Tumgik
wortgeschichten · 3 years
Text
Unsere Wortgeschichten
Liebe Leserin, lieber Leser unserer Wortgeschichten Ab 2021 werden wir die Wortgeschichten, die jeweils ein Mitglied der Redaktion des Schweizerischen Idiotikons verfasst, nur noch auf unserer Website idiotikon.ch/wortgeschichten sowie über unsere Facebookseite facebook.com/Idiotikon und unseren Twitteraccount twitter.com/CH_Idiotikon publizieren. Da auch diese Ort leicht zugänglich sind, hoffen wir, dass wir niemanden verlieren werden. Herzlich grüsst die Redaktion des Schweizerischen Idiotikons in Zürich.
5 notes · View notes
wortgeschichten · 3 years
Text
Wortgeschichte Nr. 138: Gott
Unsere adventliche Wortgeschichte 2020 ist einer der Hauptfiguren der Saison gewidmet: Gott. Der einschlägige Artikel im Schweizerischen Idiotikon wurde 1887 verfasst. Bemerkenswert ist schon die Definition: «das lebendig und persönlich gedachte höchste Wesen, meistens der éine, wahre Gott des Christentums». Die erste Hälfte der Definition ist zeitlos formuliert und könnte auch in einem modernen Wörterbuch stehen; die zweite Hälfte würden wir heutigen Redaktoren uns nicht mehr trauen so zu formulieren – im ausgehenden 19. Jahrhundert schien man sich der Wahrheit noch sicherer zu sein ... Damit ist es mit der Theologie aber auch schon wieder zu Ende, schliesslich legt das Schweizerische Idiotikon seinen Fokus aufs Sprachliche. So hält es mit feinem Gespür fest, dass die Fügung «der lieb Gott, oft fast wie eine Zusammensetzung und wechselnd mit Herrgott, im Volksmunde einzig üblich für das einfache ,Gott‛» – das nackte «Gott» ist ein Wort der Pfarrpersonen. Erwähnt wird auch die «scherzhaft freundliche Anrede» Chind Gottes!, womit der Schreibende noch gegen hundert Jahre später dann und wann von seiner zunehmend entnervten Mutter angeredet wurde. Ernster ist der Gottsgwalt, was «höhere Macht» bedeutet, «z. B. von verheerenden Naturereignissen, gegen die der Mensch nichts vermag und vor der es auch kein Recht gibt» – ergänzt um die rechtstheoretische Anmerkung «so dass z. B., wenn durch eine Überschwemmung Erde in eines Nachbars Gut geschwemmt worden ist, dieser keine Entschädigung verlangen darf». Breit bezeugt findet sich e [= in] Gotts Name!, das gleichsam als Kürzestgebet bei einem Anfang gesagt wird oder wurde, zum Beipiel e Gotts Namen aagfange oder e Gotts Namen uufgstande oder e Gotts Namen i s Bett ggange, aber auch als Ausdruck von Resignation gebraucht wird: E Gotts Name, i cha nüd anderscht. Unverändert gut bekannt ist die Fügung weiss Gott, die entweder beteuernd im Sinne von «wahrhaftig, gewiss» oder aber auch schulterzuckend im Sinne von «wer weiss» verwendet wird; daneben steht will s Gott im Sinne von «gewiss, wahrlich, hoffentlich». Gotts Wille brauchen wir etwa im Ausruf um tuusig Gotts Wille!; kaum mehr bekannt ist hingegen, dass der Gottswille früher auch die Bedeutung «Almosen» hatte und in der Fügung der [= durch] Gotts Wille gää oder um Gotts Wille gää für «gratis, umsonst» stand. In ungezählten Varianten kommt Gott in wünschend-konjunktivischen Formeln vor, wir nennen an dieser Stelle beispielhaft Guete Taag gäb i (gäb ech) Gott oder Gott grüez i bzw. grüess ech (als Willkommensgruss); bhüet di Gott (als Abschiedsgruss); dank der Gott, Gott looni der s, Vergält s Gott (alle drei als Verdankung); das walt Gott (als Segensspruch); Gott erbarm s (als Ausdruck des Bedauern); Gott hälff der (zu einem Niesenden) oder Gott hälff mer (als Beteuerung); Gott gsägn i s oder Gott gsägn ech s (für modernes «guten Appetit»); Gott strooff mi (als Beteuerung; zu ergänzen: wenn ich etwas Falsches sage); Gott verzie mer s (zur Entschuldigung eines harten Ausdrucks, den man sich nicht verklemmen kann). In der älteren Schweizer Mundart war die Fügung Gott mir sprich oder Gott mer chydt (chyde ist ein altes Wort für «sprechen») geläufig, die in betonender, beteuernder, auf etwas hinweisender Funktion gebraucht wurde: Wenn myn Bueb öppis Netts uf em Määrkt siet, so schupft er mi allimool, gottmerchydt, ich söll im s chauffe, oder: I hei au scho über de Haag dure glueget, hät er gsäit, gommerschprich, i hei nüd gnueg a mym Wyb. Häufig ist oder war die Anrufung Gottes auch in Ausrufen, etwa solchen des Schreckens: Jessesgott, Jeeregott, Jeegerligott, des Schmerzes: Gottes Trooscht!, des Erstaunens: Wundergott!, der Beteuerung: Waarli Gott! oder Gwüss Gott! oder Mi Gott Seel! Richtiggehend kreativ ist die Mundart im Verschleifen und Verballhornen. Das weiter oben genannte Gott strooff mi gibt es auch als Gott stroomi und sogar als Gott Stroossburg. Die Fügung Gott will (au) wird zu gottel, gottli, (e)goppel (au), gottlau, alles im Sinne von «gewiss, freilich, wahrlich, allerdings, eben, wohl»: Es ischt egoppel Zyt! Du häsch es goppel au verstande! Das isch öppe gottli böös gnue. Besonders zahlreich sind die mundartlichen Verhüllungen im Fall von bi Gott «bei Gott», etwa bigoscht, bigopp, bigoch, bigold, bihopp, bihott, bigopplig, bigoschtlig usw.: Hä bigopplig denn au – bischt duu doo? Den Abschluss unserer «theo-philologischen» Grand Tour macht das genitivische Gotts bzw. verhüllend Botz, eine Verkürzung aus den einst beliebten Fügungen «Gotts Lyden», «Gotts Marter», «Gotts Wunden». Unsere altschweizerischen Quellen kennen Flüche wie Dass dich Botz Wunden schend («schänden» = zu Schande machen, zu Schanden bringen, vernichten). «Gottes Sakrament» wiederum verbirgt sich hinter so phantasievollen alteidgenössischen Konstruktionen wie Dass üch Botz Sack voll Enten schend oder Botz Tausend Schlapperment oder Botz Tonders Rasperment. Noch heute braucht der eine oder die andere Ausdrücke des Erstaunens wie Potz Blitz!, Potz tuusig!, Potz Wält!, Potz Wätter! Jetzt haben wir aber übriggotzegnueg geschrieben, und die Leserinnen und Leser sind hoffentlich herrgottewool zfride. (CL)
