Tumgik
traumzeitlos · 1 month
Text
Hast du mich gesehen, als ich vorbeigeflogen bin? Ein Vögelchen, klein und schillernd. Lass mich ein Augenblick sein in Deinem Leben. Dafür danke ich dir. Ich bin lebendig durch Euch, in eurer Erinnerung. Lieber Mensch, ich war einmal unter Euch, war ein Mensch, denk daran, wenn Du meine Geschichte liest.
DER NARR MUSS SCHWEIGEN
1788: Schmierfink
„So, so, Maître Desmoulins, große Oper. Und was wollen Sie jetzt? Ich kann das unmöglich drucken, das wäre mein Ende, das wissen Sie genau.“
„A-a-aber es wird sie reich machen, Momoro, d-d-das ist ihnen doch klar oder?“
„Das wird mir aber nichts nützen, wenn sie mir den Laden dichtmachen…Können sie es nicht ein bisschen abschwächen?“
„N-nein, tut mir leid, das geht nicht.“ Er macht ein enttäuschtes Gesicht und wendet sich zum gehen um. Dann versuche ich es eben anderswo, werde schon jemanden finden…
„Hören Sie, niemand wird das drucken, sie bemühen sich umsonst…“ ruft Momoro ihm nach.
Er stürzt wütend aus der Druckerei. Das werden wir ja sehen. So leicht geb ich nicht auf, ganze zwei Wochen hab ich an nächtlicher Zeit da reingesteckt, und vor allem: es ist richtig gut geworden, mein bestes Pamphlet bisher. Prosa. Ich glaube, das passt wohl doch besser zu mir. (Meine Gedichte waren eher mäßig gelungen, wie man mir zu Verstehen gegeben hatte). Vielleicht macht es mich ja berühmt, wenigstens ein bisschen, ich meine wer weiß das schon. Und überhaupt, träumen wird ja wohl erlaubt sein. Auch wenn man schon 28 Jahre auf der Welt ist, und schon einige helle und dunkle Seiten vom Leben gesehen bzw. am eigenen Leib erfahren hat.
Seit zweiJahren versuche ich mich mittlerweile als selbstständiger Anwalt. Das, was ich als Kanzlist bei Maître Perrin gelernt habe, bringt mir bei meinen Klienten so gut wie gar nix. Ich bin gut, dass weiß ich. Was mir fehlt, sind die richtigen Verbindungen, um an die interessanten Fälle zu kommen. Und damit eine Reputation aufzubauen. Dazu kommt noch, dass ich schlimmer denn je stottere und mich drücke, bei den Gerichtsverhandlungen persönlich zu erscheinen.
Was geht mich euer Geheul an? Ihr kriegt von mir, was ihr wollt, dafür bin ich da. Futter für euren Hass, eine Pike für eure Hände und einen Tritt in euren Allerwertesten.
1786: das Leben ist ein schlechter Scherz
Ich hatte die letzte Zeit ein bisschen Geld auf die Seite legen können, das ich zusätzlich zu meinem dürftigen Gehalt „dazuverdiente“. Die Quelle dafür: Gestern Abend nach Dienstschluss war ich wieder „nett“ zu Maitre Perrin, meinem Arbeitgeber, gewesen, wie fast jeden Dienstag. „Kommen Sie, Camille mein Junge, warum machen Sie nicht Schluss mit der Arbeit und wir essen ein bisschen was zusammen?“ Das sagt er jedesmal, und ich sage dann, Ja, Maitre Perrin, sehr gerne. Ich war 24 Jahre als ich nach meinem Studium der Rechte in seiner Praxis als Kanzlist anfing, das war nun zwei Jahre her.
Das Essen wurde in seinem Büro serviert, es war wie immer gut, auch der Wein war gut. Maitre Perrin, ein Freund meines Vaters, war ein wohlhabender Mann. Angesehen, glücklich verheiratet, drei fast erwachsene Kinder. „Greifen Sie zu, mein Lieber, Sie sind zu dünn, warum achten Sie denn nicht besser auf Ihre Gesundheit?“ Er schenkt mir vom Roten ein. Nachdem wir gegessen und mindestens eine Flasche Bordeaux intus hatten, legte er seine Hand auf meine Schulter und sagte das Signalwort: „Ah, mein Junge, jetzt wäre es schön, wenn Du noch ein bisschen nett zu mir sein würdest, es macht dir doch nichts aus, nicht wahr?“ Nein, nein, es macht mir gar nichts aus, antworte ich gefügig. Und dann bin ich nett zu ihm.
Nett sein heißt bei Maitre Perrin, dass er mich bei der Hand nimmt, mich zum Sofa führt und sich drauf platziert. Er zieht mich hinunter, so dass ich auf den Knien vor ihm sitze wie ein aufmerksamer Hund. Dann streichelt er mein Gesicht und sagt mir, dass ich schöne Augen habe. Dabei öffnet er geschickt mit einer Hand seine Hose und bedeutet mir mit einem Kopfnicken, dass ich mich jetzt an die Arbeit machen soll. Also mach ich das, ist eh unvermeidlich, je geschickter ich mich anstelle, desto schneller ist es vorbei. Heute dauert es lange. Ich ersticke fast, so sehr bemühe ich mich. „Mach deine Hose auf, mein Hübscher, komm, lass mich mal schauen, was du da Schönes drin hast“ keucht er irgendwann hervor. So ein Dienstag ist es heute also, naja. Manchmal reicht es ihm nicht, dass ich wie ein wilder an seinem Schwanz herumlutsche, dann braucht er auch noch meinen dazu. Wenigstens habe ich ihn noch nie auf den Mund küssen müssen. Bitte, hier ist das Ding, einsatzbereit (ich bin ja nicht aus Stahl…). Er rubbelt recht heftig an meiner Granate, es tut nur ein ganz klein wenig weh, ich stöhne ein paarmal laut und er kommt. In meinen Mund, den ich immer wegziehen will, aber das erlaubt er nicht sondern drückt meinen Kopf in seinen Schoß. Ich muss würgen. Seitdem ich zum ersten Mal erfahren hab, wie ekelhaft es ist, Sperma im Mund zu haben, verschone ich die Mädchen im Bordell damit. Geht auch anders.
