Tumgik
zitation · 2 months
Text
„Zwei Millionen Finger, alle miteinander verhakt, alle vom selben Willen durchpulst, mitzumachen, sich einzureihen, dabei zu sein, formten sich zum Leiter für einen mächtigen emotionalen Kraftstrom. Von 200.000 wie Monozellen in einem Batteriesatz hintereinandergeschalteten Leibern gespeist war die Spannung am Ende so stark, dass der Funke auf die Berichterstattung übersprang… Der störungsfreie, friedliche Ablauf der Großveranstaltungen fand in der Öffentlichkeit ein so ungeteilt positives Echo, daß man rückschließend fast daraus folgern könnte, die Nürnberger Reichsparteitage wären zum Beispiel nichts anderes gewesen als eine ununterbrochene, gigantische Wirtshausschlägerei. Der Grund des positiven Echos war der Beweis, daß die Friedensbewegung Massen nicht nur begeistern, sondern auch kontrollieren und disziplinieren kann. Damit hatte sie nicht die Sympathie, aber den Respekt der Machthaber von Carstens bis Zimmermann erobert. Es ist der Respekt vor der Tüchtigkeit des Rivalen, gegen den man auf dem gleichen Markt um denselben Erfolg konkurriert. Der Preis, der dem Sieger winkt, ist die Macht. Deren Erwerb wiederum ist ans strenge Befolgen der Grundregel gebunden, daß man die Massen nur zum Zwecke ihre Selbstentmündigung mobilisieren darf. Sie sollen sich ausdrücken und einreihen, sie sollen mitmachen, mitsingen und mitreden, aber nie zu ihrem Recht kommen dürfen. Also kein Generalstreik, keine Fabrikbesetzung, kein Sturm auf die Bastille, sondern: Massenaufmärsche, Großkundgebungen, Fackelzüge, Menschensterne, Menschenketten als monumentales Selbstdarstellungstheater in der Freizeit. Die Regie setzt den Einzelnen dabei als Gesinnungsträger, als willigen Zuhörer, als disziplinierten Pfötchengeber voraus.“
Wolfgang Pohrt schrieb vor fast genau 40 Jahren über das Massenornament als konstitutive Darstellungsform deutscher Erweckungsbewegungen. Alles daran ist aktuell, auch wenn man sich damals für den Frieden einhakte, während man heute auf Antifaschismus und Demokratieschutz im Zeichen des Machterhalts macht – oder wie es im aktuellen SPIEGEL mit dem Titel „Die Wehrhaften“ so schön autoritär heißt: „Ein Land hakt sich unter“ und „Warum es mehr Disziplin braucht, um die Demokratie zu schützen“.
2 notes · View notes
zitation · 2 months
Text
https://www.freie-radios.net/mp3/20100303-nichtsgele-32558.mp3
Vortrag von Joachim Bruhn
»Nichts gelernt und nichts vergessen«
"Ein Schema zur Geschichte des Antizionismus in Deutschland mit Joachim Bruhn, Initiative Sozialistisches Forum, Freiburg." Veranstaltung der Hamburger Studienbibliothek vom 26. Februar 2010 - Rohmitschnitt.
2 notes · View notes
zitation · 2 months
Text
Ein Nachruf auf Joachim Bruhn Von Clemens Nachtmann
Militanter Aufklärer
Sein Denken war »antideutsch« im besten Sinne, noch bevor die Parole geprägt wurde. Der Theoretiker und intellektuelle Agitator Joachim Bruhn, Mitglied der Initiative Sozialistisches Forum (ISF) und Mitbegründer des Freiburger Verlags Ça ira, war ein freundlicher, zu Witzen aufgelegter, aber dabei stets verbindlicher Mensch, der auf den ersten Blick so gar nicht dem Bild zu entsprechen schien, das seine gestochen elaborierten Texte von ihm vermitteln mochten. Doch war der Gegensatz nicht so schroff, wie er zunächst anmutete; zwar wuchs, wo er polemisierte, kein Gras der konstruktiven Denkungsart mehr, aber seine Kritik war bei aller Vehemenz nie eifernd, wütend oder schimpfend, sondern eben: verbindlich, schneidend sachlich und angriffslustig. Bruhns Denken ist zentriert um eine Rekonstruktion der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie, die sich gegen die theoretischen Borniertheiten und das entsprechende epochale Versagen sowohl der alten Arbeiterbewegung als auch der Neuen Linken richtet.
Der Erfahrungsgehalt, der sein Denken antrieb, war der gleiche, der auch der Kritischen Theorie zugrunde liegt: der der nazistischen Barbarei, bei der das Proletariat massenhaft mitmachte, anstatt sie zu verhindern, und die seit 1945 zwar formell beendet ist, aber ideologisch und institutionell fortlebt. Es waren die Achtundsechziger-Linken und es sind ihre heutigen Nachfahren, nicht irgendwelche Rechten, die das nazistische Erbe zukunftsträchtig weiterbewirtschaften: indem sie mit progressiver Gesinnung und im Namen von Antifaschismus und »Kultursensibilität« mit dem Islam fraternisieren und den jüdischen Staat delegitimieren. Bruhn nannte derlei Treiben das, was es ist: Aufklärungsverrat. Weil er wusste, dass es etwas noch Schlimmeres geben kann als das Kapital, nämlich die ihm entsprungene Barbarei, hat er die Intention materialistischer Ideologiekritik neu bestimmt: als Sabotage jener Bedingungen, unter denen das einzelne Individuum sich die Tendenz des Ganzen zu eigen macht. Die Bedingungen dafür erkannte er in der negativen Verfasstheit des Kapitalverhältnisses selbst, das jedem Einzelnen zumutet, seinen Widersinn praktisch zu vollstrecken und gedanklich zu rationalisieren, das heißt, sich als Subjekt zu verhalten, das glaubt, über sich und die Wirklichkeit souverän zu verfügen und sie geistig und politisch zu kommandieren; und indem es das tut, reproduziert es bewusst das bewusstlose Prozessieren der Gesellschaft, im äußersten Fall bis hin zu deren barbarischer Explosion. Ungeschmälerte Erkenntnis bedeutet demnach: dass das Subjekt gegen sich selbst, seine notorische Neigung zu Beziehungswahn und zur Wichtigtuerei andenken muss – die sich wiederum sprachlich, nämlich im gespreizten Jargon des Meinens und Dafürhaltens verrät. Joachim Bruhn hingegen hatte als passionierter Kritiker eine Liaison mit der Sprache; aus seinen Texten geht klar hervor, dass Stil kein Accessoire ist, sondern sachliche Notwendigkeit; wer sich zum Kapital nicht polemisch verhält, verhält sich unsachlich zu ihm, war sein Motto.
