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#wissenswallfahrt
fabiansteinhauer · 9 months
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Wissenswallfahrt III
1.
Am MPI, das von denen einen das Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, von den anderen das Institut für wahrscheinliches und unwahrscheinliches Recht genannt wird, organisiere ich regelmäßig Wissenswallfahrten.
Das sind Fahrten vor Mauern, die das Wissen wallen lassen sollen (sorry Mark Twain!). Wir kommen also immer zu Architekturen. Das sind Exkursionen, es geht raus, raus aus Kursen und Routinen, aber wir landen auf Routen. Jedes mal schauen wir uns Objekte einer Bild- und Rechtswissenschaft an, denn da liegt meine Expertise. Die Fahrten führens ins Außen, um im Außen das Außen zu denken. Wozu hat der Mensch zwei Augen? Wo er sie schon hat, kann er auch mal schauen.
2.
Zuerst waren wir in Würzburg, dann in Aschaffenburg und das dritte mal in Neresheim - mit einem Schlenker durch das Kochertal, mit seiner weitgehend durch Salz finanzierten fetten und schweren Steinarchitektur, die hier nicht aus dem roten frankischen Sandstein ist. Das, dieser Stein und die am Fluß entlang verlaufende Steinarchitektur war mir diesmal besonders auffällig, auch weil die sich so an der Kocher sammelt.
Ich denke, dass das eine Art Travertin ist, natürlich kein römischer Travertin aber wie in Rom Travertin, wenn auch nicht so fein. Das könnte Gauinger, Sonderbucher, Cannstatter oder Riedlinger Travertin sein, das sind typische Travertinsorten aus der Gegend. Man spricht von jungtertiären Süßwasserkalksteinen, die sind vor dem Anthropozän entstanden. Travertin ist kein Sandstein, das ist Kalkstein, vielleicht kann man diesen Stein darum als unreinen, leicht porösen und dochsehr stabilen Fastmarmor und insofern doch auch sehr feierlichen und festen Stein beschreiben. Der ist wesentlich fester als der rote fränkische Sandstein und insofern ist er auch nicht so lieblich, nicht so weich, der ist im ernsten festlicher und auf härtere Weise feierlich.
Das könnte teilweise sogar vulkanischer Stein sein, ich weiß das nicht genau. Am Härtesfeld, also in Neresheim, wurde dieser Stein zwar für die Fassade der Abteikirche verwendet (denke ich), aber die Dörfer auf dem Härtesfeld waren zu karg und zu arm, um sich diesen Stein leisten zu können. An der Kocher war das anders. Das ist nur ein Katzensprung, die Kocher entspringt wie die Jagst (die beiden größen Nebenflüsse des Neckar) am Rande des Härtesfeld, man fährt von Neresheim in wenigen Minuten zu ihr. Aber an ihren Ufern steht dann ganz andere Dorfarchitektur. Hier sind nicht nur die Fassaden großer Abteikichen aus dem Stein: Höfe, Lager, Brücken, Türmen. Werkstätten, Wohnhäuser: alles mögliche ist aus dem Stein. In kurzen Distanzen verändert sich dort, wie gesammelt und wie zerstreut der Reichtum der Gegend ist. Man sieht schon in der Abteikirche auf kurze Distanz Kontraktion und Distraktion. Aber außerhalb sieht man das wieder, das Selbe, nur anders. So muss man das aber sehen, weil man nichts sieht, wenn das Sehen nichts übersetzt. Außerhalb der Kirche sieht man Kontraktion und Distraktion, die durch Steine und Reichtum geht, beides bewegt. Innerhalb der Abteikirche ist Neumanns Umgang mit Kontraktion und Distraktion eine Übersetzung des Außen im Außen, denn man sieht das nur im Stil, nur im Protokoll, nur im Ausdruck und nur im Verfahren. Darum fahren wir rum und machen Wissenwallfahrten.
3.
Wenn man weiß, was die Grundlagen des Rechts sind, dann braucht man kein Institut für advanced studies und kein Institut für ein Recht, das vielleicht nicht auf der Höhe der Zeit und nicht advanced, aber immerhin Geschichte, theoretisch denkbar, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist. Wenn die Grundlagen des Rechts möglicherweise Stein oder Sediment oder versteinertes Sediment sind, wenn es der Stein erloschener Vulkane sein kann, dann braucht man ein Institut, das die einen ein Insitut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie und das die anderen ein Institut für wahrscheinliches und unwahrscheinliches Recht nennen.
Schwäbisch Hall liegt an der Kocher, das war ab 1280 eine Reichstadt, reich genug war es geworden, durch Salinen. Aus Schwäbisch Hall kommt der Haller oder Heller, der ist da erfunden worden, um später noch als Heller und Pfennig Wort und Bild geben und zahlen zu können. Hermann Heller hat vermutlich daher seinen Namen, der kommt vermutlich wie, Bingo!, Aby Warburg aus einer Familie von Wechslern, die den Namen Heller noch hielten, als es sie dort schon lange nicht mehr hielt. Früher war Schwäbisch Hall Reichstadt, ein kapitales und kapitalistisches Städtchen ist es jetzt immer noch und Würth scheint nun ein Patron dort zu sein, zumindest hat er da ein ein Museum in einer Johanniterkirche für Alte Meister mitfinanziert, das jetzt aber nicht den Namen alter Meister oder Johanns, sondern seinen Namen trägt.
Der ist also nicht nur Patron sonden auch eine Art Frieder Burda oder Boros von Schwäbisch Hall. Das Museum ist fantastisch, das größe Meisterwerk dort vielleicht Holbeins Schutzmantelmadonna oder Riemenschneiders Lüsterweibchen, die größe Kopie istd ort eine Kopie von Matthias Grünewald die Meister Gothart-Nithart gemacht haben soll - und lauter faszinierende Maler aus den zweiten und dritten Reihen, die nicht so glatt sind wie Meister ja dann doch oft auch sind.
4.
Die vierte Wissenswallfahrt wird erst im Oktober stattfinden. Aber wohin? Amorbach wäre mal gut, Miltenberg auch. Oder endlich mal nicht idyllisch, ab nach Mannheim (ins Collini, so lange es noch steht!) und - irre - Ludwigshafen, also unter Brücken, denn 'New Ludwigshaven' ist die unterbrückte Stadt schlechthin, da schlafen fast alle unter Brücken, so scheint es manchmal. Mal schauen.
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fabiansteinhauer · 9 months
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Bewegung über Messe(n)
1.
Ich weiß nicht, ob Martin Knollers Knüller in der 'Mitte' der Abteikirche von Neresheim irgendetwas stabilisiert oder restabilisiert. Ich weiß nur, dass es ein elliptisches Bild ist, das eiert (ab ovo) und kreist und Figuren zeigt, die sich in meteorologischen Lagen, nämlich in, auf, unter und neben Wolken versammeln. Meine These ist, dass diesem Bild die Stabilisierung und Restabilisierung nicht so am Herzen liegt, nicht so, wie es die Unbeständigkeit, also auch das Instabile tut.
Und ich weiß, dass das ein verspätetes und hochbarockes Objekt ist, durch das Bewegung gehen soll, und zwar Bewegung über Messe(n). Das ist ein Deckengemälde in einer Messehalle, also demjenigen Typ römischer Gebäude, die Mehrzweckhallen waren, in denen die alten Götter keine Plätze, keine Tische und Stühle reserviert hatten und die darum der neuen Religion, der römischen-katholischen (deren praktisches Regime als hohl oder völlig offen galt und das sich angeblich darum das römische Recht wie einen Ersatz praktischer Regeln einverleibt haben soll) leicht zugänglich, nutz- und besetzbar waren. Basilika hießen diese Hallen.
Knollers Bild ist ein Polobjekt. In der Bewegung, die durch dieses Bild gehen soll, kommen nämlich Kehren, Kippen und Wendungen vor. Das Bild macht Verkehr und Verkehrung möglich, es lässt begehren und es lässt bekehren, es lässt verzehren. Knoller hat diesen Kehren, seinen Kippen und den Wendungen vier (kosmologische) Stationen eingerichtet, die auf besondere Weise Zeiten und Räume verknüpfen, nämlich so, wie Himmelrichtungen oder Jahreszeiten es tun. Das Bild hat vier Stationen, vier stationäre Stellen, es ist aber eine Passage, durch die Bewegung gehen soll. Die vier Stellen sind vorübergehende Stationen in durchgehender Bewegung. Alle vier Stationen erscheinen wie Scheitelpunkte, an ihnen wird eine Kurve zu einer Kippe, wie es Sterne tun, wenn am Himmel etwas kippt, wenn etwa bis zur Johannisnacht die Tage länger, ab da aber kürzer werden. Dieses Objekt istzar nicht tabellarisch organisiert, aber elliptisch. Warburg oranisiert Tafel 79 tabellarisch und elliptisch, also auch kreisend.
Das Foto oben habe ich darum viermal gedreht, um diese vier Stationen zu markieren, wie Knoller das schon tat. Das Protokoll dieses Bildes besteht nicht nur darin, betrachtet zu werden, sondern den Zug, der eine Betrachtung ist, als Bewegung mitzumachen, in der Kehren, Kippen und Wenden vorkommen. Anders gesagt: Betrachtung heißt hier nicht nur, die Augen aufzusperren, um etwas hineinzulassen und sich dabei was zu denken. Das Trachten ist auch eine Technik, Körper ziehen zu lassen, bewegen zu lassen. Der Körper muss sich in Betrachtung mitziehen lassen. Würde man zu der Bewegung ein Prokoll zeichnen, wären die Linien darin auch verdreht oder verkehrt (umgekehrt). Die Linien, die Betrachtungen zeichnen, die also 'das Trachten trachten', die nennt man Protokoll, das ist ein Bewegungsregime.
2.
Durch das Polobjekt soll Bewegung gehen, in der Kehren, Kippen und Wenden vorkommen. Meine These ist, dass Warburgs Polobjekte an einer Technik hängen, die man als Technik 'vaguer Assoziation' (Luhmann) beschreiben kann. Luhmann kommt in seinem Zettelkasten im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Gleichgewicht (wie etwa die kontrafaktische Stabilisierung, von der er spricht, eines bräuchte) und zur Mchanik auf die Formulierung 'vague Assoziation'. Luhmann spricht das Wort aus, wie man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Er sagt das so, als sei das nichts. Das heißt, dass er die bisherige Literatur als vague Asssoziation zu dem, was er sucht beschreibt und meint darum suchen zu müssen. Das stimmt schon. Wenn man etwas als Grund seiner Suche betrachtet, dann ist das ein guter Grund, zu suchen. Aber man kann es sicher auch anders sehen, und weil ich nicht ans Nichts glaube, glaube ich, dass vague Assoziation etwas ist, sogar etwas sehr Präzises, sehr Verbindliches und sehr Verbindendes. Vor allem diejenige Bild- und Rechtswissenschaft, an der Warburg zwischen 1896 und 1929 arbeitete, hat dafür entscheidende Arbeiten geliefert.
Luhmanns 'vague Assoziation' betrachte ich in ihrer kulturtechnische Dimension, also als Technik, die assoziiert (Verbindungen und Verbindlichkeiten schafft) und die vague ist. Dafür gibt es schon Begriffe, nämlich verzehren, verschlingen, vagire, fagieren, kreisen, wägen, wogen, wagen: als alle die Techinken, die vague und Vagues oder etwas vogue oder Vogue machen, die Wellen machen. Meine These ist, dass dies die Vorgänge sind, durch die bewegung geht, in der Kehren, Wenden oder Kippen gehen, sogar so, dass darin Subjekt und Objekt der Bewegung mitgehen. Solche Bewegungen müssen weder stabil sein noch stabilisieren, sie können meteorologisch, also unbeständig sein.
3.
Bewegung über Messen: Durch das Deckgemälde von Knoller geht nicht nur Bewegung über Messen, weil es an der Decke einer Messehalle positioniert ist. Das Gemälde macht die Messe und das Messen auch zum Gegenstand, es hat die Messen und das Messen zum Gegenstand. Ob das Gemälde das reflexiv hat, ist nicht sicher. Denn das Objekt ist ja Teil einer Messehalle, es ist ja Teil der Messe, muss zur Messe also nicht im Verhältnis von Objekt und Subjekt, Form und Inhalt oder Gegenstand und Geist stehen. Es kann auch schlicht im Verhältnis Form zu Form die Messe zum Gegenstand haben oder machen. Rekursiv wird das Verhältnis dann sein, reflexiv muss es nicht sein.