Das Nettsein ist für heute vorbei, das übliche Ritual folgt, will heißen , wir ziehen schweigend unsere Hosen hoch und richten uns wieder her. Dann tätschelt mir Perrin die Wange und geht ohne ein Wort zu sagen aus seinem Büro. Ich höre, wie er die Eingangstüre zumacht und die Treppe hinuntergeht.
Das kleine Bündel mit den Geldscheinen hat er wie immer diskret auf dem Tisch mit den Resten von unserem Abendessen liegen lassen. Ich nehme es, zähle durch und stecke es in meine Weste. Das kommt zu meinen Ersparnissen. Perrin hat mir einen extra Schein dazugegeben, wahrscheinlich hat er ein schlechtes Gewissen, weil es heute so lange gedauert hat. Das übrig gebliebene Essen packe ich in Papier und verschnüre es. Kann man so nach Hause tragen, das ernährt mich morgen noch einmal.
Immer noch 1786: das Leben ist auch weiterhin ein schlechter Scherz
Als ich auf der Straße vor Perrins Kanzlei stehe und überlege, ob ich gleich nach Hause gehen soll oder noch für eine Runde in mein Stammcafé, fällt mir ein, dass dort heute eine kleine Versammlung stattfinden soll. Alles Leute, die den wahrhaft verdammenswerten Zustand unserer Nation nicht mehr einfach hinnehmen wollen. Leute, die etwas dagegen unternehmen wollen. Man raunte unter vorgehaltener Hand, es wären sogar ein paar verwegene, radikale Republikaner dabei. Das zog. Jedenfalls bei mir. Also marschierte ich die paar hundert Meter hin zum Café de l‘Êcole, das schon ziemlich gut gefüllt war, als ich ankam. Musste mich durchdrängeln zu meinem Stammtisch, im Vorbeidrücken grüßte ich einige (gut) bekannte Gesichter. „He, Camiiiiiiiillle, schau mal, Georges, da ist unser Furius Camillus, frisch aus Perrins Backofen“, schallt mir unter rauchigem Gelächter der Gruß meiner Stammtischkumpanen entgegen. Ich klopfe auf den Tisch, „N‘Abend, die e-ehrenwerten Nh-Herren“ und lassen mich neben Fabre auf den Stuhl fallen, auf den er seine Füße abgelegt hatte. In der Runde sitzen: Georges-Jacques Danton, Anwalt, Fabre d’Eglantine, Theatermensch, Jean-Paul Marat, Arzt (sagt er jedenfalls, praktizieren tut er nicht), Jacques-Réné Hébert, Anwalt (vormals, jetzt: Aufwiegler), Jérome Pétion, Anwalt, Marie-Jean Hérault de Séchelles, Kronanwalt & stinkreicher Adliger, Antoine Barnave, Politiker, Pierre-Gaspard Chaumette, Student der Medizin, Georges Couthon, Anwalt, Lucie-Simplice-Camille-Benoît Desmoulins, Anwalt & Möchtegern-Journalist (ich). Die meisten sind schon ziemlich betrunken und ein paar lallen sogar und schwanken auf ihren Stühlen. Mit meiner lächerlichen halben Flasche Wein im Kopf bin ich hier ziemlich im Hintertreffen .Egal. Wenigstens bekomme ich noch mit, was gesagt bzw. geplärrt oder gelallt wird, sofern sie nicht alle auf einmal schreien. Das Thema heute Abend scheint die Abschaffung der Monarchie zu sein, man hat sich offenbar schon darauf eingeschossen, ob Frankreich technisch gesehen überhaupt noch vom König regiert wird oder ob es eigentlich bereits Teil des Habsburgerreiches ist. Unser derzeitiges Prachtexemplar eines Königs, Louis XVI, der Einfaltspinsel, ist verheiratet mit der österreichischen Erzherzogin Maria Antonia Johanna Josepha von Habsburg. Ihre Majestät Marie-Antoinette, Königin von Frankreich. Die den schwachen Louis nach Belieben beherrscht und sich einen Dreck um das Wohlergehen ihrer Untertanen schert. Fairerweise muss man sagen, dass sie sich damit nicht negativ abhebt von all ihren Vorgängern, die sich ebenfalls einen Dreck um das einfache Volk geschert haben. Macht es trotzdem nicht besser, jemand im Palais von Versailles könnte ja schließlich mal damit anfangen, sich zu kümmern, oder? Ist wohl zuviel verlangt. Weil das Vertrauen in die Änderungsfähigkeit bzw. in den Willen desselbigen nicht (mehr) im Volk vorhanden ist, wird jetzt nach einer Revolution geschrien. Am Tisch hier herrscht allgemeiner Konsens, dass es umfassende Reformen auf allen Ebenen des Staates geben muss. Die alte Ordnung muss über den Haufen geworfen werden, damit es den Leuten endlich besser gehen kann. Man hat sich schon viel zu lange von denen da oben hinhalten lassen und mit ein paar Reförmchen abspeisen lassen, jetzt sollen radikale Maßnahmen her, um eine Neuorientierung der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Rede ist von, Freiheit des Menschen, von der Gleichstellung jedes Einzelnen vor Recht und Gesetz, unabhängig von Stand und Vermögen, einer republikanischen (oh Himmel, das Unwort) Verfassung und vielen anderen abstrusen Ideen. Sowas kann ja nur jemand sagen, der komplett gaga oder besoffen ist. Wir waren beides. Das Durcheinandergebrüll ging weiter, das würde heute Abend nichts mehr geben mit einer ordentlichen Versammlung, geschweige denn mit irgendwelchen Beschlüssen. Dazu hätte man die Anzahl der Schreihälse und die Menge an verfügbarem Wein (rechtzeitig) beschränken müssen.
Das dämmerte wohl auch einigen in unserer Runde, trotz ihre fortgeschrittenen benebelten Zustands, und so verlor unser Stammtisch nach und nach seine Mitglieder bis nur noch Danton, Fabre, Hérault und ich übrig waren . Wir blökten noch ein bisschen weiter über die möglichen Grundlagen eines Gesellschaftsvertrages im Rousseau‘schen Sinn, aber mittlerweile waren wir alle nicht mehr in der Lage einen zusammenhängenden Satz zu hervorzubringen. Mein Stottern ist zwar weg, wenn ich sturzbetrunken bin, das hat halt nur den Nachteil, dass ich noch mehr wirres Zeug von mir gebe als ich es nüchtern eh schon tue.
