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queers-at-the-theatre · 3 months
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Olgas Geschichte in Kaczmarczyks "Cabaret"
Auf diesem Account wurden bereits viele hervorragende "Cabaret" Kritiken gepostet, und obwohl ich ebenfalls der Meinung bin, dass die Show insgesamt ein Meisterwerk ist, werde ich in dieser Rezension ausschließlich über die Figur sprechen, die mir am meisten am Herzen liegt.
Olga.
Olga wird uns gleich zu Beginn des Musicals als eines der "KitKat-Girls and -Boys" vorgestellt. Der Schauspieler Yaroslav Ros spielt im Laufe des Stücks noch einige andere Figuren, aber in meiner Interpretation ist die folgende Geschichte ausschließlich Olgas.
Olga tanzt im Club, hat aber keine große Rolle in irgendeiner Nummer, sondern ist immer nur Teil der Nebentänzer:innen.
Nach der Pause sehen wir, wie Olga als Clown auftritt, mit mäßigem Erfolg jongliert, um das Publikum zu erfreuen, und in einem ärmellosen Hemd friert. Zwei Nazis kommen auf Olga zu und bieten einen Mantel an, weigern sich aber, ihn auszuhändigen, bevor Olga nicht für sie tanzt. (Hier führt Yaroslav eine beeindruckende Stepptanz-Nummer auf)
Olga verdient sich den Mantel, schließt sich den Nazis an und wird später Herrn Schulz in seinem Laden belästigend gezeigt, um den anderen Nazis zu gefallen.
Warum bin ich überzeugt, dass es hier um Olga geht und nicht um eine andere von Yaroslavs Figuren?
Olga wird später noch einmal gezeigt, wieder in einer kleinen Rolle im Kitkat Club, aber trägt jetzt ein Hemd mit dem Symbol der Nazis darauf.
Hier ist, was ich bisher noch nicht erwähnt habe: Ich schrieb, dass die Jongleur-Vorführung direkt nach der Pause stattfindet. Eigentlich findet sie noch in der Pause statt. Das Ende der Pause wird dadurch signalisiert, dass die beiden Nazi-Figuren die Bühne betreten, aber vorher, während alle ihre Plätze suchen, steht Yaroslav auf der Bühne und jongliert eine ganze Weile vor einem abgelenkten Publikum. Er mimt offensichtlich, dass ihm kalt ist (das Theater darf nur auf 19° geheizt werden und er trägt nur ein ärmelloses T-Shirt, also ist es vielleicht nicht einmal komplett gespielt) und bittet die zurückkehrenden Leute um ihre Mäntel. Und das Publikum ist in vielen Fällen bereit, sie ihm zu geben. Ohne Fragen zu stellen. Ohne vorher eine besondere Vorstellung zu verlangen. Wenn ihm ein Mantel ausgehändigt wird, bedankt er sich ausgiebig und versucht sich meist an irgendwelchen Jongliertricks, aber all das geschieht, nachdem ihm die Mäntel bereits ausgehändigt wurden, im Gegensatz dazu, wie die Nazis Olga nach ihrer Pfeife tanzen lassen, bevor sie den Mantel überhaupt aushändigen, und natürlich auch danach.
- Lauri
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"Lernt schwimmen." - Fabian oder Der Gang vor die Hunde im Schauspiel Stuttgart 💚
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„Sind Sie vom Haus?“, fragt mich die Dame im Shop freundlich, als ich mir meinen obligatorischen Merch und ein Programmheft kaufe. Leider nein, ich bin tatsächlich erst zum zweiten Mal bewusst hier im Schauspiel Stuttgart, aber ich werde unter Garantie in Zukunft öfter hier sein (und nicht nur, weil ich wahnsinnig gespannt auf Eure Cabaret Produktion im März bin). Fabian oder Der Gang vor die Hunde von Erich Kästner, inszeniert von Viktor Bodó, hat zu diesem Entschluss in jedem Fall einiges beigetragen.
Genau wie das wunderbare Buch, auf dem es basiert, schafft es die Inszenierung, bunt und groß und laut und lustig, aber gleichzeitig auch wahnsinnig feinfühlig und berührend zu sein - und extrem aktuell, trotz oder gerade wegen der Zeit, in der das Geschehen spielt.
Das Stück startet direkt mit einem wortwörtlichen Knall, und genau so geht es auch weiter. Das sich drehende, vielseitige und detaillierte Bühnenbild, vor allem der Club zu Beginn, sowie die tollen Kostüme entführen vom Look her direkt ins Jahr 1930. Es wird gesungen, getanzt und eine Discokugel über die Bühne gefahren (was nebenbei bemerkt einen sehr schönen Effekt an der Saaldecke erzeugt). Man sieht gerne zu und lässt sich von dem großen, gut gelaunten Ensemble mitnehmen, dessen Mitglieder teilweise eine ganze Reihe von unterschiedlichen Rollen übernehmen.
Irene Moll (Therese Dörr), die die hier mitsamt ihrem Mann (Michael Stiller) eigentlich fast liebenswürdig ist, würde man nur gerne ein paar Takte über Consent zurufen, wenn sie direkt mit Augenbinde und Seilen um die Ecke kommt, aber es sei ihr (und dem Publikum) gegönnt.
Für die Szene im Atelier von Ruth Reiter (Sylvana Krappatsch) werden alle Geschütze der Bühnentechnik aufgefahren und ein kleiner, rot beleuchteter und „benebelter“ Raum unter der Bühne kreiert. Auch hier noch einmal Lob und Liebe in Richtung Kostüm - Kleider für die Herren und Anzüge für die Damen.
Wahnsinnig viel Spaß machen auch die vielen aber doch gut dosierten Durchbrechungen der „vierten Wand“, wenn zum Beispiel Labude (Felix Strobel) seine Requisite „vergessen“ hat und das Publikum um Zigaretten bitten muss, unter Beteiligung von Lichttechnik („Jörg!“ Schuchardt), Maske und anderen eine große Umbauaktion stattfindet, oder die Souffleurin der Vermieterin Frau Hohlfeld (auch großartig: Gabriele Hintermaier) „zu Hilfe eilen“ muss.
So schnell, bunt und stimmungsvoll die erste Hälfte ist, kippt die Situation bald nach der Pause in verschiedene Richtungen, für Fabian sowohl privat als auch beruflich. Die, wie Kästner in einem Vorwort zu seinem Buch 1946 schrieb, „der wirtschaftlichen folgende seelische Depression“ hinterlässt ihre Spuren, bei allen Figuren. Besonders berührend und mit wie ich fand beeindruckender Leistung von Gábor Biedermann und Felix Strobel (der mir auch schon im Besuch der Alten Dame aufgefallen war und auf den ich mich sehr in Don Carlos freue, ebenso wie auf Gábor Biedermann in Cabaret) ist dann der schlimme und traurige „Höhepunkt“: die Szene, in der Labude Fabian seinen Abschiedsbrief vorträgt. Sein Ende ist leise, der Schuss bleibt ohne Ton. Ein krasser Kontrast vor allem zur ersten Hälfte der Inszenierung, was es aber umso eindrucksvoller wirken lässt.
Schnell kommt dann auch das recht abrupte Ende des Stücks. Wenn Fabian uns von seinem Ertrinken - beim Versuch, einen Jungen eben davor zu retten - berichtet und dafür in die Ich-Form wechselt, während der Erzähltext sonst immer in der außenstehenden Perspektive der Vorlage belassen wurde, horcht man bereits auf. Doch dann geht der Text unerwartet (zumindest, wenn man den Roman kennt) weiter, schlägt einen Bogen zurück zu einer Textstelle, die ich sowieso wahnsinnig gern habe: „Ich weiß ein Ziel, aber es ist leider keines. Ich möchte helfen, die Menschen anständig und vernünftig zu machen. Vorläufig bin ich damit beschäftigt, sie auf ihre diesbezügliche Eignung hin anzuschauen.“ Es folgt der Bezug zur damaligen Zeit, zum Krieg, zu Labude, der Politik und zu Europa - und damit auch zur Gegenwart. „Und jetzt sitzen wir wieder im Wartesaal, und wieder heißt er Europa!“ Erstaunlich und traurig eigentlich, dass dieser Text heute wieder oder immer noch genau so funktioniert.
Der (übrigens voll besetzte) Saal wird dunkel, aber über der Bühne leuchtet ein Schriftzug auf: „Lernt schwimmen.“ Der Applaus ist laut zum Abschluss dieses tollen Theaterabends, der mir auf jeden Fall sehr lange in sehr guter Erinnerung bleiben wird. Wenn möglich, würde ich die Erinnerung sogar gerne mit einem zweiten (oder dritten) Besuch auffrischen und noch Neues daran entdecken.
(Trystan)
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Kleiner Mann - was nun?