Dass Deutschland als Vorreiter der kapitalentsprungenen Barbarei fungiert, war für Bruhn fraglos, ebenso, dass deren Begriff eine wesentlich internationale Konstellation bezeichnet; »antideutsch« im besten Sinne war sein Denken, noch bevor die Parole geprägt wurde, und vom »Islamfaschismus« hat er in den neunziger Jahren als einer der ersten gesprochen. Was er postulierte, praktizierte er auch: ungeschützt zu denken, ohne Deckung sich vorzuwagen. Das ist es, was man von ihm lernen kann; seine Einsichten wie Merksätze daherzubeten, wie es immer wieder geschah und geschieht, widerspricht ihrer Form und ihrem Gehalt.
Joachim Bruhn ist am 28. Februar 2019 mit 64 Jahren gestorben. Eine Stimme militanter Aufklärung ist damit verstummt. Sie wird schmerzlich fehlen.
0 notes
zitation · 2 months
Text
Zum fünften Todestag von Joachim Bruhn
Am 28. Februar 2019 starb der Kritiker Joachim Bruhn. Zur Erinnerung an ihn hat nicht nur die AG Antifa eine Veranstaltung organisiert (Freitag, 1. März, 19 Uhr, Ludwigstraße 37, Halle), aus Anlass seines fünften Todestages hat auch ein „Freundeskreis Joachim Bruhn“ ein Buch mit seinen besten, bisher noch nicht in Buchform veröffentlichten Texten herausgegeben. Wenn der Versand schnell genug ist, werden am Freitag Exemplare zum Verkauf vor Ort sein.
Joachim Bruhn: Materialismus und Barbarei. Pamphlete und Essays
Herausgegeben vom Freundeskreis Joachim Bruhn zu dessen fünftem Todestag, Amsterdam 2024, de Munter, 162 Seiten
Joachim Bruhn: Materialismus und Barbarei. Pamphlete und Essays
Herausgegeben vom Freundeskreis Joachim Bruhn zu dessen fünften Todestag, Amsterdam 2024, de Munter, 162 Seiten bruhn.noblogs.org
Bestellungen: [email protected] 1 Exemplar: 15 € Ab 3 Exemplare: 10 € / Stk. Ab 10 Exemplare: 8 € / Stk.
weitere Informationen: bruhn.noblogs.org
instagram
Kritik als Leidenschaft. Ein Abend für Joachim Bruhn
Freitag, 1. März 2024, 19:00 Uhr VL ― Ludwigstraße 37, Halle (Saale) facebook: fb.com/agantifaschismus
instagram
Kritik als Leidenschaft. Ein Abend für Joachim Bruhn
Am 28. Februar 2019 starb der Verleger und Publizist Joachim Bruhn im Alter von 64 Jahren. Das Denken dieses „militanten Aufklärers“ (Clemens Nachtmann) war bereits „antideutsch“ geprägt, bevor der Begriff im Guten wie im Schlechten beliebt wurde. Joachim Bruhns Denken kreiste um das Glücksversprechen der Aufklärung, das in der Marx’schen Kritik ihren vollendeten Ausdruck wie eine der elaboriertesten Formen der Selbstkritik gefunden hatte, und dessen Dementi durch Auschwitz. Für Joachim Bruhn hatte mit dem Holocaust eine neue Epoche begonnen, die der Barbarei. An der vollkommenen Sinn- und Zwecklosigkeit der Vernichtung scheiterte das Denken der Arbeiterbewegung, darauf bestand er. Dennoch wollte Bruhn nicht von der Kritik der politischen Ökonomie lassen. Angesichts von Auschwitz versuchte er, mit Marx (und Adorno) gegen Marx zu denken. Aus diesem Denken folgte für ihn die bedingungslose Solidarität mit Israel. Gemeint war eine Parteinahme, die nicht an Bedingungen wie die Parteimitgliedschaft des israelischen Ministerpräsidenten, die Gesetzesvorhaben der Knesseth oder die Verteidigungsstrategie des israelischen Generalstabs geknüpft ist. Auch darauf zielt sein viel zitierter Ausspruch, dass jede Kritik am Staat Israel „glasklar“ antisemitisch ist.
Im Rahmen der Veranstaltung soll aus Anlass seines fünften Todestags an Joachim Bruhn erinnert werden. Zu diesem Zweck sollen ein Nachruf, vor allem aber einige seiner Texte vorgestellt und diskutiert werden. Im Zentrum steht seine Kritik des Antisemitismus, seiner außenpolitischen Form, des Antizionismus, und des Postnazismus, die aus gutem Grund nur polemisch zu haben war.
Eine Veranstaltung der AG Antifa
3 notes · View notes
zitation · 2 months
Text
Teil 2
Verlesung des Redebeitrags von Kazem Moussavi bei der Kundgebung des Frankfurter Bündnis für Israel am 17.02.2024.
Nieder mit der islamischen Republik und der Hamas!