Das Gemälde macht die Messe/ das Messen zum Gegenstand, unter anderem als Missio(n), also unter anderem als (Be-)Kehrung. Das Gemälde macht auch die Polarität zum Gegenstand, weil es ein Polobjet ist, nicht weil es darüber nachdenkt, was Polarität bedeutet, welchen Sinn sie macht und welchen Inhalt sie hat. Sie hat vermutlich gar keinen Halt, auch keinen drinnen, auch keinen Inhalt. Durch sie geht Bewegung, die meteorologisch sein kann.
4.
Ein Objekt, durch das Bewegung gehen soll, nur gehen soll, aber nicht gehen muss, das ist ein unsicheres Objekt, aber ein normatives Objekt und ein Objekt, dessen Material wie ein Gerücht ist. Die Leute unterscheiden die ' Konjunktivität' von der Normativität, aber nicht alle tun es, Bachofen, Luhmann, Möllers und ich (Kicher! was Direktor Futsch wohl dazu sagt) tun das auch, aber nicht groß.
Warburg, wie Benjamin, interessiert sich dafür. Warburg als Polarforscher und Kreditberater, Benjamin als jemand, der an einer Praxis forscht, die er in einer Randbemerkung zu seinen geschichtsphilosophischen Thesen magisch und mantisch nennt. In Wirklichkeit haben sich Warburg und Benjamin nicht getroffen, obwohl Benjamin die Initiative ergriff. Sie haben sich aber an Texten, Tabellen, an skalierbaren Tafeln, unter anderem an den Arbeiten von Franz Boll getroffen.
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fabiansteinhauer · 9 months
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Wissenswallfahrt Drei/Drei
Die dritte Wissenswallfahrt steht an. Morgen wird Abteilung Drei des Institutes für wahrscheinliches und unwahrscheinliches Recht mit dem Augustgast Friedrich und mit Haochen Ku von Abteilung Zwei nach Neresheim aufbrechen. Neresheim ist in Deutschland der verspätete Ort schlechthin. Diese Abteikirche wurde 1792 geweiht, d.i. nicht nur nach dem Gesetz, sondern auch nach der Revolution, der französischen, zumindest nach ihren Anfängen, also nach dem, was sie anfing.
Ich halte Neresheim nicht nur für den verspäteten Ort in Deutschland schlechthin. Das ist auch ein wahnsinnig schöner Ort, nicht in allem, aber in vielem und da oft maximal, gerade durch die Verspätung. Zu den barocken Falten kamen unbarocke Falten. Das Kloster dümpelt vor sich hin. Als ich in Augsburg unterrichtete, war die letzte Frau von Neresheim, also die Chingachgook (d.h. große Schlange) unter den Frauen des Härtesfelds, eine der Studentinnen. Härtesfeld heißt die Landschaft und der Kreissaal hat Anfang der Achtziger geschlossen. Sie war die Letztgeborene in diesem Saal. Das letzte Mädchen, das dort im Kreissaal geboren wurde studierte später Jura, ihre Eltern waren aus der Türkei hergekommen, wären die nicht gekommen, hätte man den Kreisssal noch früher dicht machen können, dann hätte die aber vielleicht auch nie in Augsburg Jura studiert, ich hätte von ihr nie die Empfehlung bekommen, mir diese Abteikirche gefälligst einmal anzuschauen - und wer weiß, ob ich dann morgen auch diese dritte Wissenswallfahrt gemacht hätte. Ich weiß ihren Namen nicht mehr. Was er sie erzählte und wie sie es tat, das weiß ich noch, wenn auch auf die intensive Art, dass man sich in der Erinnerung fragt, ob man es geträumt hätte. Die letzten und jüngsten Medien kreisen sowieso.
Haochen Ku und Friedrich Weber-Steinhaus müssen den Ort sehen, das ist der Gipfel der Kirchenbauten von Balthasar Neumann, das ist die unwahrscheinlichste Faltung, die mir je begegnet ist. Unwahrscheinliche Faltungen und Verspätungen, das werden diesmal die Themen dieser Exkursion sein.
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fabiansteinhauer · 11 months
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Wissenswallfahrt: Referenz Rom
1.
Das Wissen wallen lassen, es in Wellen mauern lassen (sperrig sein lassen, um den Druck für den Austausch zu erhöhen), dafür sind Wisswallfahrten da. Vor einigen Jahren gab es am Max-Planck-Institut für wahrscheinliches und unwahrscheinliches Recht, das damals noch Max-Planck-Insitut für europäische Rechtsgeschichte hieß und heute nahezu perfekt anders und auch ziemlich lang genannt wird, eine Tagung unter dem Titel Referenz Rom. Die hatten Marie-Theres Fögen und Cornelia Vismann organisiert. Wir haben das nicht vergessen.
2.
Auf der Tagung ging es um römische Verhäkelungen, die man in der Romanistik, im römischem Recht, im Zivilrecht, im kanonischen Recht findet. Aber nicht nur da. Damals hatte Erich Hörl in seiner Form der Heideggermimesis über Heidegger, die Parmenides-Vorlesung (aus der Zeit der Belagerungen und Einschließungen Leningrads- und Stalingrads) gesprochen. Was wäre das gewesen, wenn damals Daniel Loick dazu gekommen wäre, um über seine Vorstellungen von Juridismus und vom caesaristischen Blick zu sprechen! Aber so war es auch was.
Das Öffentliche Recht, das Verfassungs- und Verwaltungsrecht sind auch in Deutschland 'römisch verhäkelt'. Mit den Entkolonialisierungsbewegungen musste früher oder später kommen, dass alle Kolonie gewesen sein wollen. In Deutschland gab es schon lange Leute, die das wollten, man kann sie Deutschrömer nennen, auch im öffentlichen Recht gibt es sie. Auch die Rechtstheorie ist römisch verhäkelt. Selbst Stolleis' Geschichte des öffentlichen Rechts ist römisch verhäkelt (im ersten Band noch deutlich, danach läuft alles primär auf Autoren hinaus, die Bücher schreiben und Schüler haben). In der zeitgenössischen Rechtstheorie sitzt der eigensinnig vereinzelte Karl-Heinz Ladeur und hat Interesse an Rom als Teil dessen, was er den Anfang des westlichen Rechts nennt und im Kern über die Vorstellung einer Selbstirritationsfähigkeit (also einer immerhin ins Fähige gewendeten Stolperei) beschreibt. Im Kern nicht fest oder aber, besser gesagt, im Kern nussig, noisette, noiseuse, nöselnd, noisy, also eigentlich querulatorisch, so stelle ich mir vor, was Ladeur meint. Im Kern Querelle, im Kern das Kehren. Wenn man Ladeur so lesen kann, kann man alles so lesen. Hoffentlich verschwinden mit gewachsenem Widerspruchstalent nicht die Widersprüche.
Etwas steckt in Ladeurs Romidee drin, was man als Ironie wahrnehmen kann. In Ladeurs Vorstellung der Referenz Rom ist dieses Rom nämlich ein Zeit-, Denk-und Spielraum, der polar (polos/ tropos) und unvollendet ist (bei Ladeur steht' multipolar' und 'fragmentiert' obwohl man auch fragmentarisch sagen könnte). Rom ist gr. tropos, weil Rom nicht erst heute wendig, nicht erst heute Wendung ist. Rom ist gr. polos, da dreht sich alles, und das auch noch so, dass Kippen und Kehren drin vorkommen. Klingt so, also würde Ladeur sagen, der Westen sei verbesserlich oder verbesserbar, die anderen aber unverbesserlich oder aber unverbesserbar.
Ein kleines bisschen Vorsprung durch Technik oder sonstwas sei jedem gegönnt, ein bisschen Vorsprünglichkeit sollte jeder haben. Wenn die Leute dafür Referenzen braucht, sei es nun der Westen oder aber die Referenz Rom, sollen sie sie haben, müssen sich ja eh behaupten. Fühlen sich die anderen dadurch auf den Schlips getreten, werden sie sich schon melden.
2.
Auf der Wissenswallfahrt nach Aschaffenburg gehen wir Referenz Rom gucken. Weil ich mich seit einigen Jahren damit beschäftige, wie das Wissen des Recht übertragen und geteilt wird und diese Frage mit dem Begriff der Kulturtechnikforschung und dem Vorbild Vismann verknüpfe, ist das die Gelegenheit an Objekten zu beobachten, wie solche Übertragunen und Teilungen stattfinden.
Scheiden, Schichten, Mustern: Wenn man elementare Kulturtechniken des Rechts begrifflich fassen will, dann kann man, wie Vismann das gemacht, auf eingerichtete und ausgeübte Unterscheidungen setzen. Vismann wollte ihr Werk 2010 in einem großen Bogen sehen, das war Summenzeit, und sie wollte drei Bücher elementar unterscheiden: Das Buch zu den Akten, das zu den Gerichten und das zu den Computern (öffentlich nur im Habilverfahren in Frankfurt).
Sie hat diese drei Bücher den sog, drei Gewalten zugeordnet, also der Verwaltung, der Rechtsprechung und der Gesetzgebung. Der Vorschlag, Scheiden, Schichten und Mustern als elementare jurdische Kulturtechniken zu beobachten, soll sich einerseits von jenen Medientheorien lösen, die mit Medien festen Eigenheiten verknüpfen und diese Verknüpfung entweder exklusiv verwenden und/ oder zur Stützung des Dogmas großer Trennung. Das macht Vismann nicht, der Vorschlag soll sich aber von Vismanns Gliederung lösen. Das soll eine Lösung sein, die dazu kommt, eine Anwendung des kybernetischen Imperativs, nach dem man immer so handeln soll, dass sich die Anzahl der Möglichkeiten erhöht. Ich glaube, dass Dirk Baecker oder Heinz von Foerster das den kybernetischen Imperativ nennt, darum mache ich das. Sonst könnte man auch von einem melancholischen und zaudernden Imperativ sprechen.
3.
In Aschaffenburg bietet es sich an, sich das Schichten anzuschauen, weil drei Objekte aus drei unterschiedlichen Zeit-, Denk- und Spielräumen da stehen, wie Schichten in Schichten. Oben wieder abgebildet: das ist der 'domitianische Bau' von Diez Brandi, in der ganzen kalten Eleganz, dem vorcoolen Schick der Fünfziger Jahre, das ist 1958 fertiggestellt. Kein Rathaus ist perfekt, dieses auch nicht (bei den Fensterrahmen hat Brandi m.E. keine Lösung gefunden). Aber dieses hier mit einer Übersetzung, die irgendwie über spätantike Zweckbauten, archaische Zentralbauten, über die sensationelle, erleichternde Vorhangfassade des Dogenpalastes in den industriellen Kastenchic der Hochausarchitektur führt, kommt dem schon nahe. Was für eine Bauaufgabe, an diesem Platz, der ja nicht erst heute einer der schönsten Rathausplätze nördlich der Alpen ist: er kippt ab, sammelt in einer gewissen Unentschiedenheit darüber, was für ein Polygon er sein will und ob er überhaupt eins sein will, die Gebäude, die an ihm stehen lieblich, gastlich und großzügig an, ohne jeden Größenwahn, ohne militärisches Spektakel, wie es sich für Rathausplätze gehört.
In Passau gab es einen Professor für Rechtphilosophie, einen durch Bildersammlung ein- und ausgebildeten Deutschrömer, der zu denen gehört, die für die Moderne immer wieder sagt, sie sei gescheitert. Von solchen Leuten bekommt sie, die Moderne, das Scheitern attestiert, ihr wird es reserviert. Den Braun müsste man mal an diesem Bau festbinden, damit er Zeit findet, ernsthaft über das Scheitern nachzudenken. Will er das lieber im stillen Kämmerchen, könnte man an ihn dort auch ins Kämmerchen stecken statt festbinden. Johannes Braun ist Deutschrömer der sich vermutlich mit denen identifiziert, die plattgemachte gesellschaftliche Außenseiter sind. Immerhin C-4 Professor, aber das ist ihm nicht vorzuhalten. Wenn er sich mit plattgemachten gesellschatlichen Außenseitern identifiziert, etwa mit der selbst äußert platten Figur des alten weißen Mannes oder gar mit der Figur einer Repräsentation Roms, dann ist ihm nur vorzuhalten was er selbst so schreibt, das ist platt. Irgendwas kann da nicht stimmen. Für den Rest scheint er sich nicht zu interessieren, zumindest schreibt er nichts darüber. Dieser Bau ist Moderne, wenn dieser Bau gescheitert ist, dann ist Scheitern Chance, die ich haben will. Das ist ein fantastischer Bau.