Ich habe in diesem Jahr viele ganz verschiedene Stücke in Düsseldorfer Schauspielhaus gesehen. Die meisten haben einen tiefen Eindruck hinterlassen, mich zum Nachdenken angeregt, unterhalten, bewegt. Doch die erste Inszenierung, die ich 2022 dort gesehen habe, hat mich vielleicht am meisten angerührt. Mittlerweile habe ich Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ (Premiere am 08.10.2021) in der Regie von Tilmann Köhler viermal gesehen und finde das Stück immer noch sehr bewegend.
Es ist eine einfache Geschichte, die aus dem Jahr 1932 stammt, aber in etwas anderer Form heute immer noch passieren kann, weil es um ganz wesentliche Dinge geht. Eine Frau und ein Mann begegnen sich, verlieben sich, zeugen ein Kind. Beschließen, zusammen zu bleiben, eine kleine Dreiereinheit namens Familie zu bilden. Nur ist diese Familie bedroht, durch soziale Unsicherheit und Armut. Das Gespenst der Arbeitslosigkeit lauert wie ein Schatten im Hintergrund, schon lange, bevor Hannes Pinneberg tatsächlich seine Stelle verliert und mit seiner Familie letztlich in einer ärmlichen Gartenlaube unterkommt.
In einer sehr eindrücklichen Szene geht er durch den Kleinen Tiergarten, nachdem er gerade eine Stelle in einem Berliner Warenhaus angenommen hat. Doch er kann sich nicht darüber freuen, weil er sich jetzt schon mit den vielen Arbeitslosen identifiziert, die den Park bevölkern. Äußerlich gehört er noch zu den Bessergestellten, trägt einen präsentablen Anzug, hat eine Aktentasche dabei, doch im Inneren fühlt er sich schon jenen zugehörig, die ihre Arbeit, den Anker, der sie in der Mitte der Gesellschaft hält, verloren haben. Und auch bei ihm ist es nur eine Frage der Zeit, bis er die extremen Anforderungen seines Arbeitgebers nicht mehr erfüllen kann und auf der Straße steht.
Der Leistungsdruck, ein sehr moderner Gedanke, wird von Hans Fallada bereits thematisiert. Kaum erfüllbare Verkaufsquoten bilden das Sieb, durch das alle fallen, die ihr Soll nicht schaffen. Fallada hat den Roman vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise angesiedelt, doch viele Elemente finden sich auch in unserer heutigen spätkapitalistischen Gesellschaft wieder. Die Gefahr, aus dem Mittelstand ins soziale Abseits zu geraten, gedemütigt zu werden, sich außen vor zu fühlen, seinen Selbstwert zu verlieren, ist immer noch präsent.
Nun ist die Inszenierung sehr viel weniger trübe, als die Zusammenfassung vielleicht klingt. Sie ist sogar sehr bunt und lebhaft und liebevoll, was die letzte halbe Stunde, in der Hannes Pinneberg endgültig in die Verzweiflung kippt, umso eindringlicher macht.
Kern des Bühnenbilds von Karoly Risz ist ein riesiges Hamsterrad, in dem Emma alias Lämmchen und Hannes rennen, um den Anschluss ans Leben nicht zu verlieren, und das Lea Ruckpaul und André Kaczmarzcyk körperlich viel abverlangt. Doch es ist mehr als eine Tretmühle des Alltags, denn zusammen mit dem schlichten Aufbau dahinter bildet es die ganze Welt des Stückes: die Wohnungen, die Arbeitsplätze, den Ostseestrand, an dem sich die beiden zum ersten Mal begegnen, das Kino und den Nachtklub, in dem sie ein einziges Mal ausgelassen feiern, die Gartenlaube und die Straßen von Berlin, in denen Hannes Pinneberg seine letzte Demütigung erfährt.
Doch nicht nur das Bühnenbild ist reduziert: Sämtliche Figuren werden von drei Darstellenden gespielt. Lea Ruckpaul, André Kaczmarczyk und Sebastian Tessenow wechseln elegant zwischen ihrer eigenen Hauptfigur und allen anderen hin und her, verwandeln sich von einer Sekunde zur nächsten in ihre Väter und Mütter. Das ist oft durchaus komisch, und so gibt es in der ersten Hälfte der Aufführung auch viel zu lachen. Wenn Lea Ruckpaul in die Rolle ihres Vaters schlüpft, der den zukünftigen Schwiegersohn zum Thema Gewerkschaft verhört, oder André Kaczmarzcyk seine moralisch schillernde, in manchen Aufführungen auch leicht beschwipste Mutter darstellt, ist das schon sehr lustig. Die hoffnungsvollen Haushaltskalkulationen auf der Kreidetafel wirken hier noch leicht und unbekümmert; sie sind wie zwei Kinder, die erwachsen spielen.  
Doch irgendwann kippt die Geschichte ins Dunkle, Bodenlose, in die Verzweiflung. Für mich liegt der Wendepunkt in der oben erwähnten Szene, in der Hannes von seinem Einstellungsgespräch kommt, oberflächlich betrachtet zufrieden sein müsste, da er nun in der Großstadt Berlin lebt und in einem renommierten Kaufhaus angestellt ist. Doch er wird die Angst nicht mehr los, sie hat in ihm Wurzeln geschlagen und wird immer weiter wachsen. Die Geburt des Sohnes bringt Glück, aber auch eine Verantwortung, die neue Ängste auslöst.
Seine Frau Emma, genannt Lämmchen, ist die optimistischere, stärkere von beiden, die Hannes immer wieder mit sich nach oben zu ziehen versucht. Das schwingt schon in der angedeuteten Hochzeitsszene mit, in der sie die Kleider tauschen. Lämmchen besitzt mehr innere Kraft, verliert aber nie die Achtung vor Hannes. Mehr noch, sie versucht, ihm seine Selbstachtung zu bewahren. In einem sehr bewegenden Moment gegen Ende des Stückes erklärt sie, warum ihr Mann auf gar keinen Fall verbotene Dinge tun soll. Denn sollten sie irgendwann wieder ein besseres Leben führen, würde die Scham darüber wie ein Schatten auf ihm liegen, und genau das will sie verhindern. Jemandem seine Schwäche zuzugestehen, ohne ihn dafür zu verachten, ist sicher ein großer Liebesbeweis.
Sebastian Tessenow als Holger Jachmann ist Emma ein Freund, der sicher zeitweise Hintergedanken hegt, sie sexuell anziehend findet, letztlich aber vor ihrer Liebe zu Hannes kapitulieren muss und ihr dennoch seine Hilfe anbietet.
Als ich das Stück zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich mich nicht mehr an das Romanende erinnern. Ich habe sehr um Hannes gefürchtet, dass er aufgibt, nicht mehr den Weg zurück in die Gartenlaube findet, dass Emma vergeblich auf ihn wartet. Dass Jachmann unrecht behält und Hannes sich sehr wohl etwas antut. Umso erleichterter war ich, dass es wenigstens einen Funken Hoffnung gibt, dass Hannes zwar von der Straße gestoßen wurde, aber nicht aus seinem Leben.
Ich kann diese emotionale Inszenierung mit vielen bewegenden Momenten sehr empfehlen. Lea Ruckpaul, André Kaczmarczyk und Sebastian Tessenow überzeugen in jedem Augenblick und haben sich in mein Herz gestohlen. (Fabian)
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Trauer ist das Ding mit Federn
Nach Cabaret soll dies wohl nun meine zweite Theaterkritik werden. Ich habe „Trauer ist das Ding mit Federn“ von Max Porter kürzlich zum zweiten Mal gesehen und es hat mich beide Male tief berührt. Dieses Theaterstück ist ein kleines Juwel, das ich ursprünglich nur besucht hatte, weil eine Arbeitskollegin es unbedingt sehen, aber nicht allein hingehen wollte. Manchmal ist es eben doch das sprichwörtliche Glück, zu dem man gezwungen werden muss. Ich hatte mich nämlich, um einmal ganz ehrlich zu sein, zunächst innerlich wirklich dagegen gesträubt, hinzugehen. Warum sollte ich mich freiwillig mit einem Stück auseinandersetzen, dessen Titel schon so depressiv klang? Dazu noch in der dunklen Jahreszeit. Zum Glück hatte die Arbeitskollegin nicht locker gelassen. 
Um nicht völlig unvorbereitet in das Stück zu gehen, hatte ich mir kurz vor meinem ersten Besuch des Stücks das gleichnamige Buch von Max Porter gekauft (wie so oft vor einem für mich neuen Theaterstück) und (ganz im Gegensatz zu sonst) auch tatsächlich vorher komplett durchgelesen. Nun war ich wirklich gespannt, wie man diesen Stoff auf die Bühne bringen würde. Vor allem wollte ich wissen, wie der Part der Krähe umgesetzt werden würde, bestanden ihre Texte doch scheinbar vorrangig aus einer wahllosen Aneinanderreihung von Wörtern. Nun, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Was mich von Beginn an jedoch fasziniert hatte, war der Gedanke, dass die Darbietung offenbar mit sehr viel Wasser verbunden sein würde, zumindest entnahm ich dies dem Plakat, an dem ich schon so oft am D’haus vorbeigelaufen war. (Sieht schon interessant aus... aber „Trauer ist das Ding mit Federn“? Nee, das muss ich mir nicht geben.)