Tumblr media
3 notes · View notes
zitation · 2 months
Text
Tumblr media
Freitag, 1. März 2024, 19:00 Uhr VL ― Ludwigstraße 37, Halle (Saale) facebook: fb.com/agantifaschismus
Kritik als Leidenschaft. Ein Abend für Joachim Bruhn
Am 28. Februar 2019 starb der Verleger und Publizist Joachim Bruhn im Alter von 64 Jahren. Das Denken dieses „militanten Aufklärers“ (Clemens Nachtmann) war bereits „antideutsch“ geprägt, bevor der Begriff im Guten wie im Schlechten beliebt wurde. Joachim Bruhns Denken kreiste um das Glücksversprechen der Aufklärung, das in der Marx’schen Kritik ihren vollendeten Ausdruck wie eine der elaboriertesten Formen der Selbstkritik gefunden hatte, und dessen Dementi durch Auschwitz. Für Joachim Bruhn hatte mit dem Holocaust eine neue Epoche begonnen, die der Barbarei. An der vollkommenen Sinn- und Zwecklosigkeit der Vernichtung scheiterte das Denken der Arbeiterbewegung, darauf bestand er. Dennoch wollte Bruhn nicht von der Kritik der politischen Ökonomie lassen. Angesichts von Auschwitz versuchte er, mit Marx (und Adorno) gegen Marx zu denken. Aus diesem Denken folgte für ihn die bedingungslose Solidarität mit Israel. Gemeint war eine Parteinahme, die nicht an Bedingungen wie die Parteimitgliedschaft des israelischen Ministerpräsidenten, die Gesetzesvorhaben der Knesseth oder die Verteidigungsstrategie des israelischen Generalstabs geknüpft ist. Auch darauf zielt sein viel zitierter Ausspruch, dass jede Kritik am Staat Israel „glasklar“ antisemitisch ist.
Im Rahmen der Veranstaltung soll aus Anlass seines fünften Todestags an Joachim Bruhn erinnert werden. Zu diesem Zweck sollen ein Nachruf, vor allem aber einige seiner Texte vorgestellt und diskutiert werden. Im Zentrum steht seine Kritik des Antisemitismus, seiner außenpolitischen Form, des Antizionismus, und des Postnazismus, die aus gutem Grund nur polemisch zu haben war.
Eine Veranstaltung der AG Antifa
4 notes · View notes
zitation · 2 months
Text
Magnus Klaue: Zionismus als messianische Utopie und bürgerliche Wirklichkeit
4 notes · View notes
zitation · 2 months
Text
Rede von Joachim Bruhn in Frankfurt auf der »Demonstration gegen das Bündnis aus Rechtsradikalen, Linken und Islamisten« (20. Juni 2010), drei Wochen nach der Gaza-Flotten-Aktion, die die antisemitischen Wellen mal wieder hochschlagen ließ.
Tumblr media
Aus seiner Rede von damals, in der er dafür stritt, die Israelsolidarität nicht als scheinbar selbstlose »kommunistische Caritas«, sondern als »unmittelbar unsere Sache« zu begreifen:
»Indem Israel seine Souveränität behauptet, kämpft es für das Recht des Individuums, etwas anderes zu sein als ein Gegenstand der Zoologie, als eine Pflanze, die schon glücklich zu sein hat, wenn sie einen Boden findet, um zu wurzeln, wenn man sie gießt und düngt. Es gibt nämlich kein ›Recht auf nationale Selbstbestimmung‹, das im Recht der ersten Landnahme gründet, kein Recht der Einheimischen, nur weil sie zuerst da waren.
Wer so etwas behauptet, wer dies ›Naturrecht‹ gegen den Zionismus in Anschlag bringt, der hat den Begriff und die Wahrheit der Gattung liquidiert, hat das ›Weltbürgerrecht‹ aufgehoben. Vielmehr verhält es sich so, wie es Immanuel Kant im dritten Definitivartikel zum ewigen Frieden 1795 erklärt hat: Das Weltbürgerrecht, sagt er, ›steht allen Menschen zu, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden müssen, ursprünglich hat aber niemand an einem Orte der Erde mehr Recht, als der andere.‹
Das Argument der Aufklärung ist so einfach, wie der daraus folgende kategorische Imperativ wahr ist: Weil die Erde keine Scheibe ist, darum ist sie die Allmende, d.h. das unteilbare Eigentum einer Gattung, die sich als die Menschheit erst dann bewiesen haben wird, wenn die Individuen mehr sein dürfen als die blöden Exemplare einer Gattung, und das heißt, politisch ausgedrückt, eines Volkes. Die Propaganda gegen Israel ist – als Agitation für den Ameisenstaat – vorsätzlicher Aufklärungsverrat. [...]