4.
Da durfte Diez Brandi bauen, das war mit Abstand der ehrenhafteste Auftrag, den er je bekommen hatte. In der Kirche, die dem Platz eine große, fast mafiotische Treppenszene beschert, hängt heute noch die Kopie eines Gemäldes von Matthias Grünewald, das muss man sich mal vorstellen. Gegen Grünewald gibt es Leonardo da Vinci wie Sand am Meer, vor allem oft genug in miesen Versionen. Grünewald kann nicht der Bach der Malerei sein, dafür bleiben seine Objekte zu klein, zu sperrig, zu rauschend. Aber das ist und bleibt der Isenheimgrünewald. In einem Gebäude an diesem Platz hängt also ein Bild von ihm, das ist eine Kopie (Lob der Kopie!), die hat Christian Schad gemacht, genau der, der als Kopist nicht berühmt wurde, weil er durch Bilder berühmt wurde, von denen man sagt, er habe sie selbst gemacht. Da hängt nicht nur eine Kopie, sonder noch dazu ein Original: Grünwalds toter Christus, in Sachen Grusel mit dem von Holbein in Basel leicht mithaltend. Zwei Bilder von Grünewald im öffentlichen Raum!
Da steht dieser Bau, in so einer Nachbarschaft
4.
Man kann nur, so sagt es Luhmann, in Schichten von Schichten sprechen. Luhmann schreibt über das Schichten, wenn er von stratifikatorischer Differenzierung spricht. Darunter versteht er eine historische und prägende Differenzierungsform. In der Zeit, in der stratifaktorische Differenzierung zeitgenössisch gewesen soll, soll sie nicht nur prägend, sie soll auch leitend gewesen sein. Schicht soll eine sogenannte Leitdifferenz gewesen sein. Was daraus geworden ist, dazu Luhmann wenig. Aber er sagt viel dazu, dass sie die Leitung verloren hätte. Luhmanns Vorstellung ist historisch, in der Geschichte soll nach der Phase stratifikatorischer Differenzierung Funktion die neue Leitdifferenz geworden sein. Danach soll funktionale Differenzierung prägend und leitend geworden sein.
Luhmann spricht aber auch von Gesellschaften ohne archimedische Punkte. Den Leitenden ist alles leitend, wie den Hämmernden alles hämmernd ist. Vielleicht muss man den Luhmann weniger leitend lesen, wenn man sich fragt, ob das alles so stimmt, wie er sagt.
Nicht nur Gesellschaften haben Schichten. Für Warburg zum Beispiel spielt gesellschaftliche Schichtung, insbesondere die im Florenz der Renaissance, eine wichtige Rolle, aber er nimmt sie wieder mal vor allem über das wahr, was er Pathosformel nennt. Die nennt Georges Didi-Hubermann eine psychische Gebärde. Warburgs Schichten sind also Falten, die man mit dem Namen und dem Begrif der Psyche assoziiert (sind Falten nicht immer kreisende Schichten?). In dem Kontext schreibt Didi-Huberman, eventuell etwas vorauseilig, die Pathosformeln seien sichtbare Symptome einer psychischen Zeit, die sich nicht auf eine Folge rhetorischer, gefühlsmäßiger oder individueller Peripathien reduzieren lässt. Man muss Didi-Huberman nun wirklich nicht erklären, dass sich vermutlich nichts in der Welt reduzieren lässt, es sei, man macht es, weil man reduzierend arbeitet.
Nichts von dem, auf das sich die Pathosformel nicht reduzieren lässt, lässt sich reduzieren. Die Rhetorik lässt sich nicht reduzieren, die Gefühle nicht, die Individuen nicht, die Peripathien nicht. Nicht einmal die Spaghetti und die Saucen lassen sich reduzieren. Es sei denn man macht's. Aber das ist wohl eine andere Umschreibung des Umstandes, dass man nur in Schichten von Schichten sprechen kann.
5.
Diez hat in Stuttgart gelernt, bei Paul Bonatz. Auch die Stuttgarter Schule ist modern gewesen und doch geschichtet, sogar so explizit, dass man vom Historismus der Stuttgarter Schule spricht. Die Frage nach der Massenverteilung, die Proportionen, die technische Konstruktion, strenge, kloster-, klausur- oder kasernenartige Fensterreihung: das sind Elemente, die Diez in Stuttgart gelernt hat, dort hat man die Lehre darauf konzentriert und daran die Vorstellung von Geschichte und Lösung geschärft. Man sagte, man hätte auf das Ornament verzichtet, die Aussage hängt auch an einer Übersetzungsgeschichte, mit der der Begriff des Ornaments so eng und klein gefasst wurde, dass man gerne auch darauf verzichten kann. Markus Brüderlin hat aus Anlaß seiner Beschäftigung mit der Geschichte des Ornaments daran erinnert, dass Ornament auch das heißt, was dem Ort einen Namen gibt, also seine Besonderheit noch dann bezeichnet, wenn der Name Peter Schmidt oder eben Paul Dietrich Brandi heißt, alle Elemente daran also genauso gut an anderen Personen vorkommen können, nur eben nicht so, wie an dieser einen. Die Formulierung Brüderlins klingt nach Spiel mit dem Äußeren des Begriffes, das ist sie auch. Und doch, gerade deswegen ist der Inhalt stimmig getroffen: Das Ornament ist ornat/ kosmos angewandt, an und für eine Stelle angewandt, auf dass die deutlich gestellt ist. Das Ornament schmückt nur, soweit es mustert, es platziert, indem es passiert. Der Bau in Aschaffenburg hat vielleicht kein Stuckornament, keine 'Zierleisten'. Aber erstens inszeniert Brandi einen modernen Bau, der nicht aus dem kosmos ausgestiegen ist, der also für eine Gesellschaft steht, die ihre Größe nicht im take-off sieht (so scheint's als habe das Gebäude um die Doppeluhr im Lichthof herum gebaut, um die Stelle herum, an der alles um Zeitmessung geht, auch im Sinne einer Messe. Zweitens ist er bei allen Oberflächen geradezu manisch und Detail besorgt, bis hin zum richtigen Schiff des Sandsteins. Vom Innersten der Uhr bis ins Äußerste des Sandstein, der geronnener (das das bei Koselleck eine Metapher wäre, auf die Idee kommen zuerst die, die nicht mit ihm in Kasachstan Bergbau betrieben) Meeresboden ist, ist dieser Bau kosmologisch gedacht, also ornamental. Die Leerflächen dazwischen sind ein Mittel des Ornaments, Brandi nutzt sie.
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fabiansteinhauer · 11 months
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Der Architekt
Diez Brandi ist der Sohn von Hedwig Regelsberger-Wiscilenus. Karl hat sie geheiratet (er ist Diez' Vater) , sie führt gerne den Namen Wiscilenus mit: das ist ein arg, extrem oder intensiv deutschrömischer Name im 19. Jahrhundert, nicht nur wegen Hermann Wiscilenus, dem Maler, sondern auch wegen Hedwig, die sagte, sie hätte dem Kaiser ein Vorrecht eingeräumt, das dieser leider nie genutzt hätte. Hedwig ist eine römische Dame, auch im Sinne Bachofens und Klossowskis. Das heißt unter anderem, dass an ihr etwas ungestillt geblieben ist, was aus dem Matrichat rührt und aus einem Mythos, der nur übertrumpft, aber damit nicht zum verschwinden gebracht wurde. Karl findet's scheinbar nicht schlecht, dass sie den Namen Wiscilenus mitführt, zumindest hat sich kein jupitereskes Gewitter deswegen entladen. Zum Verständis des Deutschrömischen, das Genealogie ist und für das es wohl vor allem Exemplare gibt, seien es nun Rathäuser, Architekten oder Mütter, helfen Sätze. Das Phänotypische daran ist typisch, interessant wird es bei den irrisierenden Brechungen, da, wo auch Beulen auftauchen.
Ist im Schreiben kein Bruch zu sehen, dann ist das Schreiben eine Abwendung. Hedwig Regelsberger-Wiscilenus schreibt 1898 in einem Manuskript:
Am 19. Februar 1898 habe ich das Recht erworben, in diesem Buch der Familie Brandi auch meinen Namen einzutragen. Ich wurde durch meine Heirat mit Karl Brandi in die Gemeinschaft der Geschwister aufgenommen und will ihrem Kreise erzählen, was das Leben mir bis dahin gegeben hat. In Würzburg am sonnigen Main, unter der Festung Marienburg, gegenüber dem fürstbischöflichen Schloß bin ich am 2. Dezember als drittes Kind des Professors der Jurisprudenz Ferdinand Regelsberger und seiner Frau Anna Wiscilenus geboren.
Regelsberger war, was sonst, Professor für römisches Recht, so wurde er auch einmal Iherings Nachfolger. Die Familie Brandi unterscheidet sich von der Familie Steinhauer noch nicht lange und doch bis spät ins 20.Jahrhundert hinein unter anderem dadurch, dass auch die Frauen erstens geschrieben und zweitens Schriftliches hinterlassen haben. Von Oma Hanna, der Frau von Karl-Heinz Steinhauer, ist die Grabinschrift geblieben, die hat sie nicht hinterlassen, ein anderer hat sie nach ihrem Tod geschrieben. Ganz vereinzelt gibt es Einkaufszettel, man kann sie an einer Hand abzählen, die nur deswegen nicht weggeschmissen wurden, weil sie als Lesezeichen zweckentfremdet und dann vergessen wurden. Die sind in Ehren zu halten.
Das ist bei Brandis anders, die sind um 1900 biographiepflichtig geworden, sie gehen davon aus, keine infamen Menschen mehr zu sein, auch die Frauen nicht. Man nimmt das Schreiben selbst in die Hand. Das zitierte Manuskript ist schon das Ergebnis dieser Biographiepflicht. Sobald es neue Techniken gab, wurden sie sorgfältig genutzt. Zu den Manuskripten gibt es montierte und komponierte Fotoalben, es gibt montierte und komponierte Super-Acht-Filme.
Hedwig Regelsberger-Wiscilenus verweist nicht nur darauf, dass sie gegenüber der Residenz in Würzburg geboren wurde, sie gibt übergibt der Familie Brandi auch ein Foto der Residenz (wie zum Beweis, nämlich zur Evidenz), die nimmt dieses Foto zu den Akten und komponiert daraus etwas. Die Abbildung stammt aus einem Objekt der Brandis, das in der Zusammensetzung Elemente des Albums, des Buches und der Akte kombiniert. Dieses Objekt trägt den Titel Chronik des Hauses Hermann Brandi und ist 1907 hergestellt worden. Schon im Titel scheint wichtig, dass man sich als Haus betrachtet, man könnte sich ja auch als Familie betrachten. Das eine schließt das andere nicht aus, aber wenn schon das Phänotypische immer typisch ist, die Brüche darum interessant, dann sind auch solche Verhäkelungen wiederum interessant, in dem Fall das (Austausch-)Manöver, mit dem Begriff und Vorstellung des Hauses es auf den Titel des Objekts geschafft hat, um von dort aus die Vorstellung der Familie zu umwickeln und zu involvieren.
Die Bilder auf der oben gezeigten, Hedwig gewidmeten Seite verzweigen, die Komposition folgt typischen Merkmalen graphisch organisierter Genealogie, wie man sie im Bild des Stammbaums trifft. Auf dieser Seite bildet die obere Referenz aber nicht der Urahn, hier ist es die Residenz in Würzburg, erst darunter findet die Verzweigung, hier als Teil der Teilung der Geschlechter, eine Seite links hin zur Mutter, eine hin rechts zum Vater, in der Mitte das Kind Hedwig, die römische Dame. In dem Album gibt es auch Fotos von Diez, da müsste man an anderer Stelle was zu sagen. Ich finde es schon bemerkenswert, dass hier einem Bau, einer Architektur, genauer gesagt dem Court d'honneur die Stelle der Referenz reserviert wird, zumindest wenn es um die Mutter geht. Das Album ist lange vor der Zeit entstanden, in der Diez Architekt wurde. Genealogie ist auch keine gut geschmierte, auch keine schmierige Konitnuität. Ich finde es nur effektiv, wie die Seite gestaltet wurde. Später wird man sich berufen können, wenn man es braucht. Das sind Referenzen. Irgendwie, auf jeden Fall mit Referenzen, kam Diez`auch noch dazu, das Haus von Wolfgang Kunkel in Göttinen zubauen.