Bei der für mich ersten Vorstellung hatte ich einen Platz vorne rechts gewählt, der sich jedoch als etwas ungünstig herausstellen sollte – zumindest, wenn man, wie ich, zur Gattung der Angsthasen gehört. Krähe, (wortwörtlich sowie im übertragenen Sinne) überragend gespielt von Kilian Ponert, lag bereits vor Beginn der Vorstellung langgestreckt am vorderen Bühnenrand. Krähe schien mich direkt anzusehen – mit einem Blick, der mich erschaudern ließ, die seltsamen Geräusche, die Krähe von sich gab, taten ihr Übriges. Kurz – ich wandte mich eingeschüchtert meiner Arbeitskollegin zu, um mich noch ein wenig mit ihr zu unterhalten, bis es losging, um dem durchdringenden Blick von Krähe zu entfliehen. Na sowas, ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich direkt zu Beginn fürchten würde! (Im Nachhinein betrachtet, sollte mich dies aber wohl vor allem darauf einstimmen, wie sehr das ganze Stück noch unter die Haut gehen würde...)
Die Geschichte selbst, ich versuche es hier ganz kurz zu fassen (für eine ausführliche Beschreibung zieht man besser die liebevoll gestalteten Programmhefte des D‘haus heran), handelt von einem Mann, dessen Frau unerwartet verstorben ist, und der seine beiden Söhne, kaum im Teenageralter, fortan allein großziehen muss. Alle drei versuchen, auf ihre Art und Weise mit der Situation zurechtzukommen. Bis sich eine Krähe zu ihnen gesellt und den Trauerprozess auf ihre ganz eigene Weise vorantreibt.
Das Bühnenbild des Stücks war sehr überschaubar gehalten oder, anders gesagt, derart reduziert, dass es keinerlei Ablenkung bot. Da war nichts Buntes, nichts Heiteres, dem man sich für einen Moment hingeben konnte, um auf andere Gedanken zu kommen. Die Bühne bestand aus einem mit Wasser gefüllten Becken, aus dem ein Teil eines Baumes herausragt, auf dem sich die Darstellenden gekonnt hin- und herbewegten. (Ich hatte trotzdem die ganze Zeit Angst, dass einer der Darstellenden da abstürzen könnte – während einer Führung im Central am Düsseldorfer Hauptbahnhof erfuhr ich allerdings zum Glück, dass die Oberfläche des Baums extra imprägniert ist und die Darstellenden spezielle Schuhe tragen – das hatte mich dann etwas beruhigt.) Was mich im Nachhinein noch immer verwundert, ist, wie gut die verschiedensten Szenen, die vornehmlich im Haus der nunmehr dreiköpfigen Familie spielten, vor dem Hintergrund dieses kargen Bühnenbildes funktionierten.
Und dann sind die Darstellenden jeder für sich eine Wucht. Sie durchlaufen in diesem Stück verschiedene Phasen der Trauer – sie leugnen, sind wütend, verdrängen, resignieren, fühlen sich ohnmächtig und nur allmählich beginnen sie, die neue Situation zu akzeptieren und so etwas wie Zuversicht zu finden. Und das auf so ehrliche und nahbare Weise, dass man zeitweilig vergisst, dass dies „nur“ Menschen sind, die diese Rollen spielen. 
Die Zuschauenden sehen dabei zu, wie Krähe sich in diesen Prozess immer wieder einhakt, die Gedanken an die verstorbene Ehefrau und Mutter immer wieder triggert, die drei erinnert, zwingt, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, keine Ruhe gibt, selbst oder vielleicht besonders dann, wenn die drei hinterbliebenen Familienmitglieder scheinbar auch wieder zaghaft damit beginnen, zu versuchen, ihrem Leben, das von einem schmerzlichen Verlust geprägt ist (und immer geprägt sein wird), neue, schöne Erfahrungen hinzuzufügen. So bringt Krähe den Vater in einer Szene schließlich auch dazu, endlich auszusprechen, was er fühlt („Mir fehlt meine Frau! Sie fehlt mir so sehr!“), anstatt sich in seine Arbeit zu flüchten. Es sind gerade die melancholischen, schwärmerischen Sätze und Rückblenden, die einen umhauen, die spüren lassen, wie sehr er seine Frau geliebt, wenn nicht gar vergöttert hat. Und man nimmt es ihm, Thiemo Schwarz, ohne Wenn und Aber ab. 
Die drei erleben natürlich auch das, was wahrscheinlich viele Menschen erleben, die den Verlust eines Angehörigen verkraften müssen; zunächst sind da Nachbar*innen, Freunde, Familienmitglieder, die vorgekochte Mahlzeiten vorbeibringen und sich erkundigen, wie sie helfen können. Bis sie es leid werden, das Interesse abebbt, die Trauernden lästig werden und sie ihnen bedeuten, dass es doch irgendwann auch einmal gut sein müsse … 
Aber Trauer ist eben ein sehr individueller Prozess. Jeder Mensch hat sein eigenes Ventil. Und das zeigt sich sehr anschaulich an den beiden Jungs, so unfassbar gut dargestellt von Jacob Zacharias Eckstein und Nils David Bannert, die ihre ganz eigenen Wege finden, um den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten. Und das kann dann auch schon einmal bedeuten, dass sie aneinander ihre Wut auslassen, Grenzen austesten, ihren Vater in den Wahnsinn treiben und so versuchen, ihren Schmerz loszuwerden bzw. zu kanalisieren. Der Vater indes, der seine Frau derart vermisst, dass er von außen betrachtet von ihr besessen erscheint – obgleich er nach eigener Aussage schon immer von seiner Frau besessen war – braucht einige Zeit, bis er sich einer neuen Frau öffnet und auch das geschieht, sagen wir mal, auf äußert holprige Art und Weise. Da hilft es auch nicht, dass Krähe die zarte, unbeholfen erscheinende Anbandlung sogleich ins Lächerliche zieht. 
Krähe, in diesem Stück so zentral und die Trauer versinnbildlichend, ist hier eine Art Zwischenwesen, kann es doch mit allen dreien sowohl normal kommunizieren, als auch sich ganz typisch krähenartig und für Menschen unverständlich gebärden und einen wahren Wortschwall auf sie loslassen. Auch bleibt die Rolle von Krähe für die drei Familienmitglieder stets ambivalent. Einerseits scheint Krähe es als Aufgabe zu sehen, die Wunde, die der Verlust der Mutter und Ehefrau den dreien zugefügt hat, immer wieder aufzureißen, mit dem Schnabel geradewegs hineinzupicken, schmerzliche Dinge geradeheraus auszusprechen („Jeder Zentimeter tote Mum!“). Andererseits ist Krähe für die drei Trauernden da. Und diese scheinen Krähes Herkunft und Gestalt offenbar nicht wirklich zu hinterfragen, sondern mal mehr, mal weniger selbstverständlich als Teil ihres Alltags zu akzeptieren. Und mit Krähes Hilfe finden die drei am Ende doch wieder zusammen, finden Halt beieinander, denn die Trauer ist für die Hinterbliebenen eben auch das – tröstlich und verbindend. Und da wird selbst Krähe schließlich vom Vater liebevoll in den Arm genommen und als Teil des neuen Familiengefüges akzeptiert. 
So entscheiden sich die drei auf Vorschlag des Vaters („Wollt ihr nach vorne schauen? Sollten wir ... allmählich ... nach vorne schauen?“) schließlich dafür, sich wieder dem Leben zuzuwenden. Aber wirklich abgeschlossen ist der Prozess des Trauerns eigentlich nie. Mit dem Tod eines geliebten Menschen beginnt eine neue Zeitrechnung, es gibt nur noch zwei Zeiten: Die Zeit davor und die Zeit danach. Die Trauer endet nicht, sie wird nur überdeckt, sie wird ruhiger, aber man trägt sie in sich und gibt sie unbewusst an die nächste Generation weiter. Auch diejenigen, die die verstorbene Person gar nicht mehr selbst kennenlernen konnten, erben so die inneren Verletzungen, spüren möglicherweise zeitlebens eine Traurigkeit, die sie selbst wahrscheinlich gar nicht zuordnen können. So erzählt der ältere der beiden Söhne, nunmehr selbst Vater, wie sein Sohn schließlich die Krähengeräusche nachahmt, die er macht, wenn er eine Krähe sieht.