Dann sagte Danton das, was man von ihm erwartet: „Kinder, los, steht auf, wir gehen jetzt ins Château (ein bekanntes Freudenhaus; Freude für wen, frag ich mich?), ich hab Rose versprochen, heute Nacht noch vorbeizukommen.“ Er steht auf. Guter Gott, der kann kaum stehen, wie will der denn noch was zustande bringen? Wird wahrscheinlich unverrichteter Dinge in Roses Bett einpennen. Aber man darf Georges nicht unterschätzen, er hat die Konstitution eines Ochsen, nach ein paar Minuten an der frischen Luft und ein bisschen Umhertorkeln, kann er schon wieder einigermaßen gerade gehen.
Auf halbem Weg ins Château verlässt uns dann (wie erwartet) Hérault. „Ich bin schon zu müde, ihr Lieben, geht ihr nur und amüsiert euch!“, er winkt noch und schreitet gebührend elegant davon. Seine Haltung ist bewundernswert. Wir wissen alle, dass er nicht zu müde ist. Es ist kein großes Geheimnis, dass er keine Frauen mag, also jedenfalls nicht so, wie es für einen Besuch im Bordell Voraussetzung ist. Natürlich ist er verheiratet, aber man muss sich „dem“ ja dann nicht noch freiwillig aussetzen, oder ? Ich weiß ganz genau, was er lieber hätte, seine mehr oder minder subtilen Annäherungsversuche werden von mir schon seit Jahren bewusst ignoriert. So blöd bin ich nicht, um mit einem meiner Freunde was anzufangen. Vielleicht nehme ich ihn mal bei Gelegenheit diskret zur Seite und stecke es ihm auf einfühlsame Art.
Wir sind nur noch zu dritt, der harte Kern sozusagen, als wir im Château ankommen. Die Mädchen freuen sich immer, wenn ich dabei bin, ich hab oft nicht das erforderliche Geld, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, also flirte ich nur mit ihnen, mach Witze, bringe sie zum lachen und bin generell unterhaltsam und liebenswürdig. Sie finden mich „süß“. Fabre und Georges halten das für eine Beleidigung. Sollen sie. Wenn die ohne mich hierher kommen, fragen alle, wo Camille ist. Ätsch!
Mein Freund Georges weiß natürlich, dass ich auch heute wieder klamm bin. Als wir im Salon sind und uns die Mädchen umschwirren, legt er einen Arm um mich und sagt großzügig: „Mein Schatz , du hast mal wieder eine ch***e (derber Ausdruck) nötig, sonst verdirbt dich Perrin noch vollkommen, das lass ich auf keinen Fall zu“, er winkt Rose zu uns heran, „Rosalie mein Liebling, du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich heute mit unserem ehrenwerten Maître Desmoulins teile, oder?“ Rose hüpft auf meinen Schoß. Sie ist Profi, erfahren. Ich mag sie gern. Wenn sie wie jetzt lächelt, sieht sie gleich viel jünger aus als ihre geschätzten 25 Jahre. Ich frage mich, wie lange sie schon im Geschäft ist. „Ob ich was dagegen habe, wenn unser süßer Schmierfink hier“, sie streicht mir übers Haar, „sich wie Amor ihn schuf in meinem Boudoir räkelt? Mhm, Camille, was meinst Du?“ „Wenn Amor mich g-g-geschaffen hat, dann hatte er wohl grade einen schlechten Tag erwischt, sonst h-h-hätte ich nicht s-so ein sch-schiefes Gesicht“. Rose kichert und gibt mir kleine Küsse auf meine Nase und Augen. Georges wird ungeduldig und drängt uns, zur Sache zu kommen, wir hätten nicht ewig Zeit. Ja, ja, ist gut. Also gehen wir ins Obergeschoss, wo die Zimmer der Mädchen sind. Rose hat zwei Gemächer, sie kann sich das leisten, ist meistens gut gebucht und manchmal bekommt sie von einem Stammkunden ein geradezu fürstliches Trinkgeld.
Mir kommen oft in den unpassendsten Momenten die besten Gedanken für neue Zeitungsartikel. Als ich halb nackt in dem riesigem Bett liege und die exquisiten skandalösen Malereien an der Decke betrachte (Georges beansprucht gerade Roses ganze Aufmerksamkeit), frage ich mich, warum die Zimmer zumindest in den besseren Établissements IMMER im aristokratischen Stil ausstaffiert sind. Alles Seide, Brokat, edles Musselin, Samt, Malereien, die einem vorgaukeln, dass sich gleich eine Palette Marquisen und Gräfinnen zum amourösen Treiben dazugesellt. Kompletter Blödsinn! Die meisten Mädchen, die hier arbeiten, kommen aus allereinfachsten Verhältnissen, viele vom Land, ihre Eltern sind Kleinbauern oder Pächter, die hart schuften müssen, um zu überleben. Das erzählen sie einem freimütig, wenn man ihr Vertrauen gewinnt und ihnen zuhört. Wie mir zum Beispiel. Wenn du das hier zehn Jahre durchhältst und dich gut verkaufst, kannst du vielleicht, sparsame Lebensführung vorausgesetzt, mit dem sauer verdienten Geld einen kleinen Laden oder ein „anständiges“ Gewerbe betreiben. Natürlich nur:
Falls du nicht krank wirst, oder dich einer deiner Kunden mit Syphilis oder Tripper oder anderen Krankheiten ansteckt.
Falls du nicht schwanger wirst und bei der Engelmacherin verblutest.
Falls du nicht von der Polizei wegen Sittenlosigkeit und verderblichem Einfluss auf die Jugend oder anderen willkürlichen Gründen ins Gefãngnis geworfen wirst.
Falls du nicht von einem Freier so verprügelt wirst, dass dein Gesicht danach entstellt ist und dich keiner mehr will.
Falls du es einfach nicht mehr ertragen kannst mit jedem ekelhaften, brutalen oder irren Typen ins Bett gehen zu müssen , der meint, er hätte auch deine Seele mitgekauft.