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Mit Vismann begreife ich die Biographiepflicht als Fortsetzung der Aktenführung, wie weit fort und weg es auch damit geht. Genealogisch betrachtet sind Akten und Biographien wohl Hühner und Eier. Einzelne werden so ins Familiäre, ins Häusliche, ins Städtische, ins Gesellschaftliche und ins Menschengeschlecht verhäkelt, man macht das selbst. Buchführung, Aktenführung, Zettelführung, Skribbeleiführung: Diese Orientierungs- und Handlungsformen sind von ihren vielleicht einstmals angestammten Plätzen, den Kanzleien und Büros übergeschwappt in eine weite Praxis, lange vor den timelines der heutigen sogenannten Plattformen. Das Phänotypische ist wie gesagt immer typisch, interessant wird es bei den Brüchen. Da halten die Brandis, wie jede Familie, auch was parat. Aber nicht jede Familie macht aus diesen Brüchen wieder Bilder, die biographiepflichtig registriert werden. Bei den Brandis passiert das, vereinzelt, wie etwas in einer der Auflagen des Stammbaums, wo es statt der Bilder vereinzelter Angehörigen einmal Bilder von Telefonen mit gerissener Leitung gab, wenn es, warum auch immer, wie groß auch immer das war, zu einem Bruch gekommen war. Das bilde ich hier aber nicht ab, entspricht auch dem aktuellen Stand der Auflage des Stammbaums nicht.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Wissenswallfahrt
1.
Für die beiden 'größten' Bauten von Balthasar Neumann (sowohl für die Würzburger Residenz als auch für die Abteikirche von Neresheim) gilt, dass sie zu spät kommen. Sie sind unzeitgemäß.
Als der Bau und die Ausgestaltung abgeschlossen sind, ich unterstelle, dass das erst im Jahr 1780 der Fall war, ist die Mule-Jenny bereits erfunden und in Gang gebracht. Das muss man sich vor Augen führen: 1783, nur drei Jahre später, eröffnet der Wuppertaler Unternehmer Johann Gottfried Brügelmann in Ratingen einen Bau, der zwar ebenfalls noch im spätbarocken Stil gebaut ist. Der Bau ist längst nicht so groß wie die Residenz, aber dieser Bau ist ein Teil der ersten vollmechanischen Textilfabrik auf dem europäischen Kontinent und er wird dazu beitragen, den Kosmos der Fürstbischöfe wegzufegen. Als wüßte das der Brügelmann, braucht er nur Spätbarock, weder Rokoko noch Klassizismus, weder Ironie nach Melancholie, erst recht keinen revolutionären Stil.
Das heißt aber auch, dass mit der Mule-Jenny diese Lunte am Sprengstoff der industriellen Revolution bereits brennt, als die Handwerker in Würzburg den letzten Feinschliff machen. In Ordnung ist die Welt an sich ja sowieso nicht, in Ordnung ist sie nur an anderem. Das Lumpenproletariat sammelt sich schon. 1780 erscheinen vielleicht nur drei Reiseführer zur Schweiz, deren Lektüre könnte die Bürger und Bauer(n) aber auch zu diesem Zeitpunkt schon dazu anregen, doch lieber Grandhotels zu bauen, statt die freie Zeit dafür zu nutzen, in Würzburg zu antechambrieren.
Die Residenz ist aus der Zeit gefallen. Für eine Geschichte, die Universalgeschichte sein will, ist sie ein Ausfall. Sie hat für den dialektischen Prozess die Frist veräumt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht gewährt. Man könnte darum sagen, dass diese Residenz falsch sei, das sie zum falschen Zeitpunkt oder am falschen Ort entstanden sei, man könnte sagen, sie würde lügen. Sage ich aber nicht.
Diese Verspätung sorgt dafür, dass der Bau revolutionären Klassizismus auf Rokoko auf Barock schichtet. Sie löst den Bau nur aus jener Zeit, die unbedingt gegenwärtig sein will. Die Verspätung befeuert das Distanzschaffen. Der Bau entsteht zaudernd, verzögert schon durch den Verlauf der Religionskriege, etwa durch den dreißigjährigen Krieg, der auch dazu führt, dass sich das barocke Pathos in Süddeutschland so verpätet und durchzogen von Rokoko und (wie vor allem in Neresheim) revolutionär klassizistischen Stil entfaltet. Dieser Bau ist also durch etwas verzögert, was selbst schon so lange zurückliegt, dass zu Baubeginn kaum einer mehr lebt, der sich an den Grund der Verspätung noch lebhaft erinnern könnte. Dieses Zaudern sorgt dafür, dass die Residenz Archäologie schon auf der Oberfläche betreibt. Das ist keine nachlässige, faule, nur ansatzweise durchgeführte Archäologie. Es ist Archäologie in vollem, aufwendigem Sinne, nur graben muss sie nicht. Sie betreibt Oberschichtenarchäologie, eine Archäologie, die in der Zeit nicht tief graben, die überhaupt nicht buddeln muß, die nur ihre zeitgenössisch-verspäteteten Geschichten übereinanderlegen muss, um noch in frischer Luft an entfernte Schichten geraten zu lassen. Das hat schon etwas von der Ironie, die Heinrich Heine in den Satz fasst: Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu, ein Satz, der seine Ironie selbst nicht preisgibt, vielleicht auch nicht muss, liegt ja schon alles offen.
2.
Das Zaudern, dass hier ohne Zauderer (ohne jemanden, der persönlich für die Verspätung gesorgt hätte) sich duchsetzt, das sich einfach durch eine Verkettung vom Umständen ergibt, derer niemand Herr geworden war, macht diese Residenz unzeitgemäß. Das sorgt für ihre vielkommentierte Ironie und für ihre Melancholie, die hier vor allem überschwängliche, fröhliche Melancholie ist. Die Schönborn besaßen ohnehin keine militärische und keine besondere ökonomische Macht, sie besaßen ideologische Macht, nur die Macht der Bilder, Worte, Gesten und Protokolle, die das heilig-römische Reich - entgegen einer These, die u.a. Michael Stolleis vertrat - auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch denkbar und effektiv machte. Der Würzburger Hochstift und das Herzogtum Franken sind klein genug, um sich so ein Größenphantasma noch erlauben zu können. Stolleis legt in seiner Geschichte des öffentlichen Rechts nahe, dass der sog. Reichsgedanke zu dieser Zeit nichts mehr bewirkte, dieser Bau ist ein Gegenbeispiel.
3.
In einem seiner Texte (dem zur psychologischen Struktur des Faschismus) schreibt George Bataille, der Marxismus, der letztens Endes behauptet habe, daß der Unterbau einer Gesellschaft den Überbau determiniere oder bedinge, habe keine wirklich grundsätzliche Analyse der Modalitäten religiöser und politischer Gesellschaftbildung versucht. Eine Geschichte und Theorie politischer Theologie, so kann man ergänzen, findet man bei Kantorowicz, aber nicht bei Marx. Was Bataille fehlt, erschliesst sich unter anderem aus dem nächsten Satz: Zwar habe der Marxismus die Möglichkeit der Rückwirkungen des Überbaus eingeräumt, sei aber bei bloßen Behauptungen stehen geblieben und nicht zur wissenschaftlichen Analyse vorgedrungen. Bataille fehlt eine Analyse von Rückwirkungen des Überbaus, von Effekten, die sicherlich auch, es sind ja Rückwirkungen, nach hinten losgehen können, vielleicht noch für den Überbau. Ich würde, das, was darin von einem auf das andere wirkt, auf eine stratifikatorische Differenzierung beziehen, die nicht nur die Gesellschaft schichtet, sondern auch auf historische Schichten. Weiter könnte man Batailles Forderung auch auf geographische Schichten oder sogar psychische Schichten, auf deren Instanzen und Register ausweiten. Was sublimiert wird, wirkt ins Begehren zurück. Was fortschreitet, wirkt auf die Vergangenheit zurück. Man kann in Batailles Arbeiten, in Klossowskis Arbeiten (in dessen Kommentaren zu Bachofens Archäologie und zum Mythos sowie in den Gesetzen der Gastfreundschaft) und in Caillois' Arbeiten zur Mimesis (etwa zur Gottesanbeterin) ein Interesse an der Ideologie und ihrer Bildgebung, an einem Imaginären entdecken, das sein Distanzschaffen mit einem Verschlingen, einem Verzehren und Begehren verknüpft. Das ist vielleicht auch Batailles "Rückwirkung", etwas, was durch Wirksamkeit sowohl mit dem Realen als auch mit Realität durchsetzt ist, beides braucht und verbraucht. Was bei Bataille und den anderen französischen Nietzschelesern an Einbildung, an künstlichen und artifiziellen Welten, an Phantasmen auftaucht, ist auf eine Weise effektiv, die nicht einfach ins Leere geht und nicht nur als Lüge, nicht bloß als Anästhesie, gar als Aussetzung oder Verschanzung der Sinne abgetan werden sollte. Der Überbau simuliert und dissimuliert, er ist aber auch Teil des Distanzschaffens, das die Welt in einem normativen Sinne, also durch operationalisierte Differenz händelbar und verfügbar macht. Der Überbau bleibt übergriffig, greift auch ein, das ist Teil seiner Rückwirkung.
Was, wenn nicht die Würzburger Residenz, wäre ein Beispiel für einen Überbau. Seine Wahrheit ist über den Tisch, über die Tafel gezogen. Nur geleugnet werden sollte diese Form der veritas falsa (wie es in den Antworten auf die FAQ eines römischen Verwaltungshandbuches heißt) nicht. Diese Rückwirkung liefert keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gleichwohl würde ich sie in der Nähe zu jener Restitution sehen, von der Aby Warburg einmal schreibt, um einmal an anderes Wort für Nachleben zu verwenden.
4.
Was heute an operativen Ontologien und neuem Materialismus kursiert, dass würde ich nicht nur über eine Literaturgeschichte akademischer Literatur entfalten, auch nicht nur über die neuen Relationen, die, als wären es Aktenauszüge, mittels Auszügen aus Geschriebenem Entscheidungshilfe für gesellschaftliche Streitfälle liefern. Karan Barad ist interessant, Thomas Lemke ist es. Aber Roy Wagner und Marta Madero (die eine 'Begrenzung', d.i. Normierung, zwar auch im Objekt, aber darüber hinaus auch in der Reproduktion von Begriffspaaren, also im zeichnenenden, graphischen oder bezeichnenden Vorgang von Trennungen und Austauschmanövern analysieren) sind es auch.
Das Textreservoir, auf das man heute zurückgreifen kann, um Begriffe dafür zu bekommen, wie man was auch immer händeln soll, ist groß. Wenn man dabei auch am Material und an Objekten interessiert ist, zum Beispiel an dem, was man heute agency nennt und auch außerhalb des Subjektes oder jenseits einer diskreten Grenze zwischen Subjekt und Objekt ausmachen möchte, dann würde ich spätestens nach der Lektüre beispielhafter Literatur, vielleicht auch gleichzeitig, bei Objekten ansetzen. Mit Material anfangen, freilich einmal Material, das geschnitten, mithin formatiert ist. Die Würzburger Residenz ist nur Beispiel. Besser noch: parallel, nebeneinander, gleichzeitig. Cornelia Vismanns Buch zu den Akten geht ja nicht nur die Literatur und die Theorie durch, referiert und systematisiert nicht einfach, was ihre Heroen gesagt haben. Sie hält sich zwar an Lévi-Strauss auf, aber auch an der Wellenlinie - und löst die Wellenlinie von dem Kontext, die sie in den Schreibstunden der traurigen Tropen hat. Sie entwindet die Linie dem Autor. Sie liefert Schnipsel aus den Akten. Bruno Latour legt Protokolle im Conseil d' Etat an und löst sich aus den Bestimmungen des literarischen Feldes. Vismann, noch einmal Vismann, setzt sich mit der Architektur und den Möbeln, den Mikrofonen und den Kabeln, der flimmernden Filmvorführungen im Gerichtssaal auseinander. Diese Arbeiten systematisieren keine literarischen Felder. Von der Warte einer Wahrheit, sie systemtisch und allgemein wäre und deren Schichten in einer Geschichte synthetisierbar wäre, sieht das aus wie in Stücken. Gut so. Vismann, so scheint es mir, nimmt da ein Stellung ein, die sich sowohl auf die (anthropologische oder strukturalistische) Arbeit an Begriffspaaren, ihren Trennungen und Austauschmanövern, damit auch auf die Geschichte jener Technizität beziehen lässt, die Thomas und Madero bei den Glossatoren und in den Kommentaren beobachten. Das würde ich als eine Scheidekunst der Texte betrachten. Das lässt sich aber auch auf ein Interesse an Objekten beziehen, die keine Texte sind, deren Grenzen zwar etwas definieren können, die aber doch eher den sog. Grenzobjekten als juristischen Literatur nahestehen.