Was hatte es aber nun mit dem Wasser in diesem Stück auf sich? Ich habe länger darüber nachgedacht. Soll es das Tränenmeer sein? Steht es für die Trauer selbst? Da sind die Jungs, die sich vor allem zu Beginn die meiste Zeit auf dem Baum bewegen und mit dem Wasser kaum in Berührung kommen, als wollten sie es lieber meiden, während der Vater bereits zu Anfang des Stücks im Wasser steht und sich immer weiter seiner Trauer hingibt, bis er schließlich komplett im Wasser liegt und seine Jungs ihn für tot halten ... Ist es ein Symbol dafür, das Trauer in Wellen kommt und eben kein linearer Prozess ist? So richtig weiß ich es noch immer nicht. Aber dieses Element verlangt den Darstellenden, zusätzlich zu dem psychischen Anspruch des Stücks, auch noch physisch alles ab. Voller Körpereinsatz ist hier gefragt. So werfen sich die drei gegen Ende mehrfach mit Schwung in das Becken und rutschen durch das Wasser. Ich bin noch nicht fertig damit, dies zu deuten, aber die Bilder waren jedenfalls unglaublich einprägsam, ebenso wie Kilian Ponerts dargebotenes Lied „Can‘t get you out of my head“ von Kylie Minogue in einer düsteren Version, die unter die Haut ging.
Alles in allem war dies ein äußerst emotionales Stück, das mir sehr nahe ging. Vor allem das Ende, wenn alle drei „Ich liebe dich“ schreien, als sie die Asche der Ehefrau bzw. Mutter im Meer verstreuen, geht ans Herz und rüttelt ganz eigene Erfahrungen und Erlebnisse wach, die man eigentlich gut verstaut zu wissen glaubte. Aber ganz abgeschlossen hat man eben nie.
(Eddy)
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Muinda, ein Solomusical
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Am 25. November feierte Muinda Premiere im Unterhaus des Düsseldofer Schauspielhauses. Ein Solomusical von und mit Belendjwa Peter.
Muinda erzählt die Geschichte der jungen, nicht binären Person Manjando, die als Teenager von den Eltern rausgeschmissen wird und versucht, begleitet von seinem*ihrem Tagebuch Muinda, seinen*ihren Weg durch die Obdachlosigkeit, Drogensucht und Sexarbeit zu finden.
Muindo stammt aus der Kongolesischen Sprache Lingala und bedeutet „Licht“. Immer wieder während des Stücks wird das Tagebuch mit „Dear Muinda“ angesprochen, eine Konstante die sich durch Manjandos Leben zieht.
Bühnenbild gibt es in dem Stück keines, das ist aber auch nicht nötig, wird doch das Bild der Umgebung großartig durch Belendjwa Peters Präsenz auf der Bühne gezeichnet. Die Story ist mitreißend, emotional, aber auch lustig an einigen Stellen. Es wird über den Umgang mit der Geschlechtsidentität, ADHS, Rassismus und Sexarbeit sehr offen geredet, wodurch dem Zuschauer ein interessanter neuer Blickwinkel auf diese Themen gewährt wird.
Als genderqueere Person mit ADHS konnte ich mich in einigen dieser Punkte selber ebenfalls sehen. Empfehlenswert ist das Stück aber definitiv für jeden, der bereit ist, sich auf diese Themen einzulassen. Jedoch ist es komplett auf Englisch, ohne Untertitel. Ich hatte zunächst etwas Sorge, ich könnte vieles nicht verstehen, diese war jedoch absolut unbegründet. Eine gewisse Kenntnis der englischen Sprache ist aber definitiv notwendig.
Es war ein wunderschöner und emotionaler Abend und ich freue mich darauf, das Stück erneut anzuschauen. (Leon)
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Cabaret am D’Haus
von Cornelia
Diese Kritik basiert auf drei Auftritten André Kaczmarczyks, drei Auftritten Lou Strengers und jeweils einem von Rob Pelzer und Inga Krischke. Daher wird mehr auf die Ersteren beiden eingegangen.
Eine Cabaret Inszenierung, die kaum moderner sein könnte. Trotz der Zeitepoche (1929/1930) in der das, von Christopher Isherwoods Büchern inspirierte, Musical spielt wirkt die Düsseldorfer Produktion modern. Viele Elemente der Kostüme erinnern an die BDSM und Fetisch Szene. Sally Bowles im pinken Harnisch und Kit Kat Girls and Boys (‚And everyone in between the genders‘) in glitzernden Latex Shorts.
Das Ensemble an Tänzer*innen und Schauspieler*innen zeigt sich hier wunderschön abwechslungsreich unter der Leitung von Dance Captain Bridget Petzold, die auch selbst, als Texas, mittanzt. Genau so war es, laut Dramaturgin Janine Ortiz, geplant. Verschiedene Alter, Körperformen etc. Denn im Stück werden alle nur als Kit Kats angesprochen, nicht in Boys and Girls unterteilt, wie sonst bei Cabaret üblich. Frau Ortizs Essay im Programmheft und auch das andere Essay von Kevin Clarke (Autor und Kurator) geben viel Aufschluss über die Gedanken, die hinter der Produktion stecken.
Außerdem - Im Gegensatz zum Kit Kat Klub: Fräulein Schneider und ihr späterer Verlobter Herr Schultz. Traditionelle Werte und Kleidung, besonders bei Fräulein Schneider. Dennoch fühlt man mit den beiden, die in so einer queeren Umgebung eine völlig konventionelle, heterosexuelle Beziehung anstreben. Ja, das Alter der beiden liegt über dem durchschnittlichen Heiratsalter von damals und wahrscheinlich auch dem von heute. Trotzdem nimmt man Ihnen diese erste Verliebtheit ab und ist getroffen, als sich Fräulein Schneider dem Druck des steigenden Faschismus beugen muss und die Verlobung löst.
Clifford Bradshaw kommt auf den ersten Blick auch sehr traditionell kostümiert in Berlin um 1929 an. Schnell sehen wir, wie die Stadt ihn verführt. Großartig in der Rolle spielt und singt Belendjwa Peter, ein*e transgender und non-binäre*r Schauspieler*in. aus England, der*die extra Deutsch lernte. Wer könnte also besser Cliffords Geschichte als Zugezogener vermitteln.
Während Bisexualität im Cabaret Film von 1972 noch als Pointe für einen Witz galt, ganz zu Christopher Isherwood Missfallen, wird die Figur des Clifford hier von Anfang an als homosexuell inszeniert. Da vom Text nicht zu sehr abgewichen werden darf, geschieht die Beziehung von Clifford zu einem der Kit Kat Boys namens Bobby (wunderbar verkörpert von Jacob Zacharias Eckstein) komplett ohne Worte zwischen den beiden. Es werden zärtliche Blicke und Gesten getauscht. Aber ein Berlin, das sich zunehmend den Nationalsozialisten unterwerfen muss, treibt auch diese Liebenden auseinander und wandelt die Blicke in Konflikt und Unverständnis.
Dann ist da noch Sally Bowles, die viele sicher als Cliffs große Liebe erwarten würden, wenn man nach bisherigen Interpretationen geht. Doch durch die Entscheidung, dass Clifford keine sexuelle Anziehung für sie verspürt, entsteht doch eine platonische Liebe/Partnerschaft. Clifford würde sich sogar bereit erklären Sallys Kind mit ihm als Vater aufzuziehen. Am Ende ist Sally aber schon zu kaputt für eine heile Familie.
Lou Strenger und Inga Krischke geben hier abwechselnd die Rolle, die schon andere Darstellerinnen weltberühmt machte. Strenger ist Theaterschauspielerin, aber auch gesanglich begabt. Ihre Sally ist widersinnig und geradezu stolz auf ihre Ignoranz gegenüber der prekären politischen Situation. Der Kit Kat Klub würde unpolitisch bleiben. Selbst die Auflösung der Verlobung von Herrn Schultz und Fräulein Schneider, zum Schutz vor Nazi Schlägertrupps tut sie ab. Sie müsste nur mit Fräulein Schneider reden und alles würde sich schon wieder zum Guten wenden.
Strenger wirkt in der Rolle stellenweise kindlich und naiv. Man ist manchmal fast an Ihr Auftreten in der Rolle der 7-jährige Alice in der Inszenierung des Düsseldorfer Schauspielhauses erinnert. Kein Wunder, denn in der Besetzung ähneln sich beide Stücke und beide sind von und mit André Kaczmarczyk inszeniert.
Inga Krischke dagegen legt den Charakter als Musicaldarstellerin an. Sie tourte zuletzt mit dem Queen Musical ‚We Will Rock You‘. Ihre Sally zeigt mehr Scham im Angesicht ihres Unwissens.