Es ist dieser vorsätzliche Aufklärungsverrat, der uns einen gesellschaftlichen Zustand beschert hat, den man nur als die Totalverschleierung des Bewusstseins bezeichnen kann. Dagegen hilft es nicht, wenn man, wie die staatstragenden Freunde Israels, insbesondere die Deutsch-Israelische Gesellschaft, gegen ›vorschnelle Verurteilungen Israels‹ eintritt und mit leidenschaftsloser Schiedsrichterattitüde ›Unvoreingenommenheit‹, ›Verhältnismäßigkeit‹, ›Objektivität, Ausgewogenheit und Sachlichkeit‹ fordert. Damit werden Aufklärung und Kritik auf Information und Bescheidwissen heruntergebracht. Jeder, der für Israel eintritt, muss doch wissen, was der polnische Philosoph Leszek Kolakowski schon 1956 erfahren musste: ›Der Antisemitismus‹ – und der Antizionismus erst recht! – ›ist keine Doktrin, die kritisiert werden kann [...] Man kann ihm keine Argumente entgegensetzen, denn er ist mit einer Reaktionsart verbunden, der die Beweisführung als Denkart fremd und verhasst ist. [...] Davon hat sich jeder überzeugt, der Gelegenheit hatte, mit einem Antisemiten‹ – oder gleich mit einem Antizionisten! – ›eine jener hoffnungslosen Diskussionen zu führen, die immer dem Versuch ähneln, einem Tier das Sprechen beizubringen.‹«
Rede von Joachim Bruhn auf der »Demonstration gegen das Bündnis aus Rechtsradikalen, Linken und Islamisten« (Frankfurt, 20. Juni 2010)
6 notes · View notes
zitation · 3 months
Text
2 notes · View notes
zitation · 3 months
Text
Aber der Geist steht weder links noch rechts; nur deshalb ist er Geist. Denken ist die ihrem Gegenstand wie sich selbst treu bleibende Entfaltung des lebendigen Verhältnisses zwischen dem Subjekt und der Wirklichkeit, deren Teil es ist, unreglementierte und gerade deshalb nicht chaotische Erfahrung. Darum macht, wer jeden verächtlich macht, der sich auf Erfahrung beruft, das Denken verächtlich. Und darum schrumpft in historischen Konstellationen, in denen die Möglichkeit solcher Erfahrung sich verschließt, das Denken und bildet sich zurück zu Formen bloßen Reagierens, des Wiederkäuens vorgestanzter Floskeln, der Anklage, der Rationalisierung, Verleugnung, Verteidigung und Diffamierung. An der Sprache wird nicht mehr gearbeitet, weil sie Ausdrucksform von Erkenntnis ist, sondern nur noch, damit sie dem jeweils verordneten Zweck so effizient wie möglich dient. Mit anderen gesprochen wird nicht, um einander zu widersprechen, den anderen zu überzeugen, herauszufordern, zu verführen, oder gar um sich von dem Weg abbringen zu lassen, auf dem man sich sicher glaubt, sondern nur noch, um die eigene und die andere Meinung irgendeiner approbierten Richtung zuzuordnen. Die Neutralisierung des Denkens und Sprechens durch ihre Umlenkung auf digitale Medien, die während der Pandemie nötigende Züge angenommen hat (Online-Tutorials, Online-Vorträge, Zoom-Meetings, »digitales Lernen«), kommt dem Bedürfnis entgegen, sich permanent über alles zu verbreiten, ohne je mit Konsequenzen, mit realen Antworten rechnen zu müssen. Digitale Kommunikation ist Anti-Kommunikation. Wer jederzeit sich und die anderen stumm oder auf Schwarzbild stellen kann, dem ist die jederzeitige Möglichkeit der Annullierung anderer und seiner selbst zur konstitutiven Bedingung jeglichen Austauschs geworden: Ich bin nichtig und Ihr seid nichtig, und wir alle wissen das, deshalb kommen wir miteinander aus.
Insofern waren die letzten vier Jahre eine Epoche kollektiv eingeübter Selbstannullierung von Geist, Erfahrung und Wirklichkeitswahrnehmung, die jedem Einzelnen die eigene Läppischkeit eingebläut hat. Vieles wurde verlernt, vieles vergessen und verramscht: fast immer das Beste statt des Schlechten. Gleichzeitig mit diesem massenhaften Verlernen grundlegender zivilisatorischer Kodizes hat sich in den vergangenen Jahren im Westen, und in spezifischer Ausprägung in Deutschland, eine antibürgerliche und asoziale Form des Regierens durchgesetzt, bei der tatsächliche ebenso wie herbeigeredete Krisen als unhintergehbarer, fraglos zu akzeptierender Mitmachappell instrumentalisiert werden. Die immer neuen Zurichtungsschikanen werden den Einzelnen, die vom Regierungspersonal wie unmündige Kinder und daher wie Untertanen angesprochen werden und sich immer häufiger auch gegenseitig so ansprechen, nicht im Namen grundlegender Bürgerpflichten, sondern eines erpresserischen Zwangs zur kollektiven Für- und Selbstsorge, also zur Entbürgerlichung, auferlegt. Jeder, der zögert, zweifelt oder sich gar verweigert, wird unter Zuhilfenahme von Psychodiagnosen, öffentlichen Schmähungen und politischer Ächtung als unmoralisch, rücksichtslos, narzisstisch, wenn nicht gar als unzurechnungsfähig diskreditiert. Die Indienstnahme des Lernens aus der Geschichte für die jeweils anstehenden Regierungsziele ist dabei eine im veralltäglichten Antifaschismus zum Ausdruck kommende Praxis, die als spezifisch deutsche zu kritisieren ist, auch wenn sie sich transnational verallgemeinert hat. Staat und staatlich outgesourcte Zivilgesellschaft machen den Druck für die Einzelnen nur noch drückender. Die Minimierung wohlfahrtsstaatlicher Interventionen wird als Abbau staatlicher Kontrolle (»Neoliberalismus«) missverstanden, während gleichzeitig die erpresserischen Betreuungs- und Kontrollprozeduren intensiviert werden; der staatliche Zugriff aufs Privateste, Intimste der Individuen vertieft sich, während klassische Staatsaufgaben (Bildung, Soziales, Infrastruktur) geschreddert werden. Vorbild ist ein auf staatskonformer Freiwilligkeit beruhendes Modell biopolitischer Kontrolle, das mit dem Totalitarismus Chinas, das zwar öffentlich als autoritär geschmäht, aber zugleich kaum verhohlen um seine Zugriffsmöglichkeiten aufs eigene Menschenmaterial beneidet wird, mehr gemeinsam hat als seine Verfechter eingestehen. Diese staatlich lancierten, von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragenen und von israelsolidarisch sozialisierten, in diverser zivilgesellschaftlicher Arbeit aber mittlerweile in Äquidistanz geschulten Linken zusätzlich befeuerten Transformationen innerhalb der westlichen Staaten machen vieles von dem, was man als scheinbar selbstverständliches Ensemble »westlicher Standards« zu verteidigen gelernt hat, unselbstverständlich und fragwürdig. Dieser realhistorische Schwundprozess lässt sich weder rückgängig machen oder nach Belieben anhalten noch dadurch bewältigen, dass behauptet würde, er fände gar nicht statt. Es lässt sich aber der Versuch unternehmen, zu begreifen und das heißt: auf den Punkt zu bringen, was gegenwärtig geschieht und wie sich die Wirklichkeit durch das, was geschieht, verändert. Solche Texte zur falschen Zeit werden in casa|blanca künftig erscheinen.
