gegen Frauen vor der/ohne OP unsichtbar gemacht wird
- Zusammenarbeit mit staatlichen Organen, Polizei, Presserat (haben wir auch angeschrieben und sind dafür in- und extern u.a. durch "Queer.de" völlig korrekt kritisiert worden),staatlichen Fördergeldern und anderen Institutionen, die uns besonders in der Vergangenheit als Gruppe gejagt, getötet, eingesperrt und für unser Geschlecht sanktioniert haben,
angestrebt werden
- keine Distanzierungen von "Terf" (wir nennen sie "Cuntists, da wir den Begriff "trans" und die dahinterstehenden genitalistischen Geschlechterdefinitionen ablehnen) akzeptierenden Feministinnen(gruppen) und Forderungen, diese generell auszuschließen, bestanden
- Ziele uns nicht radikal genug waren
- Sprache, Ziele und Mittel uns zu konform, fremdbestimmt und antiemanzipatorisch waren
- wir möchten, daß man die Gewalt gegen uns und die nachfolgende Generation ab der Geburt (Fremdzuweisung eines falschen Geschlechts, etc.) anerkennt und damit aufhört, Menschen entgegen ihrer Selbstbestimmung Geschlechter (und Geschlechterrollen) zuzuweisen, alles darunter ist uns zu wenig.
Wir möchtem für diese Gewalt entschädigt werden, verlangen eine Aufarbeitung sowie den Verzicht auf Gewalt relativierende Lügenmärchen wie
"Geschlechtswechsel" und "falsche Körper", die nur dazu dienen, die Praxis der Geschlechtszuweisungen und Profite und Macht bringenden Therapiezwänge aufrechtzuerhalten
- wir keinen Dialog mit Psychiatern, Gutachtern und Sexualwissenschaftlern führen möchten, sondern uns von diesen und ihrem Wirken per se fremdbestimmt, bevormundet und diskriminiert fühlen. Von daher fordern wir aktive Maßnahmen gegen deren Wirken wegen der transphoben, genitalistischen und anderswie menschenfeindliche, vor allem uns betreffenden Folgen
- wir es in keinster Weise zulassen, daß irgendwer über das eigene Geschlecht entscheidet und dieses bezeichnet, außer jede*r selbst
--> Unsere Ziele sind von daher insbesondere die Abspaltung von der als feindlich, transphob und genitalistisch wahrgenommenen Mehrheitsgesellschaft, um eine eigene Emanzipationsbewegung zu initiieren (keine genitalistischen Ausweise, Geburtsurkunden, Einträge, etc.), die Schaffung einer eigenen, selbstbestimmten und -bewussten
Kultur (Medien, Songs, Texte, Bücher, Symbole, Spiritualität, ...) ohne genitalistische Prägung, Sprache und Umdeutung unserer Körper und Expressionen, die Vernetzung und Organisation antigenitalistischer und jeglicher gegen Geschlechtszuweisungen und -stereotype gewandten Kämpfe und Aktivismusformen, das Mitwirken und auf uns und unsere Ausgrenzungserfahrungen aufmerksam machen in anderen emanzipatorischen (gegen Unterdrückung) Richtungen und Kämpfen.
Kurz und einfach gesprochen:
- Wir nehmen es nicht hin, daß wir und andere und unsere Körper von einer feindlichen Mehrheit umgedeutet und angegriffen werden.
- Wir lassen uns unsere Lebensgeschichten und Ausgrenzungserfahrungen durch die Gesellschaft und deren Organe nicht länger um- und weginterpretieren.
(keine "Geschlechterwechsel" Lügen, keine "falscher Körper" Bekenntnis Exorzismen, keine genitalistischen Gesetze und Zuschreibungen, kein TSG, kein Geburtsgeschlecht, keine Begutachtugen, keine Rollenzwänge, keine willkürliche Fremdbestimmung vor OPs und Hormonvergaben etc., nur Beratung, keine Kontrolle und transphobe + genitalistische Bevormundung, keine Beschönigung des Wirkens transphober und genitalitischer Hassliteratur v. Sexualforschern wie Sigusch, Hirschfeld, Butler, Pfäfflin, Beier, Reim etc. sondern eine Aufarbeitung)
- Wir möchten eigene Räume
- Wir möchten diese mit eigenen Mitteln erkämpfen
- Wir kämpfen gegen die "Penis = Mann/männlich" "Vagina = Frau" Lügen und Propaganda, immer und überall
- Wir ziehen deutliche Konsequenzen aus selbst gemachten und historischen Erfahrungen gegen uns als Gruppe
- Wir sehen Geschlecht als menschliche Illusion und willkürlich (nicht aber als rein sozialisationsbedingt !) an und kämpfen allgemein gegen jedwede normative Zuweisung, Kategorisierung und Fremdbestimmung. Unser Ziel ist nicht die Integration in irgendeine Gesellschaft noch die Schaffung einer neuen, sondern die Stärkung und der Austausch von Individuen die gegen die genitalistische Weltordnung arbeiten möchten.