Aber letztendlich kann man die Menschen nicht ändern, so sagt es Sally im Stück. Sie wird Berlin nicht verlassen und sie will sich nicht retten lassen. Lieber verschließt sie die Augen vor dem Faschismus. Ihre finale Darbietung des titelgebenden Songs „Cabaret“ wirkt verstörend und anziehend zugleich. Die Kostüme sind nun nicht mehr glamourös abgestimmt, sondern mehr zusammengewürfelt mit einer schwarzen Perücke und einem zu großen schwarzen Sakko für Sally.
Überhaupt trifft bei diesem Cabaret Verstörung auf Faszination. Wir als Publikum sind Gäste im Kit Kat Klub. Am Anfang gut unterhalten von derben Späßen und ausgefallenen Gesangs- und Tanzdarbietungen. Dann nur noch gebannt und stumm zusehend beim Verfall.
Tragend in der Begleitung des Publikums ist die Rolle des Conférenciers. Auch diese ist in Düsseldorf doppelt besetzt. Sie wird vom Regisseur André Kaczmarczyk, aber auch von Rob Pelzer gespielt. Pelzer spielt die gleiche Rolle in der Cabaret Fassung des Dortmunder Theaters. Er setzt auf Komik, vor allem in der Mimik. Sein Conférencier wirkt feixend. So als wenn er immer noch Spaß am ganzen Unglück hätte. Selbst als er von Nazis zusammengeschlagen wurde.
Kaczmarczyk dagegen lässt seine Vertrautheit zum Düsseldorfer Publikum und zur Besetzung durchschimmern. Wie bereits erwähnt, sind ein paar Darstellerinnen aus seiner Alice Inszenierung mit ihm zu Cabaret gewechselt. Ja, auch bei ihm verhöhnt der Conférencier die nach Glück strebenden Figuren und lässt uns mit einem Schulterzucken mit unseren Gedanken zurück, wenn der Vorhang sich schließt. Doch er ist auch Teil des Klubs. Man könnte ihn sogar als die Seele dessen interpretieren.
Bevor allerdings die Nationalsozialisten Überhand gewinnen, bietet Kaczmarczyk in skurrilen Einlagen, wie beim Song “Two Ladies”, ablenkende Unterhaltung. Das Spiel mit den Geschlechterrollen, in der er letztendlich den weiblichen Teil gibt, ist auch hier ein besonderes Markenzeichen. Nein, kein Dreier mit einem lüsternen Pascha, sondern ein Spiel, bei dem alle Beteiligten gerne mitmachen. Inklusive Glitzer Genitalien die einmal umher getauscht werden zwischen den drei Darsteller*innen.
Als sich auch der Kit Kat Klub dem Geschmack der Nationalsozialisten anpassen muss, gibt es ein Vortanzen vor der Figur Ernst Ludwig. Er bekommt zwei Handlanger zur Seite gestellt, gespielt von Valentin Stückl und Yaroslav Ros, und nutzt seine neue Macht im Klub aus.
Ros stellt zuvor, mit seiner schwermütigen Steppnummer, nach der Pause, die Wandlung vom Kit Kat Boy Olga zum jonglierenden Pausenclown, zur Nazi Marionette dar. Wie ein Hund sein Herrchen bettelt seine Figur um den langen Mantel mit Parteiabzeichen, der in diesem Klima in Berlin Sicherheit bietet. Zum Schluss salutieren alle, wie gute Soldaten.
Gerade in der Vortanz-Szene zeigt sich, mit welcher Vielschichtigkeit die Düsseldorf Produktion die Rolle des Conférenciers anlegt. Er ist nicht ausschließlich böser Geist, der schadenfroh zusieht wie alle ins Verderben rennen. Er versucht mit seinen Tänzer*innen gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Es wird Walzer getanzt in blauen Stiefeln mit Pfennigabsatz und auch in der Reihe. Doch seit dem Umschwung funktionieren die Schritte nicht mehr so wie sie wollen. Abweichungen von der Norm, wie der schillernde Conférencier, sind nicht mehr gern gesehen. Als auch ihm der Kragen gegenüber Herrn Ludwig platzt, wird er von den Handlangern zusammengeschlagen. Die Kunst leidet mit als erstes unter dem faschistischen Regime.
Mit Hinweisen auf aktuelle politische Geschehnisse durch clevere Kostümwahl erinnert uns Cabaret aber auch an die Gegenwart und stellt die Frage, ob man selbst diese schleichende Wendung aufhalten würde oder gar mitbekommen, oder sich lieber in Ausreden und falschen Optimismus flüchtet wie Sally und Herr Schultz. Fräulein Schneider dagegen zeigt den Pragmatismus. Sie gibt Ihre Liebe auf für Ihr Geschäft.
Es ist beeindruckend, wie sich teils sympathische Charaktere, im Laufe des Stücks, wandeln. Fräulein Kost, hier verkörpert von der brillanten Claudia Hübbecker, ist eine leichte Dame, die ihren Spaß daran hat, der Vermieterin Fräulein Schneider ihren Herrenbesuch weg zu erklären. Doch plötzlich stimmt gerade Sie den nationalistischen Gesang an, um Ernst Ludwig zum Bleiben zu bewegen. Dieser entwickelt sich, gespielt vom neuen Ensemble Mitglied Raphael Gehrmann, von Cliffs zwielichtigen aber im Grunde genommenen spaßigem Freund, zu einem Nazi, der Fräulein Schneider von der Hochzeit zu einem Juden abrät und der predigt, dass diese Abneigung nur Deutsche verstehen könnten. Der Conférencier singt „I don’t care“ aber wirkt doch körperlich und seelisch stumm geprügelt.
Die Lieder wurden hier teils übersetzt und teilweise im englischen Original belassen. Das wirkt alles passend und den englischsprachigen Charakteren werden meist englische Songs zugeordnet und den deutschsprachigen die übersetzten. Insgesamt muss sich die Inszenierung nicht vor regulären Musical Produktionen verstecken. Die Band, die die ganze Zeit auf der Bühne spielt und teils sogar mitspielt ist fabelhaft und gesanglich sind alle Darsteller*innen so auf der Höhe wie es Ihre Charaktere verlangen. Man merkt hier deutlich, dass Gesangs- und Tanzunterricht ernst genommen wurde, von fachfremden Darsteller*innen, die sich nahtlos neben den Profis einfügen.
Während im ersten Teil des Stücks noch kleine Tanzeinlagen das Geschehen unterbrechen und begleiten, ist die Stimmung im zweiten Teil bedrückend. Wer schweigt, räumt für die Nazis das Feld. Clifford kann fliehen, die deutsche Charaktere hingegen bleiben gefangen. So ein Stück in Deutschland aufzuführen sendet eine klare Nachricht, besonders im heutigen politischen Klima.
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Party am Ende der Welt: Cabaret in Düsseldorf
„Willkommen, Bienvenue, Welcome“, die ersten Worte im Musical, gesprochen von einem mit goldener Jacke, Zylinder und schwarzen Latex-Handschuhen ausgestatteten Conférencier, gespielt von dem fabelhaften Regisseur der Produktion, André Kaczmarczyk. Die Feier beginnt und das Publikum wird hineingezogen in den Sog der Freiheiten und uneingeschränkten Möglichkeiten des Seins der späten 1920er und frühen 1930er Jahre. Was folgt sind drei Stunden (inklusive Pause) mitreißender Unterhaltung, die gleichzeitig zum Nachdenken anregt und vor kontemporären politischen Entwicklungen warnt. 
CABARET in Zeiten der verstärkten Trans- und Queerfeindlichkeit in westlichen Ländern
Auf der Bühne: ein Poster – eigentlich zwei übereinander geklebte Poster. Das obere, ein faschistisches Werbeplakat, größtenteils heruntergerissen. Darunter ein Foto von zwei Männern, die sich küssen. Dieses Plakat reflektiert den Fokus der Inszenierung: sie wird sich nicht nur mit den Nationalsozialisten des 20. Jahrhunderts und ihrem Antisemitismus befassen, sonder auch die Angriffe auf die queeren Clubs und queeren Menschen, damals wie heute, ins Licht rücken. Wie bereits angedeutet ist der Kit Kat Club ein Ort der freien Entfaltung, in dem Triebe, Gelüste und Emotionen frei bestimmt werden können. Binarität wird in dieser Inszenierung auf überzeugende Art zerschmettert. „Ladies, Gentlemen and everyone in between the genders“ wiederholt der sich stehts wandelnde, androgyne Conférencier in seinen Reden ans Publikum. Maskulin, feminin, hetero, homo – es ist alles nicht umbedingt fixiert. Das Spiel mit Geschlecht und Geschlechtlichkeit, mit Sexualität und Identität ist etwas, das in vielen von Kaczmarczyks Produktionen und Rollen durchscheint. (Man denke zum Beispiel an den Liederabend „Boys don’t cry and girls just want to have fun“ und Rollen wie Jessica in „Der Kaufmann von Venedig“). Die Performativität von Normen steht im Kontrast zur vielseitigen undefinierbaren Schönheit der Selbsterfindung und Neuerfindung. Eine Polarität, die zum Beispiel in der Two Ladies Szene hervorgehoben wird. Während die Präsenz von Plüschpenissen und -brüsten den Zuschauer erstmal aus dem Konzept bringt, ist die Leichtigkeit, mit der der Conférencier und seine Ladies die Geschlechterrollen wechseln, der wahre Erfolg der Szene. Geschlechterrollen sind nichts als ein Kostüm, das die Figuren an- und ablegen, sowie wechseln können. Alles frei nach Belieben. Bis ins Groteske gesteigert, wird ihre eigentliche Inauthentizität sichtbar. 