5.
Die Anthropofagen sind übrigens auch Teil der Treppenszene in der Residenz. Sieht dem heutigen Blick ein bisschen wie ein Döner aus, was sie da zubreiten. Im Grill-Wolf am Kipdorf in Wuppertal sah so aber auch der Spießbraten aus. Am linken Rand der Aufnahme sieht man Gesichter im Sand, da ist ein Flecken Köpfe. Peter Stephan nennt dies Passage der Treppenszene die Amerikagruppe, nicht imBild ist die große Personifikation der beiden Amerikas. Jemand schultert dort ein Krokodil, das ich für den Leviathan halte, weil das Nilpferd in manchen Sprachen als Behemot bezeichnet wird und weil ich Krokodil und Nilpferd als Übersetzung der beiden ungeheuerlichen Wesen Leviathan und Behemot verstehe.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Nachtarchitektur
1.
Stand hier einmal das Bett, das dem Souverän reserviert war? Ehrlich gesagt, sagt mir das Gedächtnis das so, und das Gedächtnis ist kurz oder stolz, kann also etwas verwechselt haben. Als wir am Samstag da waren, hatte mir mein Gedächtnis vorher schon so viel zugeredet, dass ich beim Betreten des Raums doch erstmal das Bett gesucht habe, dann kurz irritiert war. Heute steht da kein Bett. Samstag auch nicht.
Aber nicht allein das Gedächtnis flüstert mir, dass das sog. Spiegelkabinett in Würzburg ein Schlafzimmer für den Souverän, für das souveräne Subjekt war. Das Gedächtnis braucht etwas, um mir das zu flüstern. Auch etwas anderes als das Gedächtnis legt nahe, dass es sich bei diesem Raum um eine Nachtarchitektur, sogar die Nachtarchitektur der Residenz handelt. Zuerst ist dies das Protokoll und damit ein Teil dessen, was die barocken Falten in der Residenz ausmachen. Jeder Raum liegt hier in der Zeit und auf Linien, die durch und durch die Zeiten gehen. Jeder Raum geht darum einem Raum nach, in ihm ist ein Nachbild eines vorherigen Raumes, jeder Raum geht einem anderen Raum vor, in ihm ist also auch ein Vorbild des folgendes Raumes. Diese Räume sind verkettet, mit der Kulturtechnikforschung gesprochen: sie sind Teil von Operationsketten. Sie sind Züge, sind aus Zügen gemacht und lassen Züge machen, so etwas nennt Hobbes trayne. Sie sind Teil einer Flucht, so sind die Architekturen gefügt und lassen fügen. Sie lassen Körper an Körpern vorbeibewegen, d.i. Protokoll.
2.
Falten, eine Technik, die Differenz jenseits einer Absolvierung oder Auflösung operationalisiert, trägt in dem Fall etwas von dem Aussenraum in den Innenraum, zum Beispiel vom Vorraum in den Nachraum. Die Residenz ist Architektur und Rhetorik, deren Schlüsselbegriff insofern decorum wäre, soweit decorum eine Musterung bezeichnet, die zwar vom Größten bis ins Kleinste differenziert, aber niemals aus dem Kosmos aussteigt, also keine Trennung groß werden lässt, ohne sie früher oder später nicht auch wieder verkehren zu lassen, etwas an ihr zu verkleinern.
Die Falten tragen wie in Wellen einer Brandung etwas vom Außerhalb, zum Beispiel vom Außerhalb der Zeit, vom Außerhalb der Kultur und Zivilisation, vom Außerhalb des Stadtraum, vom Außerhalb der Residenz, vom Außerhalb des Gartens ins Vestibül oder in den Pavillon, von dort durch die Treppe aufwärts, durch die Flucht der Räume. Im Pavillon findet man darum noch mehr Spuren von den Jahreszeiten und Tageszeiten, von den Elementen und der Kultur als in den folgenden Räumen. Einerseits scheint es dabei so, als würde das Davor und Außen allmählich ausdünnen und der Innenraum, das Innere zunehmen und sich verdichten. Die Räume werden scheinbar feiner, subtiler, intimer, das Ornament wird ziselliert. Die Materialien werden weicher, transparenter, lichter. Mehr Pelz, mehr Wolle, aber auch mehr Glas, mehr Holz, sogar mehr Steine, nämlich weiter spezifizierte, unterschiedliche Steine und Hölzer. Feinere Falten, keine Glättung, nirgends. Man kommt aber auch dem Sublimen näher und dem Souverän, so er denn anwesend ist, auch. Gleichzeitig, so denn es in Zeit überhaupt nur ein Fitzelchen Gleichheit gibt, meint man an jeder Stelle, schon die eigentliche Stelle überschritten zu haben. Nach dem Treppenhaus: hat man da das Sublime nicht bereits überschritten? Im Treppenhaus, wird es da nicht transfiguriert, verlaufen auf der Kippe zwischen Realraum und Malerei keine Transversalen, sind die Blicke nicht vielleicht übergriffig, sowohl das Hinauf, das wie unter den Rock geht, als auch das Herab, das wie auf den Kopf geht und uns so zeigen muss, wie wir uns den Tauben und den Adlern, ihrem Dreck und ihren Schnabeln zeigen? Ging es nicht weiter draußen doch gewaltiger oder doch intimer zu? Keine diese Fragen irritiert oder erschüttert etwas, die Stratifikation bleibt präzise, deutlich und in Ordnung, wohlinformiert, wohltemperiert in Reih' und Glied. Aber diese Fragen irrisieren den Blick, lassen ihn flimmern. Der Barock faltet nicht unendlich, er faltet durchgehend und ins Unendliche. Der Rokoko und noch der schon revolutionäre Zopfstil drehen das weiter.
3.
Wie einmal Heiner Mühlmann im Kontext seiner Studien zu den Ordnungen der Städte gesagt hat: Auf den Linien und Zügen spitzt sich die Flucht zum Boudoirbild, zur Pastorale, dem Landschaftsbild oder zur Vögelchen- und Blumentapete in den Zimmer beider souveräner Geschlechter, der Kaiserin und des Kaisers zu, wird darin exzessiver, 'ausgänglicher' und äußerlicher, im Sinne von Schaumkronen oberflächlicher. Nichts verschwindet vollständig, nichts fängt grundsätzlich und bei Null an, nichts hört auf, Resonanz zu haben, Vorbild zu haben und zu liefern, Nachbild zu sein und zu liefern. Je mittiger, desto eher schleudert's. Alles schraubt sich durch, alles dreht (sich) durch. Von wegen Verlust der Mitte, hier ist Lust der Mitte, aber vielleicht ist beides ähnlich. In den Falten gibt es kein anfängliches, großes Davor, auch keine endgültige Stelle, auf der Souveränität schliesslich gefasst wäre. Es gibt kein großes Danach. Es gibt auch keinen wilden Startpunkt, an dem ein Naturzustand ungestört und unraffiniert wahrnehmbar wäre. Den ersten Schäferinnen und Schafen begegnet man schon vor der Stadtmauer, auch den ersten Diplomaten, den letzten nicht mitten in der Residenz. Die Tragik trägt sich auch vor der Stadt schon zu, drinnen auch. Gregoire, einer der Gäste der Wissenswallfahrt, hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Spiegelkabinett sogar schon im Pavillon, an der Schwelle zum Garten einsetzt: dort tauchen innerhalb der Residenz die ersten kleinen Spiegelchen, noch kaum bemerkbar und doch ganz explizit, schon auf, und wiederholen doch auch etwas, etwa das Glitzern auf dem leicht bewegten Wasser in den Bassins des Hofgartens und die Sonnenhäslein, die das tanzen lässt.
Die Komödie mag auf- und absteigen, aber sie zieht sich auch durch. Es gibt Wellen, Scheitelpunkte in unterschiedlichen Lagen (und damit für Polarforscher: Passage und Pole), alles bleibt plastisch und bewegt. Die Mischungen und Vermengungen mögen immer anders sein, aber das ist eine Welt, die nicht dem Dogma der großen Trennung entspricht. Wo Ornament ist, ist Kosmologie, Ornament ist hier kein Verbrechen. Nichts ist von selbst mit nichts verbunden, nichts ist von selbst mit allem verbunden. Verbunden ist etwas durch Entfernung, d.h. durch ein Distanzschaffen, das differenziert, misst und mustert: darum auch ornatus und decorum.
In der Residenz ist ein Scheitelpunkt das Spiegelkabinett: Mehr Rokoko geht nicht, mehr Ironie und Melancholie geht nicht. Höher geht es nicht, niedriger aber auch nicht. Oberflächlicher geht es nicht, tiefer aber auch nicht. Mehr oder weniger zu tun, als das Auge des Gesetzes, hier: das Auge des Souveräns, zu facettieren, also zum Blick eines Insektes zu machen, geht nicht. Vom Standpunkt des barocken Pathos aus, vom absoluten Souverän aus erscheint dieses Zimmer ungeheuerlich. Hier, so müsste es dem Souverän scheinen, schläft die Vernunft. Das soll sie auch, sagt mir mein Gedächtnis so, als hätten es die Höflinge oder die Schönborns auch gesagt.
Mir scheint, dass dieses Zimmer die Angelegenheit für ein Licht ist, das so schwarz ist, wie die Gaben bzw. das Gift der Melancholie, das Jean Starobinski mit Rückgriff auf die kanonische Literatur, auf Aristoteles und Ficino, und auf die Moderne, auf Baudelaire, erwähnt. Darum ist dieses Spiegelkabinett Nachtarchitektur, Betten hin, Betten her, Betten da oder Betten woanders. Das ist so schwarz wie eine Nacht, die alles Blau, alles Gold, alles Grün, alle Farben schluckt und so verdichtet, dass alle Farben im Traum versetzt freigesetzt werden können, dass sie überhaupt so freigesetzt werden können, wie das dann in der Dämmerung und am Tag nochmal, dann allerdings nurmit Boden unter den Füßen, der Fall ist. In der Nacht ist der Tag nicht weg, der ist nur entfernt, auf der anderen Seite des größten Polobjektes aus Erden, nämlich der Erde selbst. In dieser Schwärze sind Licht und Farben nicht weg, sie sind los und entfernt. Die Zisellierung dieses Ornamentes treibt etwas aus, ist auch ausgetrieben, aber sie ventiliert, ist nicht exorzistisch. Das Ornament umgarnt den Überschwang und die Niedergeschlagenheit, das Ornament schwingt selbst über, schlägt selbst nieder, und macht das wie zum Umgang mit Sediment und seditio: zum Umgang mit seltsamen Begründungen und Aufrührungen.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Linien
1.
Das Material ist schon geschnitten, wenn es denn technisch reproduziert ist. Das Material ist montiert, es ist 'mosaisch' (gesetzt) und Mosaik, in Stücken und versetzt. Ob es deswegen schon strukturiert ist wie die Sprache oder ob dasjenige, was an ihm symbolisch ist, auch in Ordnung ist, das ist fraglich. Selbst wenn es so wäre, bliebe das wohl unwahrscheinlich und trotzig, diese Ordnung würde jemandem etwas kosten und anderem was nehmen.
2.