- Wir nehmen es nicht länger hin, daß man permanent von uns als etwas schreibt und spricht, was wir nicht sind noch sein wollen oder je waren. Und uns, weil über uns so geredet und gesprochen und dann gedacht wird, dann auch gleich als geistesgestört einstuft, als Männer/Frauen zweiter Klasse (garkeine Männer/Frauen) bzw. etwas das wir nicht sind behandelt und eingeordnet wissen will und dann anfängt, unsere Leben und wie wir uns geben, als Problem, Ärgernis oder Provokation einzustufen, die man höchstens tolerieren kann, aber nicht annehmen darf wie sind, als selbstverständlich
Dazu schließen wir uns zeitweise als Gruppe zusammen und werden mit anderen Gruppen, die sich ebenso gegen Unterdrückung wehren, kooperieren, beabsichtigen aber keinesfalls, daß wir oder andere sich über die Zugehörigkeit zu oder Mitwirkung in irgendeiner Gruppe definieren. Wir möchten keine Herdentiermentalität fördern, da wir selbst erfahren haben, wie zerstörerisch und menschenfeindlich Gruppenverhalten sich i.d.R. auf einzelne Individuen auswirkt.
Darum werden wir zwar als Gruppe kämpfen und Netzwerke aufbauen, nicht aber erstreben, deswegen andere ebenso als Mehrheit zu unterdrücken oder überhaupt eine längerfristige (länger als notwendige) Gruppenmentalität zu etablieren, sondern wir wollen uns gegenseitig als starke, autonome Individuen fördern, austauschen, vernetzen und viele Kämpfe gegen viele repressive Systeme führen
Wir lehnen die heutigen allgemeinen Konzepte von Identität, Identitätspolitik, Individuum und Genderforschung ab und halten ihnen ein individualistisches, nicht akademisches, normen-, wissenschafts- und autoritätsfernes Konzept entgegen, das den Wert und die Wahrheit der Wahrnehmung jedes einzelnen Individuums betont und sich der Problematik des Klassismus, insbesondere des Ausschlusses prekär lebender Menschen an wissenschaftlichen und akademischen Diskursen allgemein bewusst ist.
Wir möchten nicht, daß weiterhin andere "studieren was wir sind" und darüber Bücher und merkwürdige Theorien schreiben, die dann zu merkwürdigen Gesetzen und Richtlinien gegen uns werden, während wir aufgrund dieser Gesetze und Richtlinien an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden oder gedrängt bleiben, sondern wir möchten selbst über uns, unsere Körper, Erfahrungen, Bedürfnisse Rechte und Forderungen schreiben und entscheiden und das in eigener Sprache, eigenen Werten, nach eigener Logik und Struktur.
D.h. wir möchten uns nicht länger von weißen alten Männern, sowie deren willigen Handlangern und deren Worten und Maßstäben leiten und herabsetzen lassen und deren Trieben und Zielen untergeordnet zur Verfügung stehen. Stattdessen möchten wir unseren eigenen Weg gehen, der nichts zu tun hat mit stereotypen Märchen von z.B. Männern, die zu anpassungsbereiten Frauen werden.
Allgemein sagen wir häufig nein, weil viele Dinge, die wir bejahen, gesellschaftliche Tabuthemen sind oder in den Bereich der Utopie gehören. Unser Traum ist eine Welt, in der wir gerne und in Würde leben.
Dafür kämpfen wir, denn viel zu verlieren haben wir in einer genitalistischen, direkt gegen uns und unsere Freiheit gerichteten Welt- und Gesellschaftsordnung ohnehin nicht.
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