Ich hab mir das alles nicht ausgedacht, es ist die Lebenswirklichkeit dieser Frauen. Durch die dicken Seidentapeten und gepolsterten Türen der Freudenhäuser sind die Stimmen unserer großen philosophischen Lehrer nicht durchgedrungen. Und wir geben unsere patriotischen Überzeugungen einfach mit Mantel und Hut unten an der Garderobe ab. Du denkst wohl, die arbeiten hier freiwillig, red dir doch ein, dass sie es immerhin hier besser haben als auf der Straße, stimmt’s nicht ? Manchmal kotzt mich die Heuchelei der Menschheit, oder präziser die des männlichen Teils, dem ich auch angehöre, einfach nur an.
Am liebsten würde ich jetzt aufstehen und nach Hause gehen und sofort ein neues Pamphlet schreiben. Darüber, dass es für Mädchen und Frauen aus den unteren Schichten kaum eine Möglichkeit gibt, sich selbst aus der Unterdrückung durch ihre Herren zu befreien, seien es Ehemänner, Grundherren oder ihre eigenen Brüder, außer sie flüchten in irgendeine Stadt. Und da führt sie der Weg dann meistens in die Bettlerei, oder ins Bordell. Oder ins Gefängnis. Oder gleich in den Freitod. Die haben sehr zugenommen in den letzten Jahren. Freitod. Warum wohl? Ich habe mich in Rage gedacht (das kann ich gut) und greife mir mein Hemd.
„He, halt, Camille, dageblieben, du kannst nicht unverrichteter Dinge einfach abhauen, komm her, Rose gehört dir, da, du kannst sie gleich für dich allein haben.“ Georges rupft mir das Hemd aus der Hand und schiebt mir gleichzeitig die aufgeschnürte Rose zu, wie ein Lämmchen dem Wolf. „Verdammt, zieh endlich deine Hose aus, oder soll ich dir etwa behilflich sein?“ schnauzt er mich an. Hose runter, zu Befehl. Damit es voran geht, legt Rose ihre Arme um mich und küsst mich zärtlich auf den Mund. In meinem Kopf tönt mein letzter Gedanke nach, Freitod, Freitod hallt es. So wird das nichts. Rose merkt dass ich ganz woanders bin und fährt schwerere Geschütze auf. Ihre weichen Hände wandern in Richtung meiner Körpermitte und ihre Zunge spielt in meinem Mund mit meiner. Freitod, Freitod, hämmert es in meinem Schädel. Es reicht nicht. Georges, splitternackt, läuft zum Tisch und schenkt sich ein Glas Wein ein. Er schaut aus dem Fenster. Rose müht sich redlich mit allem, was sie hat, mich irgendwie in eine beischlaffähige Form zu bringen. Ach, liebe Rose, es liegt nicht an dir, ganz sicher nicht. Der dumme Camille leidet an der Ungerechtigkeit und Grausamkeit der Welt. Er will sich den Schmerz von der Seele schreiben.
Aber Rose gibt nicht auf, sie weiß, dass sie hart arbeiten muss für ihren Lebensunterhalt, das hat man ihr schon früh beigebracht. Und dieser spezielle Kunde hier ist ihr ans Herz gewachsen. So sanft und fast schon liebevoll behandelt er die Mädchen, nie verlangt er etwas, das sie nicht zu geben bereit sind. Er ist geduldig und hört zu, er lacht und tröstet. Er ist so „menschlich“, sagen sie alle. Weil er Camille ist.
Unter Aufbietung all ihrer Erfahrung und Raffinesse, hat es Rose doch noch fertig gebracht, mich annähernd einsatzbereit zu kriegen. Als ich zum Vollzug schreite, spüre ich wie feucht sie ist. Das hat mich schon immer über die Maßen erregt. Sofort werde ich fast schmerzhaft hart. Mein Herz rast. Die warme Nässe in ihr macht mich wahnsinnig, ihre Beine schlingen sich um meine Hüften. Sie zieht mich zu sich herunter und küsst mich leidenschaftlich. Ihre Stimme flüstert mir Liebkosungen ins Ohr. Spielt sie das alles nur ? Ich habe mal von einem Arzt gehört, dass Frauen nur dann da unten feucht werden, wenn sie echte Gefühle für einen Mann empfinden. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber gerade will ich es glauben. Ich bin schon fast auf dem Höhepunkt, ich keuche und stöhne und bewege mich immer schneller.Rose schaut mich an, sie sieht mir direkt in die Augen und hält mein Gesicht mit beiden Händen. Ihr Blick sagt mir, ich lieb dich, in diesem Moment liebe ich dich, du bist bei mir, ich sehe dich wie du bist. Das ist Zuviel für mich, ich kann es nicht mehr halten. Eine Welle der Lust packt mich und überrollt mich so heftig, dass ich fast ohnmächtig auf ihren Körper falle. Tränen schiessen mir aus den Augen. Rose hält mich fest, sie streichelt mein Haar und macht „Sh, sh, ist ja gut“. Ich heule wie ein kleiner Junge.
Georges schaut verdutzt, ob meines Jammers und will gerade etwas sagen, aber Rose bedeutet ihm, dass er das besser lassen soll. Um meinetwillen. Ich kann nicht aufhören zu weinen, ich schluchze und bin, wie so oft, hilflos der Wucht meiner Gefühle ausgesetzt. Was ich eben gespürt habe, das war reine unverfälschte Liebe, ich kann es nicht anders ausdrücken. Diese Frau hier hat mir für einen Augenblick das schönste gegeben, was zwei Menschen sich geben können. Eine „käufliche“ Frau, die ich nicht wirklich kenne. In einem Bordell. In der großen Stadt Paris.
1786: Reinheit ist Gottgleichheit
Leute sagen mir ständig, wie hübsch ich bin, wie lebendig und witzig und treffend und schlagfertig ich schreibe (keiner sagt, dass ich schön rede, tja. Verdammtes Stottern). Mir fällt dazu nur ein, wenn das alles stimmt, warum bin ich dann immer noch ein armer Schlucker? Ein nichts, ein niemand? Mache ich zuwenig aus den Gaben, die mir die Natur der Meinung meiner Mitmenschen nach gegeben hat?