Cornelia Vismann, die das Verhältnis zwischen Recht, Medien, Technik und (wegen ihrer Auseinandersetzung mit Legendre) einer 'dogmatischen Anthropologie' als etwas beschreibt, in dem Linien Linien aufsitzen oder Tore Toren folgen, wobei dieses Aufsitzen alles von Differenz und Wiederholung durchgehen kann, setzt aber auch unabhängig von der Nähe zur Sprache und von der Frage nach der Ordnung dort an, was man das künstlich Konkrete nennen kann.
Sie setzt bei einem Material, das schon geschnitten ist, schon limitiert, schon Falten hat, schon beschrieben oder im Bild sein mag, dann aber durch Sinne, die auch schon geteilt sind. Statt zu unterstellen, dass etwas zur Sprache gekommen, in Sprache oder durch Bilder aufgenommen, ob es imaginär gefasst oder symbolisch in Ordnung sei, kann man das Aufsitzen nach seinen Maßen, zum Beispiel nach seiner Größe und seiner Kleinheit befragen, also danach, wie oft, wie weit und wie lange sich ein Objekt mit seinen Linien in anderen Objekten wiederholt, ohne etwas zu verkehren, und wie oft und wie lange das passiert, bis etwas verkehrt oder sich etwas verkehrt.
Man kann nach der Reichweite der Objekte fragen, nach ihrer Musterung: inwieweit sind sind in den Blick genommen, inwieweit lassen sie in den Blick nehmen, in welchen Relationen sind sie wahrnehmbar oder 'ausübbar': Was für ein Protokoll läuft durch sie durch, durch sie, dank ihrer?
Wenn das, auch mit seiner Orientierung an Objekten, neuer Materialismus wäre, dann wäre dort von einem Material die Rede, das nicht bei sich ist, aber aufsitzt, das insofern nicht in Präsenz aufgeht, aber geschichtet ist und historisch entfaltet werden kann, wenn auch nicht unbedingt ins Offene oder zur Wahrheit hin, aber immerhin zur Involvierung.
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fabiansteinhauer · 1 year
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treppenszene
1.
Hat er eine Venusmuschel im Rücken? Hinter sich noch das Wasser wissend (eau o), an jener Stelle der Treppe, wo die Sammlung ins Ergießen kippt, auf dieser Schwelle, Kehre oder Wendung steht der Souverän zum Empfang, in der Hand einen Stab, ein kleines Polobjekt, eine Bewegungshilfe. Niemand hat die Absicht zu bestreiten, dass Regierung mit Frivolität einhergeht.
Jean-Léon Gérôme, der auch die Hamburger Version der Phryne gemalt hat, hat einen irren Sinn für die Phantasien europäischer Bild- und Gesetzgebung, die im Bürgertum ihre Hemmung verloren haben, aber dadurch die vorrevolutionären Bildregime bis zur Kenntlichkeit entstellen. Dieses Bild ist eine Karikatur, ob sie ironisch oder unrealistisch ist, das ist fraglich.
2.
Man sagt von Tiepolos Fresken für die Treppenszene in Würzburg, sie seien ironisch und melancholisch, das glaube ich auch. Von diesem Bild hier würde ich eher das Gegenteil behaupten, wenn es das gäbe. Was faszinierend ist: aus dem Motiv eines Souveräns, der genau an derjenigen Stelle seine Bewegung einhält, an der die Sammlung ins Ergießen kippt, ist noch Eisensteins Treppenszene entwickelbar. Der macht daraus nämlich, genau daraus möchte man sagen, was anderes: den Dammbruch, den Exzess der Herrschaft, des Gesetzes und der Gewalt. Einen Dammbruch hämmert Eisenstein seinen Zuschauern ein, wenn er immer wieder wiederholt, wie die Masse nach den Schüssen zerstiebt und sich über die eben noch leere Treppe ergießt. Immer wieder das Motiv: Treppe leer, jetzt ergießt sich die Masse über die Stufen, nicht im Bewußtsein, das revolutionäre Subjekt zu sein, jetzt nicht.
3.
Peter Stephan schreibt in seinem Buch zur Würzburger Residenz, sie würde, ausgehend vom Vestibül über die Schichten des Treppenhauses hoch zu den Fresken Tiepolos "die traditionelle Bedeutung der Treppe als Metapher für den Tugendweg wiederbeleb[en]".
Da ist was dran, an dem klebt aber nochmal anderes. So eine Treppe führt nicht nur metaphorisch "von den bestehenden Mühen des irdischen Daseins zur Unsterblichkeit", sie führt metaphorisch nicht (nur) von den Mühen des irdischen Daseins zur Unsterblichkeit. Stephan behauptet, dies Würzburger Treppenszene folge dem Grundsatz per aspera ad astra. Diese Treppenszene führt auch ganz real von den Mühen des irdischen Daseins weg, da oben wird, salopp gesagt, immer ein Weißweinchen im Kühlschrank stehen, den einem auch noch jemand bringt. Der Aufstieg der Treppe ist nicht nur metaphorisch heilend, wenn man nicht übertreibt, ist so ein bisschen Sport und Gymnastik gut für die Muskaltur, die Knochen, des Herz und den Blutkreislauf. Macht auch Appetit, d.h. nach Thomas Hobbes: Hoffnung mit dem Anschein, etwas stünde bevor. Treppen lassen nun mal hoppen.
Freud, der die Treppenszene nicht für das nimmt, was sie ist, sondern als Bild des Geschlechtsverkehrs deutet, müsste auch einräumen, dass eine reale Treppe doch auch das macht, was der Geschlechtsverkehr macht: pochende Herzen, intensivere Atmung und eine gewisse Zufriedenheit, wenn man oben angelangt ist, dann hat man was geschafft. Wieso dann eigentlich Bild, Imagination, Traum, wieso Übersetzung und Zensur, wie Freud behauptet, wenn es doch diese Entsprechungen gibt? Wieso noch für etwas anderes stehen, wenn man selbst schon steht? Vielleicht übersetzt eine Treppenszene nichts, weil in ihr schon vorkommt, was anderswo auch vorkommt. Die Treppenszene ist metaphorisch und sie ist völlig unmetaphorisch.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Peter Stephan
1.
Peter Stephan hat das Standardwerk zur Würzburger Residenz geschrieben, und das war nur seine Dissertation. Es könnte sein, dass er zu denen gehört, die an der Universität alle überfordern. Er hält allerdings auch brillante Vorträge, das sogar on point, ohne zu überziehen. In der Diskussion zeigt er immer wieder, dass sein Wissen immer weitergeht. Alles, was angeblich fachmännisch ist, relativiert Stephan ganz einfach durch epistemologischen Exzess, manche schüchtert sowas ein, gibt in schlimmeren Fällen Gelegenheit zur Kleinzügigkeit und lässt sie dann sagen, so jemand sei schwierig, seine Arbeiten schwierig.
Es kursiert an Universitäten ein Schriftverkehr, einmal hat er Claudia Roth versucht zu belehren, worauf ein Mitarbeitling ihres Abgeordnetenbüros ihn gleich bei der Unileitung 'anzeigte', ihn meldete, die Herrschaft und Verwaltung also darüber informierte, dass einer an der Uni Dinge über Gerhard Richter schreiben würde, die Claudia Roth, mit einem ihrer Lieblingsbegriffe gesagt, für unfassbar hält. Mich wundert hier gar nichts.
Jemand aus der Univerwaltung stand aber doch eher auf der Seite der Wissenschaftsfreiheit, fand katholische Bildprogramme im Kölnerdom nicht völlig abwegig und, wie etwa Martin Warnke und ich, Seldmayrs Dogma vom Verlust der Mitte nicht sofort und gleich für faschistisch oder auch nur meldebedürftig. Man staunte eher darüber, dass es diese Anzeige gab, das war lange vor dem Fall Baberowski und dem Fall Münkler, lange bevor auch Staatsrechtslehrer forderten, die Univerwaltung müsse auch mal sagen, welcher Meinung sie nahe stünde und wo sie sich distanzieren sollte.
Also ließ jemand aus der Unileitung den Schriftverkehr kursieren, als Beispiel dafür, wie sich Universität gegen Regierung und Gesetzgebung, Politiker und Juristen ruhig mal behaupten kann. Der Schriftverkehr ist zum Schreien, auch komisch. Aus E.T.A Hoffmanns Zeit könnten die Schreiben kommen, tun sie aber nicht. Spätestens seit dem vierten Jahrhundert ist Kultur ohne Kanzleien ohnehin nicht mehr zu haben, insofern jede Kultur Kanzleikultur. Mimosen glauben, es sei härter und der Korridor enger geworden.
2.
Peter Stephan deutet, und er macht das sehr streng. Er macht das im Sinne einer Disziplin, die gerade der Schein zu verlangen scheint. Mir ist klar, dass Bedeutung nicht beliebig ist und dass es auf Deutung ankommt. Und man muss wohl durch solche Festlegungen und Feststellungen, wie diejenigen, die Peter Stephan macht, gehen, um dann wieder, dann erst recht, einen Sinn für die Ersetzungen, Übersetzungen und für dasjenige zu bekommen, was Warburg als Wanderschaft oder Pendeln beschreibt, also auch für die Inversionen und Subversionen der Bedeutung und letzlich auch für die Goofys der Bedeutung, für ihren Verkehr, den Unsinn der Symbole, ihr DADA.
3.
Seine Arbeit über die Würzburger Residenz bietet eine alternative Lektüre zu Miloš Vec' Arbeit über die Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Mit einer vielleicht etwas protestantisch, vielleicht von Michael Stolleis gefärbten Perspektive, hat Vec die Geschichte des Protokolls als Geschichte einer Buchgattung, ihres Systems und ihrer Begriffe entfaltet. In sich ist das stimmig. Seine Geschichte endet mit Figuren, die aus dem Reservoir des Dogmas großer Trennung kommen und die mit Luhmanns Vorstellung von Ausdifferenzierung, seiner Idee des Wechsels der Leitdifferenzen, dem Abschied von stratifikatorischer Differenzierung und dem Durchbruch funktionaler Differenzierung verknüpft sind. Vec spricht von einem Ende des Protokolls, einem Ende des decorum, das auf der Linie verlaufe, auf der auch Recht und Moral ausdifferenziert worden seien. Noch die Unterscheidung zwischen forum internum und forum externum hallt oder lebt darin nach. Die Trennung ist nicht groß, weil sie lang, breit, tief, hoch oder schwer wäre. Sie ist groß, weil sie in einer großen Anzahl von Trennungen wiederauftaucht, vieles stützt und trägt sie.
Peter Stephan setzt schon anders an: Protokoll und decorum werden bei ihm nicht zentral, nicht aussschließlich aus Büchern extrahiert, auch wenn Bücher zu den Assoziationen gehören. Stephan setzt bei demjenigen an, was man Architektur nennt und sehr unterschiedliche (man kann auch sagen: heterogene) Medien assoziiert. Und nicht nur das. Architektur liefert artifizielle Objekte, denen selten dasjenige passiert, was etwa der Malerei oder dem Bild alleine oder der Literatur alleine passiert, wenn man von ihrer Künstlichkeit darauf schliesst, sie seien nur ausgedacht, nur Fiktionen, reine Phantasien und Ideen oder gar vom Identitäts- und Realitätszwang befreite Objekte. Die Architektur ist artifiziell, aber nicht zu leugnen, weder das Reale an ihr noch ihre Realität ist zu leugnen. Trotz allen Unkenrufen: Das Gewölbe des Treppenhauses steht immer noch, trägt immer noch, es hat sogar die Bombennacht überstanden. First we shape things and then they shape us, der Satz ist nicht von Michel Serres, Bruno Latour oder Karen Barad, er formuliert keinen posthumanistischen Abschied von der Person, der ist von Winston Churchill und bezieht sich auf die Bedeutung, die Churchill der Architektur des Parlamentes für ihre Operabilität zuerkannte. Kein Abschied, kein Posthumanismus: ein von Anfang an entfernter Mensch hat den Satz als Teil des artifiziellen Wesens gesagt, zu dem bewegte Körper gehören sollen.
Die Stadt gibt es ja, die Residenz auch, dass sie ausgedacht sind, ändertnichts daran, dass sie vor einem stehen und dass es sie gibt. Das ist Teil ihrer Effektivität, artifiziell und ausgedacht zu sein und trotzdem rumzustehen, trotzdem so zu stehen, dass man mit dem Kopf gegen sie rennen kann, an ihnen sich die Nase aufschlagen kann. Dann wäre man halt bekloppt. Sie spinnen nicht.