6 notes · View notes
wortgeschichten · 3 years
Text
Wortgeschichte Nr. 137: Pflüümle
Öppis nöimet anepflüümle, härepflüümle, inepflüümle für ein flüchtiges, unsorgfältiges Erledigen dürfte heute zum mehr oder weniger allgemein bekannten schweizerdeutschen Wortschatz gehören – höchstens dadurch eingeschränkt, dass das Wort als ziemlich salopp gilt. Schlagen wir die fraglichen Wörter im Schweizerischen Idiotikon nach, erfahren wir aber teilweise anderes, als wir erwartet hätten. Nun – der Artikel pflüümle mit seinen Zusammensetzungen wurde auch schon 1904 geschrieben, und seither ist viel Zeit vergangen. Eine etwas eingehendere Betrachtung der Wortfamilie pflüümle, wie sie das Idiotikon präsentiert, eröffnet uns aber einen Blick in ein Bedeutungsfeld, das damals möglicherweise gerade im Entstehen war. In unserem Wörterbuch findet man alle Zusammensetzungen unter dem Grundwort, so auch ane- und inepflüümle unter pflüümle. Der Einstieg scheint erst einmal wenig hilfreich zu sein: Laut Schweizerischem Idiotikon bedeutet pflüümle «fallen (wie die Pflaumen vom Baume)», belegt aus der Stadt Basel. Die erste Zusammensetzung ist heute wohl kaum mehr gross bekannt: Abepflüümle bedeutet(e) in den beiden Basel erstens «(wie Pflaumen vom Baume) herunterschlagen oder -stossen» und zweitens im Baselbieter Binningen «einen von seiner Stelle entfernen» – also eine übertragene Anwendung der erstgenannten Bedeutung. Das heute noch geläufige anepflüümle ist im Schweizerischen Idiotikon zwar ebenfalls vorhanden, aber noch nicht in der modernen Bedeutung; der Eintrag wird mit der Bedeutung «jemandem etwas beibringen» aus der Stadt Basel belegt: «I wotts em Herr Breesidänt scho aanepflyymle, dass di maischte Lytt grad wäägen em Dänzli kemme.» Inepflüümle bedeutet laut Idiotikon «hineinschlagen» – und diese Bedeutung ist der heutigen schon recht nahe: «Mit eme feschte Schlaag han i s Häänli yynepflyymlet» (dieser baseldeutsche Idiotikon-Beleg stammt aus der Zeit zwischen 1861 und 1877, ist also der älteste). Verpflüümle schliesslich bedeutet(e) in Liestal laut Idiotikon «vertrödeln, verschleudern»: «Är hätt e ryyche Vetter ghaa, är hätt in chönnen eerbe, dää Chnöözi, aber är het s verpflüümlet.» Der geneigte Leser, die geneigte Leserin wird festgestellt haben, dass alle 1904 versammelten Belege im Schweizerischen Idiotikon aus Basel-Stadt und Basel-Landschaft stammen. Schlägt man nun voller Hoffnung in Gustav Adolf Seilers «Basler Wörterbuch» von 1878 (das für beide Halbkantone gilt) nach, muss man feststellen, dass pflüümle und Konsorten dort nicht vorkommt. Es fehlt auch in Jakob Hunzikers ebenfalls ausgezeichnetem «Aargauer Wörterbuch der Mundart von Leerau» von 1877. Der nächste Wörterbucheintrag nach demjenigen im Idiotikon findet sich erst wieder in Ruth Bietenhards «Berndeutschem Wörterbuch» von 1976, und zwar mit pflüümle «Pflaumen pflücken oder auflesen» und «oft zusammengesetzt [...], unsorgfältig hinsetzen, flüchtig schreiben». Im «Zürichdeutschen Wörterbuch» fehlt pflüümle (wie allerdings auch die Pfluum[e] selbst) in den Auflagen von 1961 und 1968; erst in der dritten Auflage von 1983 findet es sich, definiert mit «hinschleudern, flüchtig erledigen, praktizieren». Und auch Roland Ris kann es in seiner unpublizierten umfangreichen berndeutschen Wörtersammlung mundartliterarisch nicht vor 1978 belegen. Versuchen wir eine Schlussfolgerung: Die im Schweizerischen Idiotikon 1904 gebuchten Bedeutungen abe-, ane- und inepflüümle legen es nahe, dass der bedeutungsmässige Ausgangspunkt das Herunterschlagen, Herunterstossen der reifen Pflaumen, um sie zu ernten, war (eine Bedeutung, die unter abepflüümle auch explizit genannt wird): Ein Mensch wird von seiner Stellung «abepflüümlet», einem anderen wird das richtige Verhalten «anepflüümlet», und der Fasshahn wird ins Fass «inepflüümlet». Bei verpflüümle liegt hingegen das Motiv des Zerstreuens der Pflaumen zugrunde – es gibt übrigens ein gleichbedeutendes verbrumbeerle. Die heutige Bedeutung von (ane- und ine-)pflüümle aber hat sich im Vergleich zu denjenigen, welche die baseldeutschen Wörter um 1900 hatten, verschoben. Im Zentrum steht nicht mehr das Schlagen, sondern die unsorgfältige Arbeit – und so sind sie heute in der ganzen Deutschschweiz bekannt. Zweifellos hat zu dieser Bedeutungsverschiebung die unschöne Lautstruktur des Wortes beigetragen: Öppis ane-, häre-, inepflüümle tönt doch so richtig schön schludrig – und schliesslich sind Pflätsch, Pfliirggibueb, Pflitz, Pflodi, Pflootsch, Pfluder(i), Pflumpf, Pfluengg, Pfluen(t)sch, Pflungg(e, -i), Pflun(t)sch(i), Pflüschte/Pflüschti, Pflutte, Pflutteri, Pflütz ja auch lauter Wörter für unordentliche oder sonst wie negativ empfundene Menschen ... (CL)
2 notes · View notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 136: Hat der Mann im Mond auch eine extraterrestrische Kollegin?