1 note · View note
zitation · 3 years
Text
Wenn man hört, daß einer Charakter hat, dann soll man mißtrauisch sein: ein solcher Mensch ist oft nicht ansprechbar, rigid und kann sich keiner neuen Situation hingeben. Wenn einer Substanz hat, dann ist damit gemeint, daß bei ihm Wissen, Erfahrung, Gefühl, Instinkt aufgehoben sind, und auch, daß er verführbar ist. (A)nsprechbar sein heißt verführbar sein. Jeder anständige Mensch ist verführbar. --- Auf die Feststellungen kommt es nicht an. Sie sind Sache der Wissenschaft und führen nicht weiter. Häufig führen sie sogar in die Irre oder in endloses Gerede. Worauf es ankommt sind die eigenen Reaktionen auf die Welt. Sie allein führen weiter. --- Wenn Menschen zusammen sind und ohne vorbestimmten Zweck miteinander sprechen, wird die Bedeutung der Rede eines jeden nicht alllein durch die Richtigkeit, den Beitrag an Wissen, die Objektivität des Urteils bestimmt (...). Entscheidend dafür sind nicht weniger als der reproduzierbare Inhalt die Wahl der Worte, die Richtung des Gedankengangs, die Intonation, nicht zuletzt die in alldem sich ausdrückende bewußte und unbewußte Motivation. Nicht allein die Beziehung zu religiösen, politischen, beruflichen Interessen, sondern persönliche Neigungen, Liebe, Verzweiflung, Ressentiment, Pedanterie, Auflehnung gegen das Bestehende, unendlich viele psychische Tendenzen bestimmen den Sinn der Rede. Exaktheit ist nur ein bescheidenes Moment.
Max Horkheimer, Späne. Notizen und Gespräche, in ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 14, hg. von Alfred Schmidt u. Gunzelin Schmid Noerr, Frankfurt/M. 1988
1 note · View note
zitation · 3 years
Quote
Wie das alte Unrecht durch das generöse Massenaufgebot von Licht, Luft und Hygiene nicht geändert, sondern durch die blinkende Durchsichtigkeit des rationalisierten Betriebs gerade verdeckt wird, so besteht die inwendige Gesundheit der Epoche darin, daß sie die Flucht in die Krankheit abgeschnitten hat, ohne doch an deren Ätiologie das mindeste zu ändern. Die finsteren Abtritte wurden als peinliche Raumvergeudung beseitigt und ins Badezimmer verlegt. Bestätigt ist der Argwohn, den die Psychoanalyse hegte, ehe sie selber zu einem Stück Hygiene sich machte. Wo es am hellsten ist, herrschen insgeheim die Fäkalien. Der Vers: 'Das Elend bleibt. So wie es war. / Du kannst es nicht ausrotten ganz und gar, / Aber du machst es unsichtbar', gilt im Haushalt der Seele noch mehr als dort, wo die Fülle der Güter zeitweilig über die unaufhaltsam anwachsenden materiellen Differenzen täuscht. Keine Forschung reicht bis heute in die Hölle hinab, in der die Deformationen geprägt werden, die später als Fröhlichkeit, Aufgeschlossenheit, Umgänglichkeit, als gelungene Einpassung ins Unvermeidliche und als unvergrübelt praktischer Sinn zutage kommen. Es ist Grund zur Annahme, daß sie in noch frühere Phasen der Kindheitsentwicklung fallen als der Ursprung der Neurosen: sind diese Resultate eines Konflikts, in dem der Trieb geschlagen ward, so resultiert der Zustand, der so normal ist wie die beschädigte Gesellschaft, der er gleicht, aus einem gleichsam prähistorischen Eingriff, der die Kräfte schon bricht, ehe es zum Konflikt überhaupt kommt, und die spätere Konfliktlosigkeit reflektiert das Vorentschiedensein, den apriorischen Triumph der kollektiven Instanz, nicht die Heilung durchs Erkennen. Unnervosität und Ruhe, bereits zur Voraussetzung dafür geworden, daß Applikanten höher bezahlte Stellungen zugewiesen bekommen, sind das Bild des erstickten Schweigens, das die Auftraggeber der Personalchefs politisch später erst verhängen. Diagnostizieren läßt die Krankheit der Gesunden sich einzig objektiv, am Mißverhältnis ihrer rationalen Lebensführung zur möglichen vernünftigen Bestimmung ihres Lebens. Aber die Spur der Krankheit verrät sich doch: sie sehen aus, als wäre ihre Haut mit einem regelmäßig gemusterten Ausschlag bedruckt, als trieben sie Mimikry mit dem Anorganischen. Wenig fehlt, und man könnte die, welche im Beweis ihrer quicken Lebendigkeit und strotzenden Kraft aufgehen, für präparierte Leichen halten, denen man die Nachricht von ihrem nicht ganz gelungenen Ableben aus bevölkerungspolitischen Rücksichten vorenthielt. Auf dem Grunde der herrschenden Gesundheit liegt der Tod. All ihre Bewegung gleicht den Reflexbewegungen von Wesen, denen das Herz stillstand.