Kaczmarczyk versteht es, konventionelle binäre Rollen und Strukturen auszunutzen und je nach Belieben hervorzuheben oder zu zerbrechen. Wer sind die Figuren in dieser Unterwelt des Cabarets? Was sind sie, wenn nicht unfassbar und undefinierbar? Sally Bowles, die sich weigert, Fragen über sich selbst und ihre Herkunft zu beantworten. Deren innere Verzweiflung durch eine äußere Abneigung gegenüber politischer Stellungnahme überspielt wird.Der Conférencier selbst, der sowohl Erzähler des Abends als auch eine präsente Figur im Stück ist und sich immer wieder neu definiert, durch Kostüme oder seine Attitüde gegenüber den Geschehnissen im Stück.
Der größte Umschwung im Fokus dieser Produktion geschieht nach der Pause. Die Nazis übernehmen die Kontrolle über den Kit Kat Club, zwingen den Conférencier und seine Girls und Boys, für sie zu performen und sich selbst zu dehumanisieren („Säht ihr sie mit meinen Augen“). Das Lied endet mit dem Widersstand des Conférenciers und einem Statement für die Selbstentfaltung: Sie sind alle schön [so wie sie sind]. Prompt wird er von den Nazis zu Boden geschlagen. Dieser Moment bildet einen der emotionalen Höhepunkte der Show. Um die Metaphorik der Poster wieder aufzugreifen: die Nationalsozialisten beginnen, die queere Sphäre zu ersticken. Das Poster wird erneut überklebt.
Die Szene ist noch aus einem anderen Grund extrem ausdrucksstark. Sie zeigt nämlich auch noch eine andere Seite der queeren Szene, nämlich die Familie. Viele queere Menschen können sich wohl damit identifizieren, dass sie, ausgeschlossen und vor der Gesellschaft für anders befunden, Zuflucht und Liebe und Familie unter sich finden können. Eine Familie, die sich beschützt, komme, was wolle. Als der Conférenicer niedergeschlagen wird, werfen sich die Kit Kat Girls und Boys über ihn, um ihn vor weiteren Schlägen zu schützen. Zuvor hatte er sie beruhigt und zu beschützen versucht.
Von diesem Zeitpunkt an herrscht Untergangsstimmung im Club. Widerstand hat schlimme Folgen, also tanzt und singt! Denn wer aufhört, stirbt. Binarität wird wieder aufgelegt: „Ladies und Gentlemen und –“ Freiheiten werden eingeschränkt. Das Plakat wurde metaphorisch gesehen wieder überklebt. Tik tak. Die Zeit des Feierns neigt sich ihrem Ende zu. Diese Szenen dürften vor allem ein queeres Publikum besonders berühren, da es die kontemporären Entwicklungen und immer stärker werdende Trans- und Queerfeindlichkeit subtil aufgreift. Als Publikum fühlt man nicht nur mit den Figuren. Man fühlt sich repräsentiert, was heutzutage leider immer noch eine Seltenheit ist. Aber selbst aus rein historischer Sicht spiegelt die Produktion einen oft übersehenen Teil der deutschen Geschichte wider: die Auslöschung der queeren Szene Berlins, die für die damalige Zeit, aber auch im Vergleich zu heute, extrem progressiv war. Man denke an Magnus Hirschfeld und sein Institut für Sexualwissenschaft. Man vergleiche es mit heutigen politischen Diskursen. Ja, selbst die inklusive Sprache, die die Produktion gebraucht, ist ein deutliches Statement (siehe die Debatte um das Gendersternchen). Die Performance:
Belendjwa Peter spielt Cliff zunächst als naiven Träumer, der in Berlin das Abenteuer sucht. Das Publikum kann nicht anders als mit Cliff zu fühlen, so sympathisch verkörpert er*sie die Figur. Der emotionale Höhepunkt und die Stärke seines*ihres schauspielerischen Könnens zeigt sich, als Cliff sich der Situation bewusst wird und er eine politische Haltung einnimmt. Lou Strenger verkörpert eine wunderbare und verletzliche Sally Bowles, die gerne mal zu laut oder zu schrill versucht, ihren Schmerz zu überspielen. Sie singt die Lieder perfekt und bringt das Publikum mal zum Mitklatschen, mal zum Weinen. Nicht zu vergessen sind Rosa Enskat und Thomas Wittmann, die als Fräulein Schneider und Herr Schulz brillieren. Der Umschwung ihrer Liebe nach dem Auftreten der Nazis lässt einen den Atem anhalten. Im 2. Akt weiß man nicht mehr, ob man die Leistungen der Darsteller*innen beklatschen oder lieber ruhig bleiben soll, da die Handlung zunehmend von den Nazis dominiert wird. Raphael Gehrmann als Ernst Ludwig ist hier mal charmant, mal kühl und unberechenbar. Last but certainly not least André Kaczmarczyk selbst, der als Regisseur und Conférencier brilliert. Mehr als bei anderen typischen Darstellungen der Figur schafft er es, die Sympathie der Menschen zu gewinnen. Mal ist er distanziert und kommentiert zynisch die Geschehnisse, mal ist er sanft und zeigt sich verletzlich. In den Kit Kat Club Szenen steht ihm die Spielfreude ins Gesicht geschrieben. 
Man merkt, dass sehr viel Herzblut in diesem Projekt steckt. Bravo.
(Liz)
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Cabaret in Düsseldorf
Aufregend, beeindruckend, queer und nachdenklich machend, so könnte man die Cabaret- Inszenierung von André Kaczmarczyk am Düsseldorfer Schauspielhaus kurz beschreiben. Aber will man das überhaupt, wenn es dazu so viel mehr zu sagen gibt? Lange habe ich dem entgegen gefiebert, die Erwartungen waren hoch und wurden dennoch übertroffen. Gerne wäre ich hier objektiv, aber das wird nur schwer möglich sein.
Wo fang ich am besten an? Es gibt so viele Punkte zu beleuchten. Vielleicht mit der Hauptrolle. Belendjwa Peter spielt den Cliff Bradshaw und sticht gleich zu Anfang besonders heraus zwischen den Tänzer*innen, die für das Cabaret gekleidet sind, anzüglich, freizügig, während Cliff zurückhaltend gekleidet ist. In dieser Inszenierung wird er definitiv als queer dargestellt, wobei für mich nicht 100% zu sagen ist, ob er schwul oder bisexuell ist, denn die Beziehung zwischen Sally und Cliff wirkt nicht eindeutig. 
Und das muss sie auch nicht unbedingt. Hier aber wirklich eine großartige schauspielerische Leistung von Belendjwa, vor allem in den Dialogen zum Schreiben habe ich mich als Hobbyautor immer wieder gefunden.
Als Sally habe ich sowohl Lou Strenger als auch Inga Krischke gesehen, beide haben mich absolut überzeugt. Es war deutlich, dass es hier einen Unterschied in der Tätigkeit gibt, da Inga hauptsächlich Musicaldarstellerin ist und Lou mehr Theaterschauspielerin, keins der beiden Dinge hat der Rolle jedoch einen Abbruch getan. Ich mochte die Darstellung der Sally hier wirklich sehr. Gesanglich als auch schauspielersich sind beide top.
Direkt in ihrem ersten Lied absolut mitgerissen hat mich auch Rosa Enskat in der Rolle der Fräulein Schneider. Eine wahnsinnig gute Stimme und unglaublich emotional. Die Beziehung zwischen Fräulein Schneider und Herrn Schulz war so schön dargestellt, dass man richtig mitgefiebert hat und sich doch immer wieder in Erinnerung rufen muss, wie ihre Geschichte leider endet. Rosa Enskat und Thomas Wittmann haben die Liebesgeschichte wunderschön emotional und mitreißend rübergebracht.