Wer bei Vollmond zum Himmel schaut, sieht ihn vielleicht, den Mann im Mond … wobei eindeutig zu erkennen ist er nicht. Online finden sich zig Erklärungen, wo genau sein Gesicht oder sein Körper wahrzunehmen sei. Sicher ist nur, dass Strukturen auf der Mondoberfläche, die von blossem Auge sichtbar sind, als menschliche Figur interpretiert werden. Schon Konrad von Megenberg schrieb in seinem «Buch der Natur» im 14. Jahrhundert: Der mon hat in im swarz flecken, und sprechent die laien, ez sitz ain man mit ainer dornpürd in dem monen. Tatsächlich gebe es da natürlich keinen Mann, der Mond habe lediglich eine unebene Oberfläche, deren Schattenwurf den Eindruck einer menschlichen Figur erwecke. Es handelt sich also um eine sogenannte Pareidolie, die Wahrnehmung von Wesen in (unbelebten) natürlichen Strukturen. Andere Beispiele dafür sind das Hardermannli bei Interlaken, der Affenfelsen bei Goumois am Doubs und das 1976 fotografierte Marsgesicht, eine Struktur von 3 auf 1,5 km auf dem Mars, die wie eine Totenmaske wirkt. Wieso aber ist der Mann im Mond ein solcher und weder ein Mondgesicht noch eine Frau im Mond? Die Vorstellung von Lebewesen ist in der deutschen Sprache bekanntlich immer noch im unmarkierten Normalfall meist männlich, die Idee einer Frau im Mond wird also ohnehin in den Hintergrund gedrängt. Es gibt aber noch einen weiteren Grund für den Mann im Mond: Der Mond heisst nämlich in den Dialekten fast nirgends so, sein auslautendes -d hat er erst in neuhochdeutscher Zeit bekommen. Althochdeutsch hiess der Himmelskörper māno, mittelhochdeutsch mâne, und in den älteren schweizerdeutschen Dialekten, wie sie im vierten Band des Schweizerischen Idiotikons um 1900 sowie im Sprachatlas der deutschen Schweiz Mitte des 20. Jahrhundert dokumentiert sind, wird er noch vielerorts Maan oder (wo man nicht Aabe, Aabig sagt, sondern zu Oobe, Òòbig u. ä. verdumpft) Moon, Mòòn genannt. In vielen Dialekten ist auslautendes -n generell geschwunden, der Himmelskörper heisst dort also Maa, Moo, auch mit Hebung oder Brechung Mùù, Mou. Das bedeutet: Wo das auslautende -n entfällt und -aa- erhalten ist, der Mond also Maa heisst, fällt seine Bezeichnung mit dem Wort für Mann zusammen, das an diesen Orten ebenfalls zu Maa wird. Kein Wunder, denkt man beim Mond in seiner älteren Dialektbezeichnung fast unweigerlich an einen Mann! Dass das nicht an den Haaren herbeigezogen ist, zeigt übrigens ein Vergleich mit andern Sprachen: Menschliche Strukturen werden natürlich auch andernorts in den Mond hineininterpretiert. Auf Englisch spricht man vom Man in the Moon (schon im 14. Jahrhundert im Gedicht Mon in the Mone), auf Niederländisch vom Mannetje in de maan (also dem Mondmännchen), auf Norwegisch vom Mannen i månen. In allen diesen germanischen Sprachen sind die Wörter für Mann und Mond sehr ähnlich. Auf Spanisch dagegen ist die Rede von der Cara de la Luna, auf Griechisch heisst es prósopo sti selíni. Beides bedeutet Mondgesicht – weil in diesen Sprachen die Wörter für Mann und Mond keine Ähnlichkeit haben. (TF)
1 note · View note
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 135: Chilbi und Knabenschiessen
Landauf, landab finden besonders im Spätsommer und Frühherbst die Chilbenen oder Chilbinen statt – Jahrmärkte mit einem (wie man in Deutschland sagt) Rummelplatz. Dieses Wort lässt kaum mehr erkennen, was dahintersteckt: Es ist Chilch-Wîhi, also «Kirchweihe». In fast allen Deutschschweizer Mundarten wurde das Grundwort Wîhi aber zu -wi verkürzt und das inlautende -ch- ist fast überall geschwunden, womit das Wort nun Chilwi hiess. In alten Texten ist «kilwi» verbreitet zu finden; heute hat es sich auf die Urschweiz zurückgezogen. In einem weiteren Schritt hat sich nämlich aus -lw- ein -lb- entwickelt (wie auch das schriftdeutsche «gelb» aus einen mittelhochdeutschen gelw- entstanden ist), womit wir bei «durchschnittsschweizerdeutschem» Chilbi gelandet sind. Die eigentliche Bedeutung war «Weihe einer neuen Kirche». Gewöhnlich verstand man dann aber «jährliches Gedächtnisfest der Weihe einer Kirche (oder eines Altars)» darunter. Dieses Gedächtnisfest hat sich indes nach und nach verselbständigt, sodass die heutigen Chilbenen kaum mehr an dem Datum gefeiert werden, an dem die Kirche oder der Altar einst geweiht worden war – das Wort bedeutete je länger je mehr einfach «Jahrmarkt» und noch jünger schlicht «Rummelplatz». Bei der grössten aller Schweizer Chilbenen ist der historische Zusammenhang aber noch zu erahnen: Das Zürcher Knabenschiessen findet nicht zufällig am zweiten Septemberwochenende statt, sondern es setzt das alte Patronatsfest des Grossmünsters fort, das in vorreformatorischer Zeit Felix und Regula geweiht war – und deren Tag ist der 11. September. Chilbenen waren schon im Mittelalter beliebt, und man besuchte gerne alle möglichen, selbst wenn sie weit entfernt waren. An die «kylby zuo Basel» am Sebastianstag 1521 «komen die von Ury, Schwitz und Lutzern mitsampt ettlichen zuogewantten by hundert manen». Dabei wurde so viel gegessen, dass ein Kritiker 1601 schrieb, die Chilbenen seien «reine Buchfest», also Bauchfeste. Das tüchtige Feiern bereitete der Obrigkeit natürlich immer wieder Sorge: 1540 