Theodor W. Adorno, Die Gesundheit zum Tode ("Minima Moralia")
5 notes · View notes
zitation · 4 years
Quote
Fridays for future stellen Verzichtsforderungen, vor allem gegen die alten Eliten (über Smartphones, Internet oder Computer hört man wenig). Sie betreiben eine Politik der Knechtschaft der Gewissensbisse, die den Einzelnen suggeriert, unmittelbar für die Zerstörung der Umwelt oder der Demokratie verantwortlich zu sein. Durch den ideologischen Kitt von Gewissenszwang und Glauben an die eigene Verantwortung hält sich das Getriebe der herrschenden Gesellschaft jedoch gerade am Laufen. Aus Gewissensbissen entsteht niemals Gesellschaftskritik, sondern nur Selbstkritik. Wenn sich das Gewissen meldet wird das gesellschaftliche Versagen nicht adressiert, sondern nur das eigene Unvermögen erblickt und versucht, dieses zu beseitigen. Das Problem wird dadurch noch nicht einmal verstanden. Statt der Forderung nach einem besseren Leben, bleibt nur die Selbstzurichtung. Die kapitalistische Gesellschaft wird durch diese Selbstbeschäftigung individualistisch verzerrt wahrgenommen. Denn auf den Einzelnen und sein Verhalten kommt es in dieser Gesellschaft gerade nicht an. Genau das wäre zu skandalisieren. Fridays for Future vertritt in weiten Teilen eine individualisierte Konsumkritik und fordert ein »back to nature«. Das einzige womit Fridays for Future aufwarten kann ist das Schaffen einer neuen Konkurrenzsituation zwischen den Individuen, darum ökologischer zu sein als andere und nicht selbst Ziel von Diffamierung zu werden. Eine Konkurrenz die für den Grünenwähler in Schule und Beruf ein Problem zu sein scheint, soll im Privaten auf einmal seinen richtigen Platz gefunden haben. Dabei ist diese Konkurrenz gar noch gefährlicher als ihr kapitalistisches Pendant. Die kapitalistische Konkurrenz ist von der Idee her zumindest noch darauf angelegt, dass der einzelne, wenn er sich nur richtig anstrengt, mit Geld seine Träume erfüllen kann. Dagegen hat die ökologische Konkurrenz dem Individuum noch nicht einmal ein falsches Versprechen zu bieten. Sie verlangt stattdessen von jedem Einzelnen seine Wünsche für das Kollektiv zu opfern. Damit gefährdet die Klimabewegung selbst die prekäre Freiheit dieser Gesellschaft. Während der Kapitalismus den Menschen ihre Wünsche bloß nicht erfüllt, versucht die Klimabewegung selbst die Wünsche den Menschen zu nehmen. Dabei sollte Kapitalismuskritik gerade die Wünsche der Menschen bejahen und ihre nicht-Erfüllung skandalisieren. Aus der richtigen Diagnose, dass die kapitalistische Gesellschaft die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört, wird fälschlicherweise geschlussfolgert, diese Gesellschaft müsse irgendwie »natürlicher« und »ökologischer« gestaltet werden. Das Gegenteil ist der Fall: Um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen gegen den Klimawandel vorzugehen ohne die Menschen dabei auf der Strecke zu lassen, muss zunächst die Naturhaftigkeit dieser Gesellschaft beseitigt werden. Dass Menschen weiterhin verhungern, obwohl es keiner mehr müsste, zeigt die Machtlosigkeit der Menschheit über den Produktionsprozess. Die Ökologie vermag als Teilgebiet der Naturwissenschaften, keine Antworten auf gesellschaftliche Probleme zu geben. Sie verlängert sie lediglich, in dem sie Wissenschaft ohne Reflexion auf die Gesellschaft betreibt. Der Ruf nach einer natürlichen oder ökologischen Gesellschaft, die sich nach Erkenntnissen der Naturwissenschaft richtet, liegt so gänzlich auf der Flugbahn des sich globalisierenden Kapitalverhältnisses und stellt keineswegs einen Einspruch dagegen dar. Naturzerstörend ist diese Gesellschaft gerade, weil sie wie Natur verläuft. Sie zerstört sie, weil sie selbst wie Natur handelt.
Aus dem Flugblatt der Gruppe «Antideutsche Kommunisten Leipzig» : Per Klimastreik in den »Green Capitalism«
Anlässlich des Klimastreiks an der Uni Leipzig, hat die Gruppe «Antideutsche Kommunisten Leipzig» folgendes Flugblatt bei der Vollversammlung im Audimax verteilt.
3 notes · View notes
zitation · 4 years
Quote
Doch auch wenn sich die militanten Gentrifizierungsgegner als Rächer der Entrechteten und Enterbten präsentierten, darf bezweifelt werden, dass die Alteingesessenen viel von ihnen und ihren Aktivitäten wissen wollen. Weder dürfte der Unterschichtennachwuchs der Leipziger Stadtteile Connewitz, Reudnitz oder Plagwitz besonders begeistert sein, wenn die Großraumdiskotheken mit „Happy Hour“, Freigetränken für Frauen und Abschleppgarantie, in die es ihn am Wochenende gelegentlich zieht, in autonome Zentren verwandelt würden. Im Gegenzug dürfte auch das Stammpublikum des Zoro nicht besonders glücklich darüber sein, wenn die szenefernen DSDS-Fans von nebenan kollektiv beim nächsten Crustcore-Konzert auftauchen würden. Darüber hinaus ist es auch nicht ausgemacht, dass die örtlichen Proleten und Subproleten etwas gegen eine Verschönerung ihres Viertels haben: Die Underdogs sind gelegentlich schlauer als ihre Avantgarde. Ihr Problem sind nämlich weniger die neuen Kneipen und die sanierten Fassaden – auch ihnen wäre das Wohnen in einem modernisierten Haus ohne zugige Fenster und Kohlenheizung zu gönnen. Ihr Problem ist vielmehr das fehlende Geld. Wer statt einer gefüllten Brieftasche nur fordert, dass die „hippen“ und „trendigen“, und das heißt oft auch: besseren und schöneren Läden, Kneipen und Restaurants verschwinden sollen, fällt selbst hinter die Vorstellungen eines biederen Gewerkschaftsfunktionärs zurück. Ihm geht es nicht um die Verbesserung der Lage von Hartz-IV-Empfängern, Leiharbeitern und anderen prekär Beschäftigten, sondern um die Zementierung des elenden Status Quo. Alles soll beim Alten bleiben; mit Ausnahme einiger handverlesener Sozialrevolutionäre, denen der Zuzug gestattet wird, sollen die Unterschichtler gefälligst unter sich bleiben. „Das Viertel bleibt dreckig!