Manchmal merke ich, ich bin ein Vogel. Das ist kein Wunsch, ich träume auch nicht davon, ein Vogel zu sein, oder verzehre mich danach, ich bin’s einfach. Das Vogelsein kann ganz plötzlich kommen und gehen, ohne jede Gesetzmäßigkeit oder einen Auslöser. Der Vogel-Camille will dann hoch hinaufsteigen und seine Stelzen in die Tiefe baumeln lassen. Er weiss, dass er nicht fliegen kann, und versucht es daher nicht. Schaut mit seinen wimpernlosen Vogelaugen von ganz oben über seine Stadt, bis ihm schwindlig ist und er sich vor Angst, er könnte hinunterfallen, irgendwo festklammert und nach Hilfe piepst.
Georges Danton meinte einmal zu mir, ich hätte „F*** mich !“ auf meiner Stirn stehen. Wahrscheinlich war das sein Versuch, sich zu erklären, warum ich in Liebesdingen so beliebt war bei Frauen (und Männern). Er glaubt ja immer, dass nur seine Brutalo- Art der Männlichkeit einen Eindruck beim weiblichen Geschlecht hinterlassen kann. Ganz schön beschränkte Ansichten für einen gebildeten Menschen hat er da. Naja, sein Erfolg bei den Weibern verhilft ihm nicht gerade zu einer ausgewogenen Meinung über sich selbst. In Wahrheit mache ich so gut wie gar nichts, meistens sitze oder stehe ich nur rum, halte möglichst meinen Mund (aus Gründen) und blinzle lächelnd in die Gegend. Mittlerweile bin ich einigermaßen kurzsichtig geworden, die viele Schreiberei nachts bei schlechtem Kerzenlicht. Irgendwer nimmt mich dann am Ende des Abends mit zu sich nach Hause, wie eine Puppe, die einem leid tut, weil sie so verloren und traurig von ihrem Besitzer sitzen gelassen wurde. Wenn ich es recht überlege, passiert das ziemlich oft. Vielleicht sollte ich meine Stirn mal genauer anschauen. Egal, jedenfalls habe ich keinen Mangel an beichtfähigen Sünden des Fleisches. Da trifft es sich gut, dass ich die Kirche, diese korrupteste aller blutrünstigen Geiseln des Volkes, kategorisch ablehne.
Unsere Mutter Kirche sagt uns ja, wie wir zu leben und zu handeln haben, was Sünde ist und was uns ins Paradies oder den Himmel bringt. Und wenn wir schwach und sündhaft sind, wie wir das wieder gut machen können. Aber nachdem solche geistigen Giganten wie Montesquieu, Diderot, Voltaire und der göttliche Jean-Jacques (Rousseau!!) uns das Licht ihrer Erkenntnisse geschenkt haben und die Leute nun offiziell ihren Verstand gebrauchen dürfen, ging und geht es mit dem Einfluss der Patres und Hochwürden stetig bergab. Die Schäflein laufen den guten Hirten zunehmend eifriger von dannen. Es bilden sich neue, von der kirchlichen Lehre unabhängige Moralvorstellungen. Manche meinen, es gäbe gar keine Moral mehr, aber das ist natürlich nicht wahr. Die Bandbreite an Ansichten, was moralisch oder tugendhaft ist, hat sich verbreitert, es gibt eben nicht mehr nur eine einzig wahre Sichtweise. Ich habe mir nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht, ob ich ein moralischer Mensch bin bzw. was ich für tugendhaft halte. Vielleicht glaube ich, dass mich mein Kampf für die Rechte und das Wohlergehen meiner Mitbürger davon freispricht, mir noch darüberhinaus diese Fragen stellen zu müssen. Genügt doch, wenn ich mein Leben für Euch aufs Spiel setze, oder? Das brauch mir niemand mehr mit Tugend und so zu kommen. Ich weiß, dass ich einen schlechten Ruf habe.
Ganz im Gegensatz zu Maxime, der einen ausgezeichneten Leumund genießt. Er beschäftigt sich viel mit solchen Themen, wie der von ihm als vertu bezeichneten inneren Tugend des Menschen, die einen zentralen Anker in seiner patriotischen Gedankenwelt einnimmt. Einmal bin ich ausgerastet, weil Maxime es fertig gebracht hat, in einem ewig langen Monolog zu meiner Erbauung oder Bekehrung oder sowas ähnlichem, mindestens 100 mal „vertu“ zu sagen.
1789: Gute Patrioten
„W-W-was willst du denn von mir? Soll ich mich e-etwa ins Gefängnis schreiben? Du weißt ganz genau, das sie das so nicht hinnehmen werden, d-d-die finden mich und da-ann ist a-alles aus.“ Marat zieht eine Flunsch, sein Gesicht sieht dieser Tage aus, als wäre es mit Säure übergossen worden. Er hat eine schlimme Hautkrankheit. Macht ihn nicht anziehender, passt aber ganz gut zu dem ätzenden Zeugs, das er jede Woche in seiner Zeitung „L‘ami du peuple“ über die bestehende Regierung, die Aristokraten im allgemeinen und im speziellen über den König bzw. seine österreichische Schlampe (seine Wortwahl, nicht meine) ausgießt. Mittlerweile wird er mit seinem Blatt so sehr identifiziert, dass „der Volksfreund“ sich als sein Spitzname etabliert hat. Er schreibe ja für die kleinen Leute, behauptet er. Wenn ich mir dann die letzte Ausgabe durchlese (immer gut, die Konkurrenz im Auge zu behalten), dann frag ich mich, wer von seinen Adressaten etwas mit Diogenes oder Aristides anfangen kann. Die kommen nämlich häufig bei ihm zu Wort.
Grade hat er mich gefragt, ob ich einen Gastbeitrag über die seiner Meinung nach erbärmlichen Zustände in den Tapetenfabriken des „Ausbeuters“ Reveillon für sein Blatt schreibe. Als ich ja sage und mich dann gleich hinsetze und einen Entwurf mache, fängt er an, mir Vorgaben zu machen, was ich reinschreiben soll. Nämlich seine ultra extremen Ansichten über jeden, der mehr Geld als er selbst verdient. Oder besitzt. Freiwillige Armut ist einer seiner Götzen, wovon sein Wohnviertel profitiert, denn unser aller Jean-Paul ist sein größter Wohltäter.