ärgerte sich die Schaffhauser Synode etwa, dass «die frömbden kilchwihinen [...] mit unzüchtigem dantzen, spilen, trincken et cetera» begangen würden. Spiele und Wettkämpfe waren ebenfalls ein fester Bestandteil – darunter häufig das Armbrustschiessen. Andernorts ging es ziviler zu und her, so kannte man im Luzerner Hinterland das Chääszänne: Wer die ulkigste Grimasse schneiden konnte, bekam als Belohnung ein Stück Käse. Ein weiterer Chilbibrauch war ebenda das Chäässtäche, an dem die Teilnehmer mit verbundenen Augen mit einem Säbel auf einen Käse einstechen mussten. Um aber Mord- und Totschlag zu verhindern, wurde den Besuchern sonst befohlen, ihre Waffen zu Hause lassen; so bestimmte der Zürcher Rat 1418, «daz nieman, wer der ist, mit enkeiner wery an und uff enhein kilwi gan sol». Zum Schluss noch einmal zum Knabenschiessen, dem heute alle Chnaabeschüüsse sagen und über das man witzelt, dass hier Knaben erschossen würden. Das kommt davon, wenn die Zürcher und Zürcherinnen nicht mehr wissen, dass dieser Anlass eigentlich richtig Chnaabeschüüsset heisst! Ein Schüüsset oder Schiesset ist ein Anlass, an dem geschossen wird. Und das Knabenschiessen, Pardon: der Knabenschiesset war einst eine vormilitärische Waffenübung der Zürcher Jugend. Versüsst wird die Teilnahme nicht erst heute mit Gaben: 1692 war der höchste Preis «ein Taler mit drei silbernen Kettemlein», und jeder Teilnehmer erhielt zumindest ein «silbernes Ringlein, dardurch ein weis und blau Dafetband als der Statt Ehrenfarb gezogen». Heute erhält der Schützenkönig oder die Schützenkönigin von der Kantonalbank 5000 Franken, und alle, die teilgenommen haben, bekommen von derselben 20 Franken plus einen Franken je geschossenen Punkt auf ihr Jugendkonto gutgeschrieben. Der Nutzen hat sich also vom Staat (schiesstüchtige Jungmannschaft) auf dessen Bank (neue Kunden) verschoben ... (CL)
3 notes · View notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 134: zügeln, Zügeltag
Der 1. April und der 1. Oktober sind in weiten Teilen der Schweiz offizielle Zügeltage. Wer in der Deutschschweiz aufgewachsen ist, weiss natürlich, dass das keine amtlichen Fastentage sind, sondern dass dann viele Wohnungsumzüge stattfinden. Aber schon im nahen Ausland ist erklärungsbedürftig, dass zügle «von einer Wohnung in eine andere umziehen» bedeutet. Der Wohnungswechsel hiess aber auch in der Deutschschweiz nicht immer und überall so. Der Sprachatlas der deutschen Schweiz belegt Mitte des 20. Jahrhunderts dafür Wörter wie bündle (Laufental und Umgebung) bzw. püntele (unteres St. Galler Rheintal, eigentlich: «seine Habseligkeiten bündeln und wegziehen»), wandle (Mittel- und Oberthurgau, eigentlich: «umhergehen, sich bewegen, reisen»), plündere (St. Galler Rheintal, Seeztal, Glarus, Gaster, Schwyz und Uri; eigentlich: «den Plunder [den Hausrat] befördern»), (d Wonig, ds Huus) tuusche, wächsle (Wallis, Sprachinseln im Piemont), roobe (Wallis, Graubünden, Sarganserland; eigentlich: «Dinge zusammenpacken, an einen andern Ort befördern»), firhergaa («fürhergehen», Saastal) und zie, züche oder z Huus zie (Innerschweiz, Freiamt, Zürich, Nordostschweiz). Und wie kommt das Zügle zu seinem Namen? Zuerst belegt kennen wir es aus Saanen, wo 1615 einer vor dem Chorgericht angeklagt wird, «dass er am Sonntag züglet, item dass er nit gar ein fromme Hand habe.» Der Angeklagte hat nicht einfach seine Mietswohnung gegen eine andere getauscht, er ist auch nicht am Sonntag in sein neu gebautes Einfamilienhaus eingezogen, sondern er ist von einem tiefer gelegenen Wohn- und Wirtschaftsgebäude in ein höheres gezogen oder umgekehrt. Ein Gerichtsprotokoll von 1643 aus dem benachbarten Gsteig verdeutlicht das: Der Angeklagte habe sich «unfründtlich und unnachbeürlich erzeigt gegen der Nachbaurschafft, als Gott der Herr zur Heimsuechung ein schwerlochten Schnee in Früelingszytt, als man schon allbereit zue Forsatz [Vorsass] züglet, geschickt.» Dieser Wechsel zwischen Gütern war in alpinen Regionen mehrmals jährlich nötig, um jede Stufe optimal zu bewirtschaften. Manche Bergbauernfamilien üben diese Praxis, auch Transhumanz genannt, bis heute aus – und auch dabei werden traditionell bestimmte Termine eingehalten; insbesondere wird nicht am Mittwoch zur Alp gefahren, und auch ein Alpaufzug am Zehntausend-Ritter-Tag (22. Juni) soll Unglück bringen. Schon 1613 hat gemäss Gerichtsakten in Saanen einer «dem Anthoni Weren Höüw ab Primillod züglet», also Heu von Primelod (unter dem Staldehore) ins Tal geführt – hier steht das Wort noch unabhängig vom Wohnort, es geht allein um den Transport. Wenn eine Bauernfamilie von einem Wohnhaus zum andern zog, führte sie aber auch den Hausrat und die Viehhabe mit, den Zügel, und ausgehend von diesem Transport hat zügle die Bedeutung «den Wohnort wechseln» entwickelt. Bauern im Mittelland kannten diesen Wohnortwechsel nicht. Es ist daher kein Zufall, dass erstmals im Saanenland vom Zügle die Rede ist. Wer dagegen ebenfalls periodisch umzog, waren Bedienstete. Bei ihnen finden sich auch erste Hinweise auf bestimmte Zügeltermine. Gotthelf etwa schreibt, «mit jeder Weihnacht zügeln sie [die Knechte und Mägde] weiter.» Und auch die Berner Patrizier