“, so heißt es dementsprechend auf Aufklebern, die seit einiger Zeit bei den einschlägigen linken Devotionalien-Mailordern bestellt werden können. Die militanten Gentrifizierungsgegner haben damit ein ähnlich instrumentelles Verhältnis zu den alteingesessenen Viertelbewohnern wie sie es den sogenannten Hipstern und Yuppies nicht ganz zu Unrecht unterstellen: Die Hipster-Fraktion tritt ihrem Gegenüber in den einschlägigen Dönerbuden oder Internetcafés oftmals weniger wie Vertragspartnern, denen im Akt des Kaufes von gleich zu gleich begegnet wird, sondern eher wie Dienern gegenüber, die nur zur Steigerung des eigenen Wohlbefindens da sind. Der sozialrevolutionären Mittelstandjugend dienen die Unterschichten hingegen lediglich als Staffage, vor deren Hintergrund die eigene Aufstandsromantik ausgelebt werden kann. Der Klassenkampf, von dem die militanten Leipziger Gentrifizierungsgegner sprechen, ist insofern bestenfalls der Kampf um die Vorherrschaft der eigenen Gang im Viertel. Im Unterschied zu traditionellen Mietervereinigungen, die sich vollkommen zu Recht gegen Mieterhöhungen, Vermieterwillkür oder tyrannische Hausmeister  zur Wehr setzen, treten sie weder für eigene materielle Interessen oder die Steigerung von Lebensqualität ein. Noch betreiben sie das, was im Englischen als „Mutual Aid“ bezeichnet wird und mit dem deutschen Begriff der „Nachbarschaftshilfe“ nur unzureichend übersetzt werden kann. Durch ihre nächtlichen  Farbbeutelanschläge und ihre im Mafia-Slang erfolgte Erklärung, das Conne Island in Zukunft „aufmerksam beobachten“ zu wollen, zeigen sie vielmehr, dass es ihnen in erster Linie um Drohung und Einschüchterung geht. Wenn die Autoren der Kommandoerklärung darüber hinaus jeden Widerspruch als „klare Provokation“, „Bedrohung“  und „öffentliche Anfeindung“ bezeichnen; wenn sie in der hierzulande so typischen Mischung aus Aggressivität und Larmoyanz zum Mittel der Einschüchterung und Schikane greifen und sich gleichzeitig als Opfer vermeintlicher Denunziation präsentieren, wird deutlich: Hier wird im Stil der verfolgenden Unschuld das nächste Losschlagen vorbereitet. Diese Einschüchterungsversuche haben bereits Wirkung gezeigt: So entschieden sich Autoren, die ihre Texte im Conne-Island-Newsflyer bislang mit Klarnamen unterzeichneten, aus Furcht vor der linken Feme, ihre Kritik am linken Heimatschutz im aktuellen Heft sicherheitshalber unter Pseudonym zu veröffentlichen. Die Leipziger Kiezmiliz ist jedoch nicht nur bei Al Capone in die Lehre gegangen. Wenn sie im Jargon des Nazijuristen Carl Schmitt erklärt, dass sich das Conne Island längst vom „Freund in einen Feind“ verwandelt habe, signalisiert sie zugleich, dass sie noch andere Vorbilder hat. Der Verweis auf die eigenen antifaschistischen Aktivitäten, der in der Kommandoerklärung der Gentrifizierungsgegner selbstverständlich nicht fehlen darf, scheint vor diesem Hintergrund vor allem dem Zweck zu dienen, die eigene Ahnung, in Sachen Freund-Feind-Rhetorik und (O-Ton) „Hass, Hass, Hass“ auf Spekulanten längst mit den braunen Jungs von der Platte zusammenarbeiten zu können. Je größer diese Ahnung ist, umso vehementer muss sie durch das traditionelle Herumschlägern mit Nazis abgewehrt werden. Das dürfte einer der Gründe für die gesteigerte antifaschistische Militanz sein, von der jüngst aus einigen Gegenden Leipzigs berichtet wird. Es ist zu hoffen, dass sich das Conne Island nicht auf die Form des Stadtteilkampfes einlässt, die ihm von den militanten Milieuschützern angetragen wurde. Es würde sich damit nur in eine weitere Gang verwandeln, die um die Vorherrschaft im Leipziger Süden kämpft. Wenn die Connewitzer Kiezmilizen in die Tat umsetzen sollten, was in ihrer Freund-Feind-Rhetorik und in ihrem Mafiajargon angelegt ist, dann wäre weniger auf die längere Straßenkampfpraxis oder die größere Kampfsporterfahrung zu vertrauen. Es wäre vielmehr etwas zu bemühen, das nicht nur gegenüber dem Recht des größeren Faustkeils eine zivilisatorische Errungenschaft darstellt: das Gesetzbuch des bürgerlichen Staates. Wer die bürgerlichen Umgangsformen in revolutionärer Absicht überwinden will, dem sollten sie zunächst einmal beigebracht werden. Angesichts der Tatsache, dass sich das Conne Island in den vergangenen Jahren wieder deutlicher an den linken Szenekodizes orientiert hat, ist es zwar fraglich, ob es sich für diesen Weg, soll heißen: für die Waffen von Aufklärung und Kritik, entscheiden wird. Bei den entsprechenden Versuchen hätte es jedoch Solidarität verdient.