„Desmoulins“, er ist der einzige meiner sagen wir Mitstreiter, der mich nicht mit meinem Vornamen anspricht, „du schreibst wie eine verklemmte 13jährige Klosterschülerin, die sich in ihrer jungfräulichen Fantasie eine paar züchtige Gedanken über einen Volksaufstand im Bordell macht“. Das saß. In seinem Satz waren gleich drei Ausdrücke (verklemmt, jungfräulich, züchtig), die so gar nicht zu meinem sorgsam gehegten Selbstbild passen wollten. Weswegen sie mich empfindlich trafen. Außerdem konnte ich sowieso nie gut mit Kritik umgehen. Ich wollte mir vor ihm aber keine Blöße geben, und schaute ihn nur kühl an. „W-w-wenn du willst, d-dass ich wie ein-n-ne durchgeknallte zotige K-Kanalratte klinge, dann schreib d-d-den Artikel doch selber, und frag nicht m-mich, Blödmann“. Marat lachte heiser und fletschte dabei seine gelben Hauer in mein Gesicht. Er mochte mich, damals. „Jetzt reg dich doch nicht gleich so auf,“ ich war für mein Verhältnisse seeeehr ruhig, „ich will dir nur ein paar Anregungen geben, was meine Leser so erwarten, mehr nicht. Was du dann draus machst, überlasse ich dir. Bring mir den Entwurf, wenn du fertig bis, ja?“ Er hinterließ einen Geruch nach Schwefel und Salpeter. Ich konnte gerade noch den Reflex unterdrücken, mich schnell zu bekreuzigen.
17xx (ich weiß es nicht mehr): schmutziges Eis
Mit dem Typen stimmte irgendetwas nicht. Maxime hatte ihn zur Abendgesellschaft bei den Duplays mitgebracht. Als Max ihn vorstellte, fiel mir ein, dass er mir mal vor einiger Zeit geschrieben hatte, es ging glaub ich, um ein Versepos, das er veröffentlichten wollte, oder so. Eigentlich passte er genau in mein Beuteschema: groß, gut gebaut, blaugraue Augen in einem viel zu schönen Gesicht, eine tiefe klare Stimme wie ein Bariton. Akkurat bemessene Bewegungen, hochmütiges Gebaren und natürlich dafür viel zu jung: 23 Jahre oder um den Dreh, wenn ich mich richtig erinnere. Ich schlendere geschmeidig zu ihm hinüber. „L-Louis-Antoine, w-w-was machen Sie denn zurzeit ? Schreiben Sie noch? Ein neues Gedicht?“ Schleim-schleim. Hatte ich es so nötig? Er schaute auf mich hinunter. Ich strahlte ihn an. „Nein. Man hat mir zu Verstehen gegeben, dass mein Talent als Poet eher bescheiden ist.“ Seine Miene war ausdruckslos. „A-a-aber lassen Sie sich doch nicht davon abschrecken, ich zum Beispiel, habe J-j-jahre gebraucht, bis ich mal ein wenig Erfolg hatte mit meinem Geschreibsel. A-lso nur Mut, geben Sie nicht auf, wenn die Schriftstellerei ihre B-Berufung ist.“ Strahl-strahl. „Mit Verlaub, Desmoulins“, (!!!), „Sie widersprechen sich. Sie selbst waren es doch, der mir auf mein Schreiben, in dem ich Sie um eine Rezension bat, nicht mal geantwortet hat.“ Touché, Monsieur Saint-Just ! Ich wusste immer, meine Faulheit würde mich noch eines Tages in Plümeranzen bringen. Er dreht sich zu Max um, und lässt mich mit meinem dämlichen Strahlen im Gesicht stehen. Ich glaub, das wird nichts mit uns beiden.
Mir machen Peinlichkeiten eigentlich wenig aus, ich gerate quasi ständig (meinem anrüchigen Privatleben sei Dank) in die absurdesten Situationen, da bekommt man mit der Zeit ein dickes Fell. Mehrere Ehemänner haben mich schon zum Duell gefordert, aber ich bin ja kein Adliger, dem die „Ehre“ oder was auch immer, mehr Wert ist, als das eigene Leben. Außerdem sind meine Fechtkünste eher mäßig gut. Also habe ich die Angebote dankend abgelehnt. Einmal hat mich ein Dame der Gesellschaft so geohrfeigt, dass ich eine Woche lang auf meinem linken Ohr fast taub war. Ihr Mann wollte sie (angeblich wegen mir) verlassen, wir hatten etwas ganz Lockeres am Laufen, und er war wohl nicht besonders diskret. Sie hat es rausbekommen und uns quasi in coitu erwischt. Ich musste es dann ausbaden.
Die Begegnung mit Saint-Just ging mir unerklärlicherweise unter die Haut und von da direkt in meinen Magen. Da lag sie dann, hart und unverdaulich und spielte mit meinen Nerven wie auf einem Cembalo. Es bedurfte mehrerer Branntweingläschen, bis ich mich wieder in den Griff bekam. Seit diesem Abend beobachte ich ihn, den schönen Louis-Antoine. Ganz genau. Und ich sage Euch, mit dem ist was faul.
1794: keine Worte
„Camille verliert sich.“ Das soll er gesagt haben, er, Maxime, den sie inzwischen „L‘incorruptible“ nennen. Den Unbestechlichen. Was sind dann wir anderen? Die Bestechlichen oder gar die Bestochenen? Sei still, Camille, halt einmal dein dummes Lästermaul. Du hast Frau und Kind, denk dran, bevor du deinen Mund aufmachst. Oder zur Feder greifst.