4.
Noch die Linie zwischen Kommunikation und Handlung ist in der Architektur anders, effektiver perforiert als in den auseinandersortierten Medien, die man Schrift, Bild, Buch nennt auch wenn Architektur dafür kein Gesamtkunstwerk sein muss. Dass sie ermöglicht, Körper in Köper zu setzten, zu falten und Bewegungen erscheinen zu lassen, sie zu hemmen, dass mit ihr Gehäuse, Verschachtelungen, Stapel, Einlegungen und Einsetzungen, Ausschlüsse, Schlüssel und Schleusen möglich sind, das reicht. Kurz gesagt: es muss nicht immer Gesamtkunstwerk sein, es reicht ein Raum mit einer Couchecke, einem Tisch, einem Regal und einem Computer, schon schluckt die Architektur Medien und (Kultur-)Techniken, die in langen Listen aufzuzählen wären. Dass Albertis bildrhetorisches Denken auch ein architektonisches, städtisches Denken ist, das wiederum Bilder und Schriften so involviert, wie Gesten, wie Körper (etwa die Körper von Gesandten), das alles sperrt sich einer Vergößerung von Linien, die im Dogma der großen Trennung sowohl auf der Linie einer Grenze des Rechts als auch der Linie vereinzelter, isolierte Medien oder gar auf der Linie der Unterscheidung zwischen Schriftlichkeit und Mündlicheit geführt werden.
Rhetorik und Architektur: beide bieten Assoziationen, Überlappungen, Verschleifungen und Verhäkelungen. Sie bieten nicht zuwenig Differenzierung, ihnen geht die Differenzierung nicht, niemals aus. Sie machen es nur schwer vorstellbar, dass bestimme Differenzierung so herausragend und groß werden, dass man sie Leitdifferenz titulieren sollte. Die Kaskade großer Trennungen, die man in Vestings Geschichte und Theorie der Medien des Rechts im Stil einer Filterung findet, wenn er dort mit der Toronto School die Erweiterungen und Errungenschaften der Schrift, des Buches und mit den Assmans die sog. Exkarnation beschreibt, die sind in der Rhetorik und der Architektur schwer vorstellbar. Man müsste dann schon sagen, was freilich immer geht, diese Residenz sei eben unzeitgemäß, das war sie von Anfang an. Aber etwas gilt nicht nur für die Würzburger Residenz, man kann schwer einwenden, dass die Errungenschaften, die teilweise an der griechischen Gesellschaft, an der römischen Gesellschaft, teilweise an der kapitalistischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts festgemacht werden und im Dogma der großen Trennung sich summieren sollen eben erst alle nach dem Bau der Residenz und als Abschied vom Bau dieser Residenz zum Tragen gekommen wären. Die Würzburger Residenz destilliert vielleicht in Rhetorik und Architektur etwas. Aber von nichts kommt nichts, ins Nichts geht Nichts. Die Residenz ist unzeitgemäß, rührt also eine sedimentäre Geschichte auf.
5.
Man müsste versuchen, diese Residenz als kleines Objekt und durch ihre kleinen Objete zu beschreiben, also über die Objekte, die nur in einer kleinen Anzahl von anderen Objekten wiederholt werden, ohne etwas an Maß und Muster zuverkehren. So kommt sie ja ohnehin nur einmal vor, auch wenn alles an ihr erscheint, weil es auch an anderer Stelle, dann freilich anders erscheint.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Wissenswallfahrt nach Würzburg
1.
Samstag ist es soweit, kleine Wissenswallfahrt nach Würzburg. Ein Wallfahrt ist einerseits wallende (wellende/ wogende) Fahrt, also eine vage (verzehrende, begehrende, verschlingende) Bewegung auf ein Objekt hin. Sie führt anderseits nie zum Ziel, sondern nur davor, zu Altarschranken, Sperren oder Bars, zu Mauer oder eben zu einem Wall. Natürlich streitet man um die Eindeutigkeit der Wallfahrt, die einen wollen kein Wallen, die anderen keinen Wall, schwieriger noch: beide Willen kommen auf beiden Seiten vor. Eine Wallfahrt führt an die Linien einer Unterscheidung, die manche als heilig beschreiben, aber nicht heilig sein muss.
2.
Wir schauen uns die Residenz in Würzburg an und gehen dann freilich in eines der beiden Spitäler, essen, was sonst?
Die Residenz in Würzburg hält Falten parat. Sie bietet eine monumentale Treppenszene und schließlich das Schlafzimmer eines Souveräns. Das ist eine Nachtarchitektur, die den Kaiser zur Fliege, den Souverän zum Käfer macht, weil sie ihm facettierte Augen verpasst, sein Spiegelbild in Schize und Chinoiserie zerstreut, die durch diesen Raum zwar auch vom Größten ins Kleinste, aber zu keinem letzten Ziel führen.
Dieses Schlafzimmer ist Rokoko, das ist fancy stuff, hochgetriebener spleen, also eine Kombination aus Ironie und Melancholie. Alles ist großzügig bis luxuriös gestellt von Höflingen, von sekundären Gestalten, in dem Fall den Schönborns, die mit dieser Residenz ihre Vorstellung von der Verfassung des heilig-römischen Reichs formatiert und materialisiert haben. Die Residenz ist Objekt aus Objekten, da laufen Protokolle. Man kann sagen: es war die Aufgabe der Schönborns, das zu tun, so etwas abzuliefern.
Diese Residenz kommt aus einer Zeit, die den Beschreibungen von Heinz Mohnhaupt näher ist als denen von Dieter Grimm. In einem gemeinsamen Buch haben Mohnhaupt und Grimm eine Begriffsgeschichte der Verfassung geschrieben. Sie haben das Buch einer Bruchlinie aufgeteilt, die auch etwas darüber sagt, wann und wo der Begriff der Verfassung eher an Körpern und Objekten, an Schmuck (Muster/ Kosmos) hängt (das ist Mohnhaupts Part) und wo eher am Begriffen, an schriftlichen Uruknden und dann an Systemen der Politik und des Rechts hängt. In gewisser Hinsicht hat Mohnhaupt in dem Buch den Bereich übernommen, der in Begriffsgeschichte nicht so recht aufgehen will, darum ist sein Kapitel aber auch interessanter als dasjenige von Grimm, es ist widerständiger und insistierender, eben unbegriffener, dafür aber weniger abgegriffen.
3.
Wir haben gerade in Abteilung 3 einen Haufen gute Gäste, ich bereite mich vor!
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fabiansteinhauer · 1 year
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Exkursion
Kleiner Wissenschaftstrip nach Würzburg. Über zwei Jahre nach der letzten Exkursion, die im brasilianischen Nordosten an den Drehort von Bacurau führte, ist es endlich wieder Zeit für eine Exkursion, einen Wissenschaftstrip. Man soll keinem Gedanken vertrauen, der nicht im Gehen entsteht. Dem Gedanken, der im Gehen entsteht, muss man nicht vertrauen, den wird man eh nicht los, der begleitet einen, nicht nur treu, aber auch treu.
Wir fahren mit unseren brasilianischen, angolanischen und chinesischen Gästen zur Würzburger Residenz und werden dort über Verfassungsrecht, Architektur und Bilder sprechen. Bei der Gelegenheit gehen wir auf Treppenszenen ein und darauf, warum in dem Verhältnis zwischen Verfassungsrecht, Architektur und Bildern nicht unbedingt das Gesetz und das Recht, die Schönheit und die Gerechtigkeit die ersten Begriffe sind, die einem durch den Kopf gehen sollten. Es ist der Begriff des decorum der einem durch den Kopf gehen sollte, wenn man selbst wiederum durch die Residenz geht. Der Begriff wird in rhetorischen Institutionen, humanistischer Literatur und dann wieder ab den späten sechziger Jahren in den Untersuchungen zur Geschichte und Theorie der (Bild-)Rhetorik entfaltet. Seit Heiner Mühlmanns Arbeiten über Alberti und das Recht der italienischen Städte, Baxandalls Arbeiten über Giotto und die "Oratoren" wird der Begriff wiederentdeckt. Man sollte den Begriff des decorum auch als nomen actionis lesen und als Begriff einer Kulturtechnik verstehen, die etwas unterscheidet, schichtet, misst und mustert, um etwas verkörpern oder stellvertreten zu lassen, ohne aus dem Kosmos auszusteigen, sprich: ohne eine Trennung groß einrasten zu lasten. Ende Februar ist es soweit, endlich wieder Exkursion!
Die Würzburger Residenz ist gebaute Verfassung des späten heiligen römischen Reiches, sie ist ein Schörnbornsches Manifest und gleichzeitig noch ein Beispiel dafür, worüber Gilles Deleuze in seinem Buch über die Falte schreibt. Das heißt, dass diese Residenz auch so eines dieser 'Leibnizprojekte' ist, wenn auch über Umwege.
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fabiansteinhauer · 8 months
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And now to something completely different!
1.
In October, we will be back at the MPI in Frankfurt and we will 'excurse again'. After the curse, guess what? This time, we will visit and sit at some tables and to do so, we will travel down the river Rhein. The next Wissenswallfahrt will partly be done on waves, on water - to Neuwied.
Markus Krajewski, a historian and theorist, has insipred us to visit the Roentgen-Museum in Neuwied. The Roentgen family produced movable furniture - and now to something completly different - oder Möbel, durch die Bewegung gehen soll. Alle Möbel leiten ihren Namen davon ab, mobil zu sein, aber diese Möbel sind in sich beweglich und sollen das, was auf oder an ihnen stattfindet, mitbewegen. Eine rhetorische und epistemologische Praxis der Bewegung soll durch die Tafeln, die Tische gehen - in dasjenige, was daran und darauf stattfindet. Das soll eine anstoßende und anstössige, frivole Praxis sein und das wiederum soll gar nicht so schlimm sein. Über einen Fluss zur Praxis, Tinte fließen zu lassen, am Ende werden wir Wein trinken im Oktober, und wenn wir Glück haben, werden wir durch den Herbstnebel kommen.
2.
Thomas Hensel hat die These vertreten, dass es eine Beziehung zwischen Aby Warburgs Tafeln und seinem Tisch gab. Das Schreibzeug, so hat das einmal und sehr berühmt Nietzsche nahegelegt, denkt mit. Abraham und David Roentgen hätten dieser These vermutlich gleich zugestimmt, denn genau das war ihr Ziel und ist sicher Ziel aller Tischler, nämlich Schreib- und Bildgründe zu liefern, die für das Schreiben und die Bildgebung gründlich sind und deren Gründlichkeit nicht nur darin besteht, flach zu sein. Tischlein deck' mich. Ich meine das dogmatisch.
Die Roentgens schaffen Klapptische und Polobjekte, drehbare und (ver-)kehrbare Schreib- und Bildgründe für die Bürokratie (also für dasjenige, für das nach dem Walhkampfslogan der Flachheinis von der FDP die FDP nur Feuer und Flamme übrig hat).
Markus Krajewski zählt diese Objekte zur Geschichte der distribuierten, künstlichen Intelligenz. Die Roentgens, darauf hat mich one of the markuskrajewskis two bodies aufmerksam gemacht, waren wie Gunther Teubner (der mit der selbsterhaltenden und selbstvernichtenden Digitalverfassung und den Hybriden), Herrenhuter.
Mich wundert gar nichts mehr, aber ich glaube ja auch, dass die Vorstellung, dass irgendetwas in der Geschichte mehr geworden wäre (etwa komplizierter, komplexer oder juristischer), zu den 'ältesten und brennendsten' Pointen jeder Kosmologie gehören.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Synästhetische Normativität
Vor einiger Zeit hat unser Kollege Daniel Damler in der Zeitschrift Rechtsgeschichte einen Beitrag zu einem Treppenhaus, dem Treppenhaus in Chambord, veröffentlicht. Das hat er mit Überlegungen zum Begriff der synästhetischen Normativität verknüpft. Die Wissenswallfahrt führte uns am Samstag durch eine Trwppenszene, die Treppenszene der Würzburger Residenz. Es gibt eine Nähe zwischen Damlers Überlegungen und meinen Überlegungen. Wir beide beschäftigen uns mit Objekten wie Treppen, mit der Architektur und mit Bildern, mit dem Verzehren und der Kulinarik. Wir beide beschäftigen und mit Normen und Formen.