Ich kann gar nicht auf alle einzeln eingehen, wenn ich hier nicht den Rahmen sprengen will, aber über wen ich natürlich unbedingt reden muss ist der Conférencier, denn sind wir mal ehrlich, André Kaczmarczyk ist der hauptsächliche Grund, warum ich so aufgeregt war, die Aufführung endlich zu sehen. Mit dem Wissen, dass er Regie führt und diese Rolle übernimmt, konnte ich mir schon ein paar Dinge vorstellen, aber das Endergebnis hat mich dann doch aus den Socken gehauen. Die Kostüme wirken an ihm alle unglaublich natürlich, als müsse es einfach so sein. Bei dem Charakter war man sich nicht ganz sicher, existiert er wirklich? Was ist seine Position im Kit Kat Club? Einerseits schien er dort die Abende zu leiten, tauchte jedoch auch immer wieder außerhalb auf, um das Geschehen zu kommentieren oder auch nur zu beobachten. Wann immer Sally von den anderen Tänzer*innen erzählte, wurde der Conférencier nie erwähnt, auch wenn sie sehr eindeutig mit ihm interagiert, wenn sie dort ist. Er scheint irgendwie in einer Zwischenebene zu existieren und die Seele des Clubs darzustellen.
An ihm zeigt sich sehr die Veränderung der Außenwelt, auf die er reagiert. Wirkt zu Anfang noch alles fröhlich und lebenslustig, verändert sich besonders nach der Pause die gesamte Stimmung extrem. Die Kostüme sind nach wie vor unglaublich extravagant und sexy, doch die Stimmung ist sehr gedrückt. Jedoch wird auch schon zu Beginn gezeigt, was zu erwarten ist, ein Wahlplakat der NSDAP steht direkt in der ersten Szene prominent auf der Bühne, Streifen sind davon heruntergerissen und geben den Blick frei auf ein Bild von zwei sich küssenden Männern.
Gerade mir als queere Person fällt es auf, wie immer mehr versucht wird, die Queerness zu unterdrücken, besonders, als die Nazis schließlich selber im Club auftauchen, um zu kontrollieren, was dort geschieht. Der Conférencier versucht das Bild aufrecht zu halten, versucht sich und die Tänzer*innen zu schützen. Zu “Säht ihr sie mit meinen Augen”, tanzt er mit dreien von ihnen, versucht das Bild zu wahren, verhält sich ihnen gegenüber unglaublich sanft. Am Ende stellt er sich den Nazis entgegen und wird daraufhin niedergeschlagen. Die Art, wie die Tänzerinnen sich sofort über ihn beugen, deutet auf ein enges Verhältnis untereinander hin und macht die Szene dadurch deutlich emotionaler.
Auch ein Punkt, der den Unterschied zwischen vor und nach der Pause deutlich hervorhebt, ist die Ansprache des Publikums, während der Conférencier im ersten Teil immer „Ladies and gentlemen and everyone in-between the genders“ oder etwas ähnliches sagt, wird der letzte Teil davon nach der Pause weggelassen. Beim ersten Mal merkt man, wie er es sagen will, dann aber stockt. Ein unglaublich starkes stilistisches Mittel, besonders für jemanden, der sich von diesem Teil angesprochen fühlt: das Wissen, dass man unter den Nationalsozialisten als queere Person nicht existieren dürfte.
Der Morgige Tag, gesungen von Lara Hofmann, sendet hier auch eine deutliche Nachricht. Das Kostüm, geschnitten wie eine Naziuniform, jedoch in hellem Blau, und eine rote Krawatte in Form eine Pfeils, kann unmöglich missverstanden werden und muss auf aktuelle Ereignisse bezogen werden. Man möchte für die Leistung auf der Bühne applaudieren, aber nicht für dieses Lied, und so blieb es danach auch bedrückend still im Saal.
Die Entscheidung, hier komplett ohne Hakenkreuze auszukommen, begrüße ich sehr, ist es doch durchaus möglich, Nazis deutlich erkennbar zu machen, durch ihre Handlungen aber auch durch andere Teile ihrer Kostüme, ohne nationalsozialistische Symbolik reproduzieren zu müssen.
Mein Fazit: Eine großartige Inszenierung, die man sich definitiv mehrfach ansehen kann. (Leon)
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Cabaret im D‘haus – eine ganz persönliche Rückschau
Vorab sei gesagt, dass ich zuvor noch nie in meinem Leben eine Theaterkritik geschrieben habe, das schon gar nicht professionell mache und diesen Anspruch auf Professionalität daher hier auch keinesfalls erhebe. Aber die überwiegende Anzahl an Kritiken, die ich in den Zeitungen lesen „durfte“, haben mich derart schockiert, dass es mir ein Herzensanliegen ist, hier einmal meine ganz persönlichen Gedanken zum Stück Cabaret im Düsseldorfer Schauspielhaus mit Ihnen, mit euch zu teilen.
Ich habe mir in den letzten Monaten sehr, sehr viele Aufführungen im D‘haus angesehen, nachdem ich jahrelang freiwillig keinen Fuß in ein Schauspielhaus zu setzen vermochte. Aber nun habe ich im Schnelldurchlauf eben alles nachgeholt. Und ich stellte überrascht fest: Ich liebe das Theater, entführt es mich doch jedes Mal aufs Neue in eine ganz eigene Welt – auch wenn ich vieles nicht verstehe, oftmals ratlos zurückgelassen werde und im Nachhinein erst einmal mühsam die einzelnen Puzzleteile zusammensetzen muss...
Cabaret ist die Inszenierung, die auf mich bislang am meisten nachgewirkt hat. Auf einer eher oberflächlichen Ebene sind es die wundervollen Lieder, die vom Ensemble so unglaublich gefühlvoll interpretiert werden. Lieder, die mich – noch Tage später – nach jedem meiner inzwischen vier Besuche von Cabaret durch den Tag begleiten. Hartnäckige Ohrwürmer, die ich zur Abwechslung einmal gar nicht loswerden möchte, nein, im Gegenteil, sie sind sehr „willkommen“, dieses Wortspiel sei an dieser Stelle erlaubt, und so erwische ich mich also des Öfteren dabei, wie ich einfach nur für mich „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ vor mich hin singe und mit Wehmut an die für mich jeweils letzte, zurückliegende Aufführung zurückdenke.
Auf einer tieferen Ebene beschäftigt mich Cabaret aber aus einem ganz anderen Grund. Es geht mir nahe, weil es so unmittelbar mit mir und meinem Leben zu tun hat – und dem meiner Freund*innen, mit denen ich die Aufführung bislang besucht habe. Da ist allen voran der Conférencier, der im Publikum nicht nur die Ladies and Gentlemen, sondern auch „everyone in-between the genders“ begrüßt. Und das ist ein tolles Gefühl, als queere, nonbinäre Person einmal gesehen und repräsentiert zu werden. Überhaupt fühlt sich die erste Hälfte von Cabaret an wie das Paradies auf Erden. Alles ist möglich, alle sexuellen und gesellschaftlichen Lebensentwürfe sind erlaubt, man scheint die völlige Freiheit zu genießen. Als Zuschauer*in lasse ich mich treiben und mitreißen, wie Clifford, der angehende Schriftsteller aus England, der wie aus Versehen in das wilde, bunte, aufregende, im besten Sinne lasterhafte Berlin der 1920er Jahre hineinstolpert und dort zumindest zu Beginn sein kann, wie und wer er ist. Clifford, zauberhaft dargestellt von Belendjwa Peter, ist zugleich die Person, die schon früh im Stück die Entwicklungen in Politik und Gesellschaft in Deutschland hinterfragt und mahnt: „Wenn du nicht dagegen bist, dann bist du dafür. Oder so gut wie!“ und Sally, die lieber die Augen verschließt, am liebsten einmal eine Zeitung vorlesen würde.
Auch wenn die Schlussszene des ersten Teils in Form der bedrückenden Verlobungsszene schon ihre Schatten vorauszuwerfen vermag, so kommt die zweite Hälfte doch auf den ersten Blick überraschend düster, bedrohlich und bedrückend daher – da ist von der Lebensfreude und den Exzessen aus dem ersten Teil kaum mehr etwas übrig geblieben. (Und man fragt sich unwillkürlich: Sind die Kritiker*innen nach der ersten Hälfte schon nach Hause gegangen???)