zügelten früher im Sommer auf ihre Landsitze und im Herbst zurück in die Stadt. Erste Hinweise auf die verallgemeinerte Bedeutung «(unbefristet) in eine andere Behausung ziehen» finden sich ebenfalls im Saanenland: Auf die Klage seiner Frau, seine Behausung sei so schlecht, dass sie nicht bei ihm wohnen könne, wird ein Ehemann 1642 «vermandt, er söli ein Behusung rüsten oder etwan züglen». Im Mittelland ist das Wort erstmals in einem Tagebucheintrag des Thuner Pfarrers Heinrich Stähli (gestorben 1803) von Mitte des 18. Jahrhundert belegt: «Inzwischen wurde Herr Landvogt von Könitz … Heimlicher [Geheimrat] und zügelte nach Bern.» In der östlichen Deutschschweiz taucht es erstmals 1789 im Tagebuch von Ulrich Brägger auf, der von einem Mann berichtet, er sei 1789 «als braver junger Ehmann mit ihr [seiner Braut] nach seines Vatters sl. Heimat gezügelt.» Auch wenn unklar bleibt, woher Brägger dieses klar bernische Wort kannte, noch bevor Gotthelfs Werke erschienen: Seither hat es sich in der ganzen Deutschschweiz etabliert, ist fast zu einem Schibboleth geworden und hat die andern Bezeichnungen dafür arg in Bedrängnis gebracht. (TF)
0 notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 133: Feierabend, Feierabend machen
Wenn die Eltern des Schreibenden ihre Kinder abends langsam im Bett sehen wollten, hiess es: Fiiroggna, sus gits kei Guatnachtgschicht – eine Aufforderung, das Pyjama anzuziehen und die Zähne zu putzen. Jahrelang behaupteten sie, das auffällige Wort komme vom angeblichen Feierabendrock, den man abends anziehe, eben dem Pyjama. Bis die vermeintlich auf die eigene Familie beschränkte Bezeichnung unverhofft doch noch verwandtschaftlichen Anschluss fand: Fiiroggna hat gar nichts mit Röcken zu tun, es ist eine Abwandlung von fiiropna «Feierabend machen». Der Feierabend, Fiiraabe, -aabig, -oobet heisst so, weil er ursprünglich der «Vorabend eines Feiertags» war. Das zeigt sich noch beim englischen evening, dessen archaisch-poetische Form eve als Christmas Eve den Abend des 24. Dezember bezeichnet. Und New Year’s Eve wird der 31. Dezember (und eben nicht der Abend des 1. Januar) genannt. Die Bedeutungsübertragung oder -ausweitung vom «Vorabend eines Feiertags» zur «abendlichen Ruhezeit nach der Arbeit» soll im Sprachgebrauch der Handwerker entstanden sein. Sie hängt wohl damit zusammen, dass am Tag vor kirchlichen Festen früher Arbeits- und Schulschluss ist. In einer Schulordnung aus dem 16. Jahrhundert aus Brugg heisst es etwa, der Lehrer solle «dieselben [die Schüler] vor der vierden stund nit hinlassen, es wären dann vyrabend oder solich zitt und tag, die anders wurden erheyschen.» Als der Zusammenhang mit Feiertagen verloren ging, wurde unklar, warum der arbeitsfreie Abend Feierabend heisst, und regional wurde er zum Füürabend. Vielleicht handelt es sich dabei um eine mehr zufällige sprachliche Veränderung, ähnlich wie die Hiiraat zur Hüüraat wurde. Der entsprechende Band des Schweizerischen Idiotikons von 1881 denkt dagegen an eine Umdeutung in Füür: «Beruht am nächsten wol auf dem Anzünden des Feuers zur Bereitung der Abendmahlzeit». Sicher ist jedenfalls, dass typische Arbeiten zur Vorbereitung der feiertäglichen oder abendlichen Ruhezeit ihrerseits sprachlich auf den Feierabend zurückführen. Fiiraabne bedeutete laut Schweizerischem Idiotikon im Prättigau im 19. Jahrhundert noch «das Haus auf einen Feiertag zurüsten, kehren, scheuern», im nahen Sarganserland auch schon moderner «Feierabend machen». Zwischen Walensee und Chur sowie in Wartau, wo der Abend mehrheitlich Oobet, Òòbet oder Oubet heisst, wird daraus fiiropne (der zweite Vokal wird gekürzt, das -b- zu -p- fortisiert, ähnlich wie man hier auch vielerorts hople statt hoble sagt). Hier bedeutete das Wort Mitte des 20. Jahrhunderts gemäss den Erhebungen für den Sprachatlas der deutschen Schweiz «grosses Reinemachen am Samstag oder im Frühling bzw. Herbst» und «Scheuern von Tischen und Bänken mit Bürste und Wasser, allenfalls mit Sand und Tuffstein». Die erste Bedeutung liegt noch näher beim Feiertag, die zweite kann auch schon die allabendliche Reinigung etwa einer Gaststube meinen. Damit ist aber die Entwicklung des Worts nicht zu Ende: Das ohnehin schon kaum mehr durchsichtige fiiropne wird in Mels und Fläsch zu fiiroggne. Der vermeintliche Zusammenhang mit dem Rock liegt dann nicht mehr fern, denn der heisst just in dieser Gegend eben Rogg. Auch inhaltlich passt diese Umdeutung gar nicht schlecht: Sind die Kinder endlich im Pyjama, haben auch die geplagtesten Eltern Aussicht auf Feierabendruhe. (TF)
3 notes · View notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 132: Das Gspäändli