Jan Gerber über linken Milieuschutz in Leipzig (Bahamas 63/2011)
„Das Viertel bleibt dreckig!“
0 notes
zitation · 5 years
Quote
»Je mehr die Psychoanalyse soziologisiert wird, um so stumpfer wird ihr Organ für die Erkenntnis der sozial verursachten Konflikte. Die gleiche Tendenz zeigt sich auch im Ausschluß aller eigentlich somatischen Vorstellungen. So wird die Psychoanalyse in eine Art höherer Sozialfürsorge verwandelt. Statt die Sublimierung zu analysieren, sublimieren die Revisionisten die Analyse selber. Das macht sie allgemein akzeptabel.Mehr als alles andere zeigt das ihre Haltung zur Sexualität. Sie prätendiert nach alter Sitte den unbefangenen Blick des vorurteilsfreien, objektiven Wissenschaftlers, der vielfach in Phänomenen, die Freud zufolge sexuell sind, nichts Sexuelles konstatieren könne. Sie ist grundsätzlich theoriefeindlich. Sie paktiert mit dem gesunden Menschenverstand gegen die Unterscheidung der Erscheinung vom Wesen, ohne welche die Psychoanalyse ihrer kritischen Impulse beraubt ist.[...]Dieser Funktionswechsel geschah nicht zufällig. Die eifrige Verteidigung von Zärtlichkeit und menschlicher Zuneigung gegen den Verdacht, sie könnten in Sexualität wurzeln, bezeugt, daß die Tabus über die Revisionisten größere Macht haben als über Freud. Wenn sie im Namen der Liebe gegen seine Sexualtheorie protestierten, so haben sie von allem Anfang an zugleich die konventionelle Unterscheidung von sexueller und sublimer Liebe gegen ihn aufgegriffen und nicht so sehr der Unterdrückung der sexuellen sich erwehren wollen wie der Attacke auf die erlogene Unvermischtheit der sublimen. Überhaupt war die Inkonsistenz in Freuds Denken, über die sie sich aufregen, daß nämlich Freud einerseits Sexualität zum Zentrum macht, andererseits abei an den Sexualtabus festhält, keineswegs ein bloßer Denkfehler. Sie entspricht dem objektiven Tatbestand, daß Lust und Verbot nicht mechanisch auseinandergenommen werden können, sondern sich gegenseitig bedingen. Sie müssen in ihrer Wechselwirkung begriffen werden: Lust ohne Verbot ist ebenso schwer vorzustellen wie Verbot ohne Lust. Wenn Psychoanalyse diese Verschränkung leugnet, reduziert sie sich auf eine Art sozialer Therapie zur Gesunden Lösung der Ichkonflikte und terminiert in der Bestätigung eben der patriarchalischen Gesellschaft, von der die Sezession sich abwenden wollte. [...]In der bestehenden Verfassung des Daseins gehen die Beziehungen zwischen den Menschen weder aus ihrem freien Willen noch aus ihren Trieben hervor, sondern aus sozialen und ökonomischen Gesetzen, die sich über ihren Köpfen durchsetzen. Wenn in ihr die Psychologie sich menschlich oder gesellschaftsfähig macht, indem sie so tut, als wäre die Gesellschaft die der Menschen und von ihrem innersten Selbst bestimmt, so leiht sie einer inhumanen Realität den Glanz des Humanen. Jene finsteren Denker, die sich auf die Schlechtigkeit und Unverbesserlichkeit der Menschennatur versteifen und pessimistisch die Notwendigkeit der Autorität verkünden - Freud steht darin neben Hobbes, Mandeville und Sade -, lassen sich nicht als Reaktionäre bequem abfertigen. Ihrer eigenen Schicht waren sie nie willkommen. Daß man von der lichten und nicht von der finsteren Seite von Individuum und Gesellschaft reden solle, ist genau die offiziell genehme und respektable Ideologie. Ihr verfallen die Neofreudianer, die über den Reaktionär Freud indigniert sind, während sein unversöhnlicher Pessimismus die Wahrheit bezeugt über die Verhältnisse, von denen er nicht spricht.[...]Es handelt sich bei ihnen [Den Revisionisten] nicht so sehr um häretische Abweichungen von Freuds Lehren als um eine bequeme Glättung ihrer Widersprüche. Unter ihren Händen wird die Freudsche Theorie zu einem weiteren Mittel, die seelischen Regungen dem gesellschaftlichen Status quo zu integrieren. Aus der Analyse des Unbewußten machen sie einen Teil der industrialisierten Massenkultur, aus einem Instrument der Aufklärung ein Instrument des Scheins, daß Gesellschaft und Individuum, Anpassung an die allmächtige Realität und Glück sich deckten. Dieser Schein wird immer mehr zur allgegenwärtigen Ideologie einer Welt, die das Individuum ohne Rest in lückenlose Organisation einfängt, dabei jedoch nicht minder zwangshaft und irrational bleibt, als die psychologischen Schäden des Individuums je es waren.« (Theodor W. Adorno - Die revidierte Psychoanalyse) Online: https://archive.org/stream/theodor-w-adorno-die-revidierte-psychoanalyse/theodor-w-adorno-die-revidierte-psychoanalyse_djvu.txt PDF -Format: https://opus4.kobv.de/opus4-Fromm/files/3622/Adorno_Th_W_1962.pdf
4 notes · View notes
zitation · 5 years
Quote
»Von dem Augenblick an, da man liebt, sieht selbst der Klügste einen Gegenstand nicht mehr so, wie er ist. Er schätzt seine eigenen Vorzüge zu niedrig, die geringsten Gunstbezeigungen der Geliebten zu hoch ein. Furcht und Hoffnung nehmen im Nu etwas Romantisches (wayward) an. Er schreibts nicht mehr dem Zufall zu; er verliert das Gefühl für das Wahrscheinliche. Etwas Eingebildetes wird, weil es auf sein Glück einwirkt, für ihn zu etwas Wirklichem.«
Stendhal, Über die Liebe, 12. Kapitel: Weiteres über die Kristallisation, S. 33f., Berlin 1963.
2 notes · View notes
zitation · 5 years
Link
"Die  deutsche Geschichtspolitik der 'Vergangenheitsbewältigung' hat auf der Ebene der offiziellen Erinnerung und der informellen Familiengeschichte konkrete Schuld und Verantwortung durch eine abstrakte Verpflichtung gegenüber Ideen und moralischen Werten und Prinzipien ersetzt. Sie hat die Nachgeborenen damit von konkreter Schuld und Verantwortung entlastet.
Genau damit aber fügt sich die Geschichtspolitik und die von ihr geprägte deutsche Gesellschaft in eine spezifisch deutsche Tradition. Helmut Plessner hat die Neigung der Deutschen, sich und ihre Nation über abstrakte Ideen und Ideologien zu definieren, auf ihre Position als 'verspätete' Nation zurückgeführt. (...)
Diese fehlende kulturelle Selbstgewissheit und die nur ideelle Selbstdefinition als Nation beobachten wir heute wieder und mit ihr das in der Geschichte der deutschen Gesellschaft so charakteristische Oszillieren zwischen Selbstverleugnung und Überlegenheitsanspruch."
0 notes