Ich habe nicht an Lucile und Horace gedacht, oder, obwohl das stimmt nicht, das kann ich ja gar nicht. Meine beiden sind immer in meinen Gedanken, auch wenn es nicht so aussieht. Trotzdem oder gerade deshalb habe ich geschrieben, was ich für notwendig hielt. Meine Freunde haben mich gewarnt. Sie haben uns gewarnt, mich, Danton, Fabre und Hérault. Dass wir die nächsten sein werden. Georges hat erstmal gebrüllt vor Lachen. „Das werden sie nie und nimmer wagen, die Hosenscheisser, ich bin immer noch Danton, das werd ich ihnen in ihre gepuderten Visagen eingravieren, wirst schon sehen“. Georges, der Kraftmensch, der Volkstribun. Unvernichtbar. Er ist puterrot im Gesicht und an seinen Schläfen treten die Adern hervor. Tatsächlich kann ich mir in diesem Moment nicht vorstellen, dass ihm irgendetwas oder irgendjemand etwas antun kann. Er wird jeden Angriff niederwalzen und sie in den Staub ihrer eigenen Tugendhaftigkeit treten. Die nächste Tirade kommt. „Robespierre, f****e“, spuckt er „wer glaubt er eigentlich, wer er ist? Dieser blutleere eingetrocknete Priester, diese versauerte Jungfrau, ich reiße ihm höchstpersönlich seine Eier ab, die braucht er ja eh nicht. Und Saint-Just, den werd ich so lange fi-“ Da muss ich einhaken. „Der schöne Louis-Antoine gehört mir“ kreische ich, „den kriegt niemand außer mir in die Hände!“. „Vergiss es, Camille, schau ihn und dich nochmal genau an, der wirft dich aufs Kreuz, und dann wirst du von ihm gef***t“. Fabre nimmt mir alle Illusionen. Hérault ist ganz blass und still. Er verbirgt als einziger seine Angst nicht (Marie-Jean, ich bewundere deinen Mut). Wir anderen wüten und schimpfen, was das Zeug hält.
Immer noch 1794, 5. April: bis hierhin und nicht weiter
Die hehren Taten und Gedanken sind alle zerbröselt. Hier, im Dunkel meiner Zelle in der Conciergerie. Ich picke die Krümel auf wie eines der kleinen fetten Hühner, die meine Mutter im Vorgarten meines Elternhauses in Guise hielt. Das war vielleicht so um die 1765 herum. Also, ich meine das mit den Hühnern, jetzt haben wir den 5. April 1794. Ach, nein, verdammt, ich meine den 16. Germinal, ans II de la République, unie et indivisible. Der vermaledeite neue Kalender. Ist eh egal. Heute werde ich sterben, nach der alten oder neuen Zeit, das kommt aufs selbe raus. Tot ist tot. Ein Rendezvous mit Madame Guillotine.
Bis zuletzt habe ich noch gehofft, dass sie mich verschonen. Ich war naiv, man hat mir oft gesagt, dass ich wie ein Kind wäre. Sie hatten recht. Ich bin nie erwachsen gewesen. Der Narr der Revoution. Immer habe ich über alles und jeden gespottet, nichts nahm ich lange ernst. Einen Spiegel wollte ich ihnen vorhalten. Sowas verzeihen einem das Leben und erst recht die Leute nicht. In meinem Fall, waren es vor allen anderen der Eisprinz Louis-Antoine und Maxime, mein unbestechlicher ehemaliger Freund. Ach, Max, was hat der kalte Engel dir versprochen, damit du mich opferst? Oder hast du in meinem Spiegel was gesehen, was dich zu Tode erschreckt hat?
Erinnerst Du dich noch an unsere Schulzeit im Louis-le-Grand? Du warst zwei Jahre älter (und bist es noch) und ich war 14 und glühend in deine Ernsthaftigkeit verliebt. Hast du natürlich nicht gemerkt. Du warst, wie ich auch, nie ein guter Menschenkenner.
Ich lasse meine geliebte Frau Lucile und meinen kleinen Sohn Horace zurück in dieser verrückten Welt. Horace, er ist noch nichtmal zwei Jahre alt. Ich habe es immerhin auf 34 Jahre gebracht. Es hat ein Ende mit dem Gelächter und dem Spott. Sie kommen mich holen. Der Narr muss schweigen. Ich, Camille.
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traumzeitlos · 2 months
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Fanny
„ Citoyen, je voudrais bien te peinturer. Pour moi, tu es la personification de l‘ésprit de la révolution.“ Fanny looked at him, searching for approval in his eyes. He smiled, not a broad smile, but a delicate twitch of the lips, a little ironic, but not mockingly. „I am a good painter, especially when it comes to portraits, let me show you some examples, here, you see?“ She had brought a choice of her latest and - according to her father, who was a painter of some renown- best works with her, to impress and win over her new client to be. It was to be her masterpiece, the portrait of Camille Desmoulins, famous revolutionary and journalist, lawyer and conventionnel. The friend of both such eminent republicans as Danton and Robespierre.
At this stage of her career, Fanny usually had to pick her clients from the ever growing crowd of young, ambitious but penniless professionals who would like to make it in Paris and hoped to become the next hot talk of society. They could not afford the services of her father, but wanted the name Boze nonetheless signed on their portraits. What they could pay her for her art didn’t normally cover her expenses, but she saw it as a good practice and hoped, come time, herself to gain the one commission that would propel her to fame. And then to make a fortune, like her father had.
What did cover her expenses at the moment, was what she discreetly sold through an agent in the shabby alleys surrounding the Palais Royal arcades. There was a steady demand for erotic pictures of any sort, of varying degrees of explicitness and quality. Fannys‘s works, of course, were excellent quality and catered for the more exigant tastes of rather well-off customers who were willing to pay the exorbitant prices her agent asked. It suited her well, she had made a good deal, 80 percent of every purchase went to her purse.
Apollon. Or, Dionysos? Marble, cold and dead, but the young man who was standing model for her, was warm flesh, velvet skin and luscious lips. „Good, yes, like this, the upper arm a bit more to the left, yes that’s enough“. Pan. Faun. „Now lower your head, I want your eyes here, that’s good, now hold that…“. Satyr. I’ll paint him horned like a ram, like Alexander the Great on his coinage. „Wait…I’ll arrange you..there..“ She pulled his legs a bit more apart and darted back to her easel, tackling, targeting and taking in the naked body on the canapé with expert eyes over her paint brush, one eye closed. Oh. Priapus? „I‘m sorry, Mademoiselle Fanny“ he said, blushing, but his deep calm voice was steady and anything but awkward or apologetic. She wondered, not for the first time, if ever
„I suggest a break, have you even had something to eat today?“ He hadn’t, so Fanny went out and ordered her maidservant who was standing guard at the door for various reasons to go and fetch a meal from one of the nearby cafes. The warm food they were soon served was doing them good.