Wir beide beschäftigen uns mit der Koppelung von Urteilen. Im Detail würde ich andere Begriffe verwenden, weil ich zum Beispiel Treppen und ihr Verhältnis zum Recht anders begreife, dabei freilich unsicher bin, wie anders genau, nur eins ist sicher: nicht total anders. An der kleinen Passage kann ich deutlich machen, wo ich etwas für fragwürdig halte. Am Begriff der Kopplung würde ich noch nicht einsetzen, eine Koppelung von Werturteilen, möge diese Kopplung nun, in medientheoretischen Begriffen, lose oder strikt sein, ist denkbar. Ganz einfach gesagt: Es ist denkbar, dass die Treppe schön sein soll, weil die Beamten, Diplomaten, Sekretäre und Fürsten etwas richtig und gut machen sollen und weil sie von wahren Umständen ausgehen sollen. Das Urteil über die Schönheit der Treppe kann insofern als gekoppelt mit dem Urteil über das Gute und das Wahre in der Residenz, also auch das Gute und Wahre des Rechts, das dort gelten soll, begriffen werden. Die Frage bleibt freilich, wie stabil so eine Kopplung ist und weit sie reicht.
Den Begriff der Synästhesie würde ich nicht verwenden, weder historisch (den beim Umbau der Residenz spielt er keine Rolle) noch theoretisch. Das Präfix syn hebt das Zusammen, das Gleichartige, das Zugleich hervor. Das Verhältnis zwischen Architektur und Recht würde ich eher auf das Zurückführen, was Cornelia Vismann in ihrem Buch über Akten an der Referenz, der Struktur und am Beispiel vom Linien oder Toren beschreibt. Vismann lässt die Geschichte und Theorie der Akten bei einfachen Wellenlinien oder den Linien des pomerium 'beginnen', nicht weil die historisch der Anfang wären, sonder weil das die simpelsten Linien, die einfachsten Zeichen operationalisierter Differenz sind. Und nicht nur das. An ihnen kann man auch beschreiben, wieviel diesen Linien aufsitzt, welche Unterscheidungen mit diesen Linien wie assoziiert werden. Die Effektivtät juristischer Operationen hängt an ihrer Reproduktion, wenn man so will: ihrer Resonanz. Ein Teil dieser Reproduktion erfolgt rekursiv, sie erfolgt aber nicht nur rekursiv. Eine Unterscheidungen ist effektiv, wenn und soweit sie sich in weiteren oder anderen Unterscheidungen wiederholt. Diese Reproduktion hat etwas Mimetisches, sie wiederholt und übersetzt, sie simuliert und dissimuliert dabei das, was sie reproduziert. Ursprung und Ziel dieser Reproduktion ist und bleibt die Differenz. Vismann orientiert sich in dem Buch über die Akten einerseits an der Systemtheorie, anderseits an Posititionen, die man zum Poststrukturalismus zählt. Wie dicht diese Verbindung ist, ist eine wichtige Frage, trotzdem zählt für mich unabhängig davon,dass Vismann es mit ihrem eigensinnigen Apparat, teilweise 'nur' mit Beispielen, ermöglicht, das Recht über technische, artifizielle Operationen zu beschreiben, die allesamt Differenz operationalisieren (in dem Sinne 'unterscheiden') und reproduzieren. Sie ermöglicht, jene Trennungen und Austauschmanöver zu beschreiben wie etwa diejenigen, die mit einem rhetorischen Begriffapparat als Simulation oder Dissimulation beschrieben werden. Damler konkretisiert seinen Ansatz durch eine Verknüpfung mit der Biologie und den Neurowissenschaften, mit einem Wissen über Gehirne. Das setzt Vismann abstrakter an (man kann sagen: schwieriger, wenn man Abstraktion schwieriger findet als Gehirne). Mir scheint Vismanns Ansatz näher an den Möglichkeiten, die auch Yan Thomas und Marta Madero bieten, wenn sie die Technizität, die Künstlichkeit der Operationen beobachten, mit denen Juristen Verbindungen schaffen und Verbindungen auflösen oder wenn sie in den Relationen Austauschmanöver ermöglichen.
Diesen Vorgang, den Damler Zugleich-Wahrnehmen, Mit-Empfinden oder Synästhesie nennt, würde ich zuerst einmal unabhängig von Fragen der der Stabilität oder Instabilität beschreiben. Ich würde dabei sogar keine Identität unterstellen, ausschließen würde ich sie auch nicht. Was zugleich stattfindet, muss nicht gleich sein, die Mit-Empfindung muss nichts Entsprechendes, nichts Analoges, nicht einmal etwas Passendes haben. Was genau zugleich stattfinden, was genau das Miteinander des Mitempfindens ist, das würde ich über die Operationsketten beschreiben, die dort und da etwas empfinden lassen. Ich würde nicht unterstellen, dass irgendwas daran konstant ist, nicht einmal den Menschen würde als etwas beschreiben, das eine anthropologische Konstante ist. Was Damler als Synästhesie beschreibt, das würde ich als Operationskette beschreiben, ich würde versuchen zu beschreiben, inwieweit dabei die einen Operationen anderen Operationen aufsitzen. Ich würde beschreiben, inwieweit sich Unterscheidungen mit anderen Unterscheidungen decken. Ob ich deswegen machen würde, was Damler nicht macht, weiß ich nicht, das ist letztlich auch uninteressant. Entscheidend ist, das wir ein Problem teilen.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Diplomatisches Objekt
1.
Die Hälfte des Weges hoch, dann eine Kehre oder Drehung vornehmen, dann die zweite Hälfte des Weges nehmen. Der Blick heftet sich unter anderem an Apollo, seinen Wagen und die Sonne (Dreh- und Angelpunkt), dann an die anderen Figuren, alles immer nur in Stücken. Zum Gehen, genauer gesagt zum Aufstieg, der nach Peter Stephan dem Motto per aspera ad astra folgt, braucht man in der Residenz ein diplomatisches Objekt, das ist die Treppe für Gesandte. Sie ermöglicht eine Wendung, die erwähnte Kehre oder Drehung, sie ist also ein Polobjekt. Die große Szene von Tiepolo bietet dementsprechend keine Zentralperspektive, aber Pole und Passagen, durch die das Bild in Bewegung erfasst werden kann.
2.
Die Treppenszene in der Würzburger Residenz erschliesst sich über Protokolle, d.h. darüber, wie Körper an Körper vorbei bewegt werden, wie man Körper ziehen lässt und wie Körper gezogen werden, wie 'Gestelle geschoben' (Warburg) werden.
Es gibt ein strenges Fotografieverbot in der Residenz, das wird auch durchgesetzt. Man vertreibt Postkarten: Die oben zeigt , dass es sich bei dem Bild an der Decke nicht um ein flaches, nicht einmal um ein stehendes Bild handelt. Manche Häuser werden gebaut, damit sie auf Postkarten gut aussehen (selbst wenn sie im übrigen schlecht nutzbar sind), dieses Treppenhaus, vor allem das Deckenbild sind so nicht angelegt. Die Postkarte zerdrückt das Bild wie eine Kartoffel. Das Bild braucht die Plastizität des Raum, auf der Fläche werden seine Verzerrungen explizit, das Bild braucht Bewegung, in dem Fall diejenige der Leute vor dem Bild. Das Bild soll durchgangen werden.
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fabiansteinhauer · 1 year
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Residenz
1.
Püsenz in Würzburg: Peter Stephan spricht von der Architektur als einem Instrument der politischen Glaubenspropaganda und sagt, die Residenz sei mit Bekehrungseifer gebaut. Man kann auch sagen, diese Residenz solle eine Mission sein, eine Messehalle, eine Maßnahme oder aber eine Musterung, die ihre Nutzer in den Blick nimmt. Man kommt vorbei um sich die Residenz anzuschauen, eventuell wohnt und arbeitet man dort sogar - und soll in den Blick genommen, gemustert sein. Was hier passiert, passiert relativ, d.h. in Relationen, zum Beispiel auf Achen und Linien, immer an Stellen der Architektur, in geschaffenen Verhältnissen und einer artifiziellen Ordnung.
2.
Die Bekehrung kann man zu den anthropofagen Kulturtechniken zählen, also zu denjenigen Kulturtechniken, die etwas vom Menschen verwenden, um Menschen mit Menschen ähnlich zu machen. Sie geht mit Kehren einher, also mit Drehungen, Wendungen oder Umstülpungen, die zum Beispiel etwas von außen nach innen oder von innen nach außen stellen.
In der Regel wird die Bekehrung als eine Verinnerlichung, zum Beispiel die Verinnerlichung eines Dogmas, eines Bildes, eines Lehrsatzes, eines Scheins oder Glaubens verstanden. Das Kehren ist dem Zehren (einem Konsum) und dem Gehren (einem diagonalen Schneiden) verwandt, nicht nur vom ersten Konsonanten und der Spannbreite seiner mal härteren, mal weicheren, mal zischenden Akustik her.
In der frühen Neuzeit bildet das Verb fagieren noch ein (unvollständiges) Synonym zu allen drei Wörter, also zum Gehren, Kehren und Zehren, man könnte fagieren als Oberbegriff verstehen, wenn es einen logischen Aufbau der Welt gäbe.
3.
Bekehren, Verkehren, Begehren, Verzehren: Mit unterschiedlichen Präfixen gehören diese Begriffe noch zur Alltagsprache, gleichzeitig scheint es so, als sei die Verwandschaft dieser Wörter auseinandergdriftet, und die Vorstellung, es mit verwandten Vorgängen, verwandten Kulturtechniken zu tun zu habem, scheint eventuell abwegig. Abwegig erscheint es eventuell, die Architektur der Residenz als anthropofage Architektur zu verstehen. Sie lässt ja den Menschen überhaupt erst erscheinen, nicht verschwinden, könnte noch jemand wie Sedlmayer einwenden. Sie verwendet aber Menschliches (allzu Menschliches), um Menschen den Menschen ähnlich zu machen und sie greift dabei noch auf dasjenige zurück, was (mit Bruno Latour gesprochen) unterhalb der Schwelle des Menschen angesiedelt ist und trotzdem dabei kooperiert, Menschen zu reproduzieren.
Die Residenz führt rein und raus, Treppe hoch, Treppe runter, an die Tafeln, vor die Tafeln, an die Stühle, in die Betten, wieder raus und zurück. Durch die Residenz gehen Fürstbischöfe, Kaiser, Sekretäre und Köchin, durch die Residenz gehen sie nicht nur, sie sitzen dort auch und liegen dort, durch sie, dank ihrer. Die Residenz verschlingt die Menschen, lässt sie aber nicht verschwinden, sie fabriziert und reproduziert sie, nicht nur durch die Betten. Hier ist der Mensch gemustert, wahrgenommen, die Residenz braucht dafür keine Augen, sie ist die Rezeption. Je nachdem, wie nahe man der Reichsidee der Schönborns steht, kann man das für gelungen oder enttäuschend, für eine große Illusion oder eine mögliche Verfassung, einen angemessen, normativen Komplex halten.
4.
In seinem Buch zu Leibniz und dem Barock wählt Deleuze titelgebend den Begriff der Falte. Als Technik erschein das Falten als eine Differenzierung jenseits ihrer Absolvierung, jenseits ihrer (Auf-)Lösung. Dieses Falten erscheint ebenfalls den Vorgängen des Kehrens, Zehrens und Gehrens verwandt: alle operationalisieren Differenz, absolvieren oder lösen aber nichts, sie involvieren, schlagen um. Was sie an Trennung vergrößern, das verkleinern und zerkleinern sie sogar. Das Set der Relationen, die Beziehungen und Verbindlichkeiten werden nicht ausradiert, ganz im Gegenteil, so werden sie gestellt oder umgestellt. Die Nachtarchitektur dieser Residenz, das berühmte Spiegelkabinett, das die Augen des Kaisers/ der Kaiserin facettiert, ein Spleen des Rokoko, Ironie und Melancholie im Spiegel (Starobinski) führt das traumhaft vor, der Rest der Residenz aber, zumindest historisch, alltäglich.
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