Als Quittung für sein Aufbegehren gegen die Nazis kassiert der Conférencier einen Schlag in die Magengrube – und das ist für mich die Essenz des gesamten zweiten Teils. Diesen Schlag spüre ich gleich selbst, wenn im zweiten Teil all die schönen Erzählungen, die im ersten Teil so vielversprechend begonnen haben, ihr jähes Ende finden – allen voran das freie, sorgenlose Leben im Kit Kat Club, die wie auch immer geartete Beziehung zwischen Clifford und Sally... und auch Bobby – Bobby… ja, er beweist, dass jede*r der Kit Kat Boys und Girls, ja eigentlich jede Rolle hinsichtlich ihres Charakters bis ins Detail liebevoll gestaltet ist. Und ganz besonders die wunderbare, zarte Liebesgeschichte zwischen Fräulein Schneider, die Zimmer vermietet, und dem jüdischen Obstverkäufer, Herrn Schultz. Da wird Frau Schneider bereits am Ende des ersten Teils nahegelegt, einmal zu überlegen, ob sie denn weiter mit Herrn Schultz zusammen sein bzw. ihn wirklich heiraten möchte, wenn sie weiterhin Zimmer vermieten will. Zurecht fragt (bzw. singt) sie verzweifelt: „Sag mir, wie geht es weiter?“ Und man versteht sie. Denn sie ist dort in Berlin zu Hause, hat sich ihr Leben aufgebaut. Was soll man also tun? Nicht jede*r ist so mutig wie Clifford oder der Conférencier, die Rückgrat beweisen, sich gegen die Nationalsozialisten stellen, sich nicht wegducken, verdrängen, herunterspielen („Das sind nur Kinder!“), sondern sich widersetzen – und die prompte Antwort auch gleich in Form körperlicher Gewalt erfahren.
In meine Erinnerung eingebrannt hat sich im zweiten Teil zudem vor allem das, was nicht mehr da ist, wenn im zweiten Teil plötzlich nur noch von Ladies and Gentlemen die Rede ist. Das „everyone in-between the genders“ schluckt der  Conférencier runter, muss es vermutlich auf Druck der Nationalsozialisten runterschlucken – und man sieht, wie sehr ihn dies schmerzt. Da wird buchstäblich ausradiert, was es in den Augen der Nazis nicht mehr geben darf (Menschen wie mich!). André Kaczmarczyk, der zugleich Regie führt, zeigt durchweg, aber doch ganz besonders in dieser Szene, dass er diese Rolle lebt, er verkörpert den Conférencier nicht nur, er ist der Conférencier!
Der zweite Teil macht deutlich, wie schnell einem all das genommen werden kann, was einem lieb ist. Allen voran die Freiheit, selbstbestimmt zu leben und zu lieben. Aber, wie so oft, bemerkt man erst dann, was einem etwas bedeutet, wenn es nicht mehr da ist. Und diese Erkenntnis mündet für mich folgerichtig in der Schlussszene, in der alle Charaktere wie erstarrt als stumme Ermahnung auf der Drehbühne stehen, während die Lieder und Schlüsselsätze des Stücks als Stimmen aus dem Off noch einmal auf einen einprasseln und einen erschaudern lassen. Diese Szene, die einem pure Gänsehaut beschert, einem sprichwörtlich unter die Haut geht, ist ein Appell, dass es nie wieder so kommen darf, das man sich nicht ausruhen darf, nicht ignorieren darf, weil die Gefahr wieder (oder noch stets?) lauert. Wer den Outfits der Darstellenden entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt hat, wird vielleicht auch einen blaue Uniform entdeckt haben und eine rote Krawatte, die in Kombination in ihrer Symbolik doch sehr an eine im Bundestag vertretene Partei erinnern…
Für die Freiheit und für gesellschaftlichen Werte muss man sich einsetzen, sie bewahren, vielleicht auch neu einfordern, denn so weit, wie wir in den 1920ern einmal waren, sind wir noch lange nicht wieder. Aber sich wehren heißt leider vielfach auch, bereit zu sein, einzustecken, Gewalt zu erfahren – man muss dafür nur einmal den Fernseher einschalten oder eine Zeitung aufschlagen und erfährt von den sich häufenden Anschlägen auf queere Menschen. Aber dann muss ich mich an dieser Stelle auch wieder selbst dazu ermahnen, hier nicht bloße Nabelschau zu betreiben, muss ich diesen Appell doch viel allgemeiner verstehen, denn an so vielen Orten in der Welt müssen die Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihre Freiheit zu verteidigen...
Und wenn der Conférencier am Ende fragt: „Wo sind eure Sorgen jetzt?“, ja, dann antworte ich jedes Mal in Gedanken: „Sie sind alle (noch) da und viel präsenter als je zuvor!“ Denn vielleicht werde ich mich in meinem Leben früher oder später einmal genau an diesem Punkt befinden, an dem ich mich entscheiden muss zwischen anpassen, mitmachen oder aufbegehren, bleiben oder gehen, die Augen verschließen oder die Bedrohung erkennen und sich widersetzen, um sodann zugleich um das eigene Leben und alles, was ich mir bis dahin aufgebaut habe, fürchten zu müssen. Und davor habe ich Angst. Und das ist gut so, denn diese Angst hält wach.
(Eddy)
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Cabaret in Düsseldorf: Ein Conférencier für unsere Zeit
„Berlin meant boys.“ 
Das schrieb Christopher Isherwood 1976 in Christopher and His Kind, seinem unverblümten Bericht über die Berliner Jahre, der lange nach den Berlin Stories erschien. Männer waren die ultimative Verlockung, die ihn 1929 von England nach Berlin zog, in eine Metropole, die - ungeachtet des geltenden § 175 - queeren Menschen oftmals ungewohnte Freiheiten bot. Dies ist der Hintergrund von Isherwoods Erlebnissen im Berlin der frühen 1930er Jahre (wenngleich manche Inszenierungen von Cabaret und vor allem der Film von 1972 den Schwerpunkt auf die heterosexuelle Beziehung zwischen Sally Bowles und Clifford Bradshaw verschieben). 
In André Kaczmarczyks neuer Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus schimmern Isherwoods Erlebnisse hingegen nicht nur durch, sie sind ihr Wesenskern. 
Wir erleben eine queere Welt und ihren Untergang, ein Thema, das sich in sämtlichen Facetten der Inszenierung spiegelt: Bühnenbild, Kostüme, Eingriffe in den Text, Auswahl und Gestaltung der Songs. 
Vor allem aber spiegelt es sich in der Figur des von Kaczmarczyk gespielten Conférenciers, die hier alle clownesken Züge verliert. Sein Conférencier ist zunächst lasziv, ironisch, boshaft, ein Mephisto, der Szenen beobachtet und spöttisch kommentiert. 
Einmal präsentiert er sich als Polizist, der ein Girl aus dem Kit-Kat-Klub als in AfD-Blau gewandeten Sänger auftreten lässt, nur um den Gänsehaut-Moment danach ins Lächerliche zu ziehen, als im Hintergrund ein gut gebauter Adonis in Heldenpose erscheint. Dieser erinnert aber wiederum an Leni Riefenstahls faschistische Ästhetik und verweist damit auf die kommende braune Zukunft. Hier hat alles einen doppelten Boden. 
Doch damit gibt sich Kaczmarczyk nicht zufrieden. Er schenkt seinem Conférencier eine Entwicklung, die in der Figur nicht zwingend angelegt ist. Im zweiten Teil der Inszenierung dringt die rechte Bedrohung in sein ureigenstes Refugium, den Kit-Kat-Klub, ein. Die Rechten werden nicht mehr lächerlich gemacht, sie sitzen mit lässig übergeschlagenen Beinen auf der Bühne oder wachen in ledernen Uniformen über alles, was im Klub geschieht. 
Das durchaus schwierig zu inszenierende Lied „Säht ihr sie mit meinen Augen“ wird hier zu einer Hommage an queere Menschen, an die Schönheit der Vielfalt und des Andersseins. Zugleich schlägt der Conférencier mit seinem geänderten Schlusssatz „Säht ihr sie mit meinen Augen, dann säht ihr, sie alle sind schön“ einen Bogen zum Anfang, an dem er - hier noch ironisch und wild - die Schönheit aller beschwört, die zum Kit-Kat-Klub gehören, bis hin zum Orchester.
Doch in der Szene steckt noch mehr. Der Conférencier wird hier zu einer Beschützerfigur, indem er die Boys und Girls des Klubs behutsam anleitet, damit sie dem Nazi Ernst Ludwig gefallen, ihnen die Würde lässt und dennoch zu zeigen versucht, wie sie sich den geänderten Umständen anpassen können. Der Klub war bis dahin ein geschützter Raum, eine Art selbst gewählte Familie, und diese ist nun in ihrem Inneren bedroht. Als der Conférencier die Rechten provoziert, indem er für die Schönheit aller plädiert und die lächerliche Gorilla-Maske zu Boden schleudert, gefolgt von einem herausfordernden „Was?“, wird er zusammengeschlagen. 
Am Ende trägt er zum goldenen Frack, unter dem als letzte Reminiszenz an alte zügellose Zeiten die spitzenbekleidete Brust hervorschimmert, eine Hose, deren Reiterlook schon auf Wehrmacht und SS verweist. Er lebt von jetzt an in einem Spannungsfeld von Selbstbehauptung und Anpassung. Und es bleibt fraglich, wie viel von seiner queeren Identität und der des Klubs er in die neue Zeit hinüberretten kann.  (Fabian)
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