Where are you from? She was curious. You dont look like a Paris guy. No, he came from the nivernais. But he didnt want to Go back there. If he could make Paris his home that was.
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traumzeitlos · 2 months
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I have lost it. It was a good piece of art, planned to be published. And gone now. How could that have happened?
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traumzeitlos · 2 months
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J‘ espère que le temps se passerai vite. Quand veux-tu vivre? Les mots sont comme couteaux, ils lachent ma peau. Ensemble il y a de la force et un avénir. Sera tu là au coté de moi?
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traumzeitlos · 3 years
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Glaubst du an dich? Wer glaubt an mich? Neue Liebe, wo bist Du? Alte Liebe....Verliere mich, lass los und geh. Licht will herein, wo kann es durch? Bist du bereit? Nie. Zerstören will ich. Um. Mich.schlagen. Was nicht kaputt geht, tret ich raus. Würgend kam es. Ging nicht, riss mich durch. Frag nicht, klare Gedanken sind fern von hier gestorben. Licht aus.
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traumzeitlos · 3 years
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Blackest black, deepest deep
Going nowhere, time will sweep
my heart to shores unearthly sad
beating myself up to mad-
ness, and fall to rugged ground
Where will I be finally found?
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traumzeitlos · 3 years
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Today feels like I’m going through a transformation, ever so slowly. What will I be?
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traumzeitlos · 3 years
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Wer von Euch ist wie ich und tagträumt sich weg aus dem realen Leben? Ich mache es stundenlang, will nicht zurück kehren, unerträglich.
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traumzeitlos · 3 years
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Gehe zurück in meine früheren Jahre, finde ich mich dort? Wer war ich, welche Träume waren da? Habe ich wirklich gelacht? Damals? Kranke Gedanken, Leere ist nicht heilsam, sie füttert den Schlund in mir. Pass auf, lass dich nicht verzaubern von dir. Wenn du gehst, will ich es hören. Wann gab es Licht, kriech in mich hinein, ich bin hohl, leuchte durch meine Haut. So kann man mich sehen, von aussen und von innen.
Going back in the years, do I find myself? Who I was, which dreams I had? Did I really laugh? Back then? Sick thoughts, emptiness doesn’t heal, it feeds the abyss in me. Watch out, don’t get enchanted by yourself. If you leave, I want to hear it. When was there light, crawl into me, I am hollow, shine through my skin. So that I can be seen from the outside and from inside.
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traumzeitlos · 6 years
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Krebs
Krebs kann man nicht aufessen, er isst dich auf, verschlingt deine Träume und
dreht deine Welt um, lässt dich versteinern und wühlt dich auf. Krebs kann alles.
Verlass dich selbst nicht, du bist dein Halt und Schutz. Weine deine Tränen, falle tief, gib nach, gib auf, geh unter. Rette dich, lass los und atme. Hol aus, schlag um dich. Krebsgetier, knackt unter meiner Faust, tret ich dich zu Scherben, kehr dich zusammen und werf dich weg.
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traumzeitlos · 6 years
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traumzeitlos · 6 years
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Mood today
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traumzeitlos · 6 years
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Mood today
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traumzeitlos · 6 years
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Es geht wieder los
Ich werde hineingezogen in meine Traumwelt und verliere den Anschluss an das echte Leben. Tschüss, bis bald hoffentlich.
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traumzeitlos · 6 years
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Ich jetzt
Ich bin unsichtbar und still.
Schweige, komme was da will.
Stehe nicht mehr auf,
egal ist mir der Weltenlauf.
Wer hat mich nur so gemacht ?
Weiß ich nicht, hast Du gedacht.
Keiner hat darauf ne Antwort,
und so geht mein Leiden fort.
Ich bin unsichtbar und still.
Nicht, weil ich es gern so will.
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traumzeitlos · 7 years
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Depression
Gedanken heute morgen: versuche, wenn du kannst, zu duschen und dich einzucremen, so bekommst du wieder ein paar Anknüpfungspunkte zu deinem Körper. Liebe dich selbst ist ein hehres Ziel, aber unendlich weit weg. Es hilft, sich anzufassen und sich zu spüren, das geht ganz gut über die Körperpflege, wenn du dich getrennt von dir selbst fühlst. Ich schaue dabei nicht in den Spiegel, das ist unerträglich, aber das ist auch nicht nötig dazu. Kauf dir ein schönes duftendes Duschgel und eine Körperlotion und stelle sie sichtbar in dein Badezimmer. Sag dir, das ist nur für mich, ich bin es wert, dass ich mich damit pflege. Benutze es, so oft es dir möglich ist. Ich weiß, das wird nicht jeden Tag machbar sein, aber jedes Mal ist gut für dich und bringt dich dir näher.
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traumzeitlos · 7 years
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War gerade für ein langes Wochenende im Kloster (https://www.kloster-gnadenthal.de), das Motto war "Finde deine Lebensspur", die äußere Form waren Gebetszeiten, Impulse und Geschichten aus der Bibel, Mahlzeiten und durchgängiges Schweigen. Eine neue und tolle Erfahrung für mich, die ich sicher wiederholen werde wenn es die Zeit und Umständen erlauben. Das Schweigen in Gemeinschaft war für mich anfangs nicht leicht, in den Zeiten in denen ich mit mir selbst allein war, war es als ob ich durch Sie stille Raum gewinnen würde, mich auszudehnen und größer zu werden. Ohne Erwartungen, ohne Pflichten,u nur Können. Ich müssen, konnte ich den inneren Dialog lauter und klarer hören. Die Natur hat mir dabei sehr geholfen, ich war viel draußen, das tat sehr gut. Mir kam immer wieder der Gedanke in den Sinn, dass ich Gott in der Natur suchen soll, wenn ich ihn treffen möchte, dann finde ich ihn für mich am ehesten draußen. Ein Vers aus einem Psalm hat mich getroffen und ist mir im Gedächtnis geblieben, da heißt es "Ich danke dir dass ich wunderbar gemacht bin" oder so ähnlich. Wenn ich das zutiefst glauben und annehmen könnte, wäre das ein großer Schritt auf meinem Lebensweg.
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