«Wir befinden uns im Jahr 2020 n. Chr. Der ganze schweizerdeutsche Wortschatz wird vom Schriftdeutschen verdrängt ... Der Ganze? Nein! Ein unbeugsames Wort hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.» René Goscinnys berühmte Einleitung, in der es im Original um ein gallisches Dorf geht, passt auch auf unser schweizerdeutsches Wort Gspäändli, auch «Gspändli» oder «Gspänli» geschrieben – den Gefährten, Kameraden beziehungsweise die Gefährtin, Kameradin. Eigentlich leistet unser Wort nicht einfach «Widerstand»: Es feiert vielmehr ein Comeback. Vor noch nicht allzu langer Zeit galt das Wort als veraltet, aber heute zitiert der «Entlebucher Anzeiger» einen Schüler mit «Es ist cool, meine Gspändli wieder zu sehen», und eine thurgauische Lehrerin weiss: «Eine Sprache zu lernen funktioniert am besten spielerisch und mit einem Gspändli.» Im Handumdrehen ergoogelt man überdies zahlreiche Chindsgi-, Schuel- und Klasse-Gspäändli, das Büro- und das WG-Gspäändli sowie das Freizeit-, Kletter-, Reise-, Skischul-, Sport- und Wander-Gspäändli. Gspäändli ist die Verkleinerungsform von Gspaa(n) oder Gspaane «Gefährte, Kamerad», das aber vom Comeback des Diminutivs nicht hat profitieren können und wohl definitiv verschwunden ist. Woher dieses Wort kommt, ist nicht sicher, es existieren zwei Vorschläge. Nach dem einen ist «Gespan» mit «Gespann» identisch. Man denkt dabei an zwei Fuhrleute, welche die gleiche «Spannarbeit» verrichten (wie das Deutsche Wörterbuch schreibt) oder an zwei Bauern, die über ein gemeinsames Zugtier verfügen (so das Deutsche Rechtswörterbuch). Kulturgeschichtlich interessanter ist der andere Vorschlag, zu dem unter anderem das Schweizerische Idiotikon neigt: Danach steht der Gespan im Zusammenhang mit mittelhochdeutsch spen, spünne und althochdeutsch spunni «Muttermilch, Brustwarze» – ein Wort, das bis heute in Spanferkel «junges, noch saugendes Ferkel» vorkommt. Gespanen wären damit ursprünglich Milchgeschwister gewesen, also nicht blutsverwandte Kinder, die von der gleichen Person – etwa einer Amme – gestillt wurden. Einer sicheren Erklärung steht im Wege, dass das Wort erst relativ spät und anfänglich nur schwach bezeugt ist, nämlich erstens im Lied eines unbekannten Minnesängers, zweitens einem solchen des Obersachsen Heinrich von Mügeln (14. Jahrhundert) und drittens in einem Schweizer Lied von 1386, das der Glarner Ägidius Tschudi zitiert: «Der tüffel ist din span und gfert», also der Teufel ist dein Gespan und Gefährte. Warum nur ist das Gspäändli neuerdings so beliebt geworden? Gspäändli ist neutraler als Fründ, Fründin und umgekehrt persönlicher als Koleeg, Koleegin, und Kameraad, Kameraadin sind mehr als altbacken. Dazu hat es den grossen Vorteil, geschlechtsunspezifisch zu sein – es spricht Männer, Frauen, Intersexuelle und Nichtbinäre gleichermassen an. Überdies eignet sich die Verkleinerungsform nicht nur für Kinder (etwa das Chindgsi-Gspäändli, den/die Mitkindergärtner/in), sondern sie bringt bei Erwachsenen auch eine gewisse freundliche Unverbindlichkeit zum Ausdruck – mein Wandergspäändli ist einfach ein netter Mensch, der mit mir mein Hobby teilt, ohne dass ich gleich mein genaues Verhältnis zu ihm festlegen muss. (CL) (Unter Beizug einer kleinen Wortgeschichte von Hans-Peter Schifferle. – Anmerkung: Nicht zu verwechseln ist unser Gspaan(e) mit dem ostmitteleuropäischen «Gespan», der eine Amtsfunktion hat und welches Wort von slawisch župan bzw. ungarisch ispán stammt. Ebenfalls ein anderes Wort ist «Gespons» oder schweizerdeutsch Gspuusi, der bzw. das auf lateinisch spōnsus, spōnsa «Bräutigam, Braut» zurückgeht.)
11 notes · View notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 131: Die Kartoffel – und warum man im Idiotikon den Kochherd nicht findet
Sucht man im Schweizerischen Idiotikon das Wort «Herd», findet man zwar das gut schweizerdeutsche Häärd mit der Bedeutung «Erde, Erdboden» – aber keine Spur vom Ding, auf dem man kocht: 1890, als der Wortartikel Hërd (wie er etymologisch korrekt angesetzt ist) verfasst wurde, war den damaligen Redaktoren die Bedeutung «(Koch-)Herd» zu modern, um ins Wörterbuch aufgenommen zu werden. Unter den darauffolgenden Zusammensetzungen findet sich immerhin der Füürhërd «Feuerherd», versehen mit der vielsagenden Anmerkung, dass das Wort zwar «eine weitere, aber sehr sporadische Verbreitung» habe und «wohl fast durchwegs als moderner Eindringling zu betrachten» sei. Tatsächlich unterscheiden gewisse Mundarten bis heute zwischen einem Wort mit der einheimischen Lautung Häärd, womit die «Erde», der «Erdboden» bezeichnet wird, und der Importlautung Herd, die für den Kochherd steht. Ältere Schweizer Wörter für die Stelle, wo man kocht, sind Chouscht/Chuuscht, Äschblatte, Füürblatte, Füürstatt, Füürwäärch und Träche. Das erste Wort, Chouscht oder Chuuscht, kommt von mittelhochdeutsch kunst und bezeichnete den neuartigen, «kunstvollen» Herd bzw. Ofen, mit dem man die Wärme viel besser nutzen kann als beim offenen Feuer. Im 19. Jahrhundert war es noch in grossen Teilen der Deutschschweiz das geläufige Wort sowohl für den Kachelofen wie auch für den Kochherd. Die Äsch- oder Füürblatte stand zunächst für den ursprünglichen Herd, nämlich eine erhöhte Sandsteinplatte, auf der das Feuer brannte, über dem wiederum der Kochkessel hing, doch wurde das Wort im ausgehenden 19. Jahrhundert auch für den «gemauerten Herd neuerer Konstruktion, mit Stein- oder Eisenplatte darüber» gebraucht. Die Füürstatt oder Füürschtet stand in erster Linie für die alte, offene Feuerstelle, wogegen das Füürwäärch besonders den gemauerten Herd benannte. Der oder die Träche, Trächo, Trächa, Trächu schliesslich, heute noch im Wallis bekannt, kann sowohl die alte offene Feuerstelle wie den jüngeren gemauerten (aber nicht den modernen) Kochherd bezeichnen. Das Wort gehört zu mittelhochdeutsch trëchen «ziehen, schieben», das in unserem Fall spezifisch das Auseinanderziehen der glühenden Holzkohle meint. Im Alt- und Mittelhochdeutschen hatte hërd beide Bedeutungen, sowohl «Herd» als auch «Erde, Erdboden». Während sich in Deutschland und Österreich die erstere Bedeutung durchsetzte, war es in der Alemannia die letztere. Aber auch vielen heutigen Schweizerinnen und Schweizern dürfte inzwischen nur noch die mit dem Schriftdeutschen übereinstimmende Bedeutung bekannt sein. Für diese Zeitgenossen ist der Härdöpfel – die Kartoffel – die letzte Erinnerung an Häärd im Sinne von «Erde», denn der Härdöpfel oder Häärpfel ist nicht etwa der «Apfel», der auf dem Herd gekocht wird, sondern der «Apfel», der in der Erde wächst. «Herdapfel» ist typisch hoch- und höchstalemannisch, aber schon in der Region Bodensee schliesst der Typus «Erdapfel» an, der im Südosten des deutschen Sprachgebiets, aber auch am Niederrhein üblich ist (vergleiche niederländisch aardappel und französisch pomme de terre). Für die Freiburger, Luzernerinnen, Churerrheintaler und Gurinerinnen ist es hingegen eine «Birne», die in der Erde wächst, weshalb sie von Häppere, Häppiir oder Härperu sprechen. Hierher gehört auch die Grundbire oder Grumpire, die von unserem Wörterbuch für das Schweizerdeutsche des 19. Jahrhunderts noch breit bezeugt wird, seither hierzulande aber ausgestorben ist. Im Vorarlberg, im deutschen Südwesten, im Elsass und im Grossherzogtum Luxemburg ist der Worttypus «Grundbirne» aber bis heute lebendig. Die Norddeutschen sehen weder Äpfel noch Birnen, sondern – nicht viel besser – «Trüffel»: Das Wort Kartoffel stammt nämlich über eine Zwischenstufe Tartoffel von italienisch tartufo «Trüffel». Dass man in einigen südlichen Walserdörfen ebenfalls Triffel oder Trifflu sagt, geht auf den Einfluss des Piemontesischen zurück. Nichts von solchen Phantasien halten die Leute von Schwyz und Uri, die der Knolle Gumel oder noch lieber Gumeli sagen. Woher dieses Wort kommt, ist unklar; das Schweizerische Idiotikon erwägt Umformung aus einem (unbelegten) «Bumeliterr», das seinerseits auf französisch pomme de terre zurückgehen soll, oder aber Bezugnahme auf ein (ebenso unbelegtes) Wort Gumel für etwas Rundes. Dass die Pflanze zuerst auf dem Hof Gummi (Arth-Goldau) angebaut worden sei, verweist es jedenfalls zu Recht ins Reich der Volksetymologie. Einfacher gemacht mit dem Namen dieser importierten Pflanze haben es sich die einstigen Kolonialherren: Sie haben indianische Begriffe übernommen. Kastilianisch patata geht auf das Taíno-Wort batata zurück – dumm nur, dass die Haitianer damit die Süsskartoffel, ein nur weit verwandtes Windengewächs, bezeichneten. Die Lateinamerikaner wissen es besser: Sie haben das – zutreffende – Quechua-Wort papa beibehalten. (CL)
5 notes · View notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 130: Am Schreibtisch mit Büro- und Radiergummis
Ein grosser Teil der Schweizer Angestellten arbeitet heute weder in der Landwirtschaft noch in der industriellen Produktion oder im Handwerk, sondern im Dienstleistungssektor – und von diesen wiederum sehr viele in Büros. Ja, wir sind ein Volk von Bürogummis. Wer allerdings glaubt, die Arbeitskräfte am Schreibtisch hiessen so, weil sie vor dem Einzug der Personal Computer in die Büros ständig mit Gummis Fehler in Texten ausradierten, irrt. Dass sich mit Kautschuk Bleistift entfernen lässt, soll Ende des 18. Jahrhunderts entdeckt worden sein. Aber im Schweizerdeutschen schlug sich diese Art von Gummi erst spät nieder; Band II des Schweizerischen Idiotikons verzeichnet Gummi 1887 nur in den Bedeutungen «Klebstoff, gummi arabicum» und «gummi elasticum», und das allen Schulkindern bekannte Verb gümmele «ausradieren» fehlt noch ganz (auch gümmele im Sinn von «Rennvelo fahren» schaffte es nicht ins Wörterbuch). Vermutlich kannte man das Wort Radiergummi Ende des 19. Jahrhunderts zwar schon, hielt es aber für rein fachsprachlich; den ersten Auftritt hat Radiergummi im Wörterbuch jedenfalls erst 1905 in einer Sachbezeichnung für Ribeli: «beim Reiben beschriebenen Papiers mit einem Radiergummi entstandenes Teilchen». Das Wort Gummi stammt übrigens über lateinisch cummi und griechisch kómmi aus dem Ägyptischen, wo es ein Harz bezeichnete. Der Bürogummi aber ist etwas ganz anderes, nämlich der französische commis de bureau, schlicht ein «Büroangestellter» oder «Bürogehilfe». Commis leitet sich ab von commettre und dieses vom lateinischen committere «anvertrauen, beauftragen». Ein aus der heutigen Berufswelt weitgehend verschwundener Bruder des Bürogummis war der einfache Gummi, der «Handelsreisende», laut Eintrag im Wörterbuch «eine vom Volke nicht gerade hoch taxierte moderne Charakterfigur», wohl wegen ihrer typischerweise anbiedernden Art: Die Zürcher Redensart de Gummi mache bedeutete jedenfalls «vorwitzig dienstfertig sein». Im Schweizerdeutschen sicher auch kein sehr altes Wort, ist dieser Gummi im Gegensatz zum Radiergummi in Band II des Schweizerischen Idiotikons immerhin mit Belegen aus dem 19. Jahrhundert verzeichnet. Dass das unaspirierte romanische C im Wortanlaut im Schweizerdeutschen zum G wurde, ist für die meisten Dialekte normal, wie Wörter wie Gaggo und Gaffi (neben Kafi) zeigen. Auch die Hebung des französischen o vor Nasallaut zu u kennt viele Parallelen, etwa Unggle für Onkel und Gumfi für Konfitüre. Und so fallen die Namen für das Material und für den Bürolisten lautlich zusammen, was, so das Idiotikon, «dem Begriffe [des Commis] eine mehr oder weniger gefühlte komische Färbung» gibt. Obwohl ursprünglich also eine französische Berufsbezeichnung für einen Beauftragten, liegt es nahe, sich den Bürogummi als jemanden vorzustellen, der mit dem Radiergummi hantiert, weil Büroangestellte naturgemäss häufig schreiben und das früher eben meist von Hand geschah – auch wenn heutige Bürogummis weder eine schöne Handschrift brauchen noch notwendigerweise kleine Angestellte sind. (TF)
3 notes · View notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 129: Rebbergarbeit im März: Spälte, Stäckespöö und Spööschifere
Der März ist die Zeit, in der in den Weinbergen traditionell die Stickel, Sticklig oder Räbstäcke geprüft und gegebenenfalls ersetzt werden: Die hölzernen Pfähle aus Holz der Familie der Kieferngewächse (Pinaceae), an denen die Reben festgebunden und dressiert (erzogen) werden. Zum Überprüfen werden die Stecken aus dem Boden gezogen; mit einem Schlag wird festgestellt, ob die Spitze gefault ist (dann erzeugt der Schlag einen dumpfen Ton). In diesem Fall wird sie abgeschlagen und der Stecken erneut gespitzt. Dieser Vorgang wiederholt sich so viele Jahre, bis die Stangen zu kurz sind und ersetzt werden müssen. Den Kreislauf der Stickel beschrieb der Zeitungsredaktor Alfred Keller (1882–1962) aus Rüdlingen im Kanton Schaffhausen in einem Manuskript, das ins Material des Schweizerischen Idiotikons eingereiht ist und aus dem wir hier einen Auszug einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen: «Bevor die Bauern Stäckeholz (Spälte) auf der Gant im Wald kauften – meist föörigs [aus der Unterfamilie Pinoideae] – gingen sie hin, sahen genau nach und probierten es wohl auch, ob das Holz gut spalte. War dies nachher nicht der Fall, so war man iegheit oder aagschmiert und es hiess, es sei z vil i d Spöö gfalle [es fielen also beim Herstellen der Stecken aus dem Holz zu viele Späne ab, es gab zu viel Verlust]. Jetzt machen die Bauern ihre Rebstecken nicht mehr selber, sondern sie lassen sie fräsen (meist nur noch aus tannenem Holz [aus der Unterfamilie Abietoideae]). Die neuen gefrästen Stecken halten aber nicht halb so lang wie früher die föhrenen und selbstgemachten. Einem chienige Stecken [wohl aus Holz der Waldkiefer, einer Art der Pinoideae] wurde gar ein ewiges Leben zugesprochen. Früher gab es auch eichene Rebstecken, doch sind sie jetzt ganz verschwunden.» Wie wichtig die Holzwahl für die Stecken ist, betonen auch andere Quellen. Neben Föhren- gilt Lärchenholz (aus der Unterfamilie Laricoideae) als besonders beständig, beide sind aber auch teuer. Mitte des 20.&nbps;Jahrhunderts wurden daher in der östlichen Deutschschweiz fast ausschliesslich Tannenhölzer als Rebpfähle verwendet. Und sie wurden zunehmend nicht mehr selbst hergestellt: Die Weinbauern am Zürichsee wurden von Steckenmachern im Zürcher Oberland beliefert, und jene in der Bündner Herrschaft bezogen ihre Stickel von Herstellern in Vättis im Taminatal. Weiter berichtet Keller über die Bearbeitung der Stecken: «In Rüdlingen unterscheidet man zwei oder drei Arten Stäckespöö. Die ersten zwei entstehen beim Machen der neuen Rebstecken, und zwar beim Spalten die grobe Spööschifere und beim Abziehen [Glätten] mit dem Schnidmesser und beim Spitzen die reine. Sie werden zum Anfeuern benutzt (i der Chust, im Ofe, besonders beim Backen und Weggle als Bläs [brennende Scheitchen, mit denen man beim Einschiessen des Brots den Backofen beleuchtet]) … Stäckespöö gibt es auch beim Stoosse, wenn die alten Rebstecken mit dem Gertel nachgespitzt oder neugespitzt werden. Diese [direkt im Weinberg anfallenden] Spöö und Spitz müssen sorgfältig aufgelesen und aus den Reben entfernt werden; man sagt, es gebe Uzifer, Wurmeusle [Ameisen] und Pilze, wenn man sie underehacki.» Gewandelt haben im Lauf der Zeit nicht nur die Stecken, sondern auch die Art des Rebenaufbindens: Im Deutschwallis soll diese Art der Rebenzucht überhaupt erst im 20. Jahrhundert aufgekommen sein. Davor liess man die Reben unbehindert dem Boden entlang wachsen. Wo man aber Stickel kennt, standen diese ursprünglich unverbunden. Wenn man die Bänder, mit denen die Reben festgebunden waren, löste, konnte man die Stangen auch schon im Herbst herausheben und die Pflanzen ablegen und bedecken, um sie vor Frost zu schützen. Erst später wurden die Stickel mit Draht verbunden und die Reben daran aufgezogen. Wer heute durch Schweizer Rebberge geht, wird kaum noch eine hölzerne Stange finden; sie wurden durch robustere eiserne Einrichtungen ersetzt – gut, dass heute auch kaum noch jemand Stickelspäne zum Beleuchten des Backofens braucht. Nur vermeintliches Pech allerdings für die Rüdlinger Kinder. Ihnen versprach man nämlich früher, wenn sie fleissig das «Spöö- und Spitz-Ufläse» besorgten, «so dürften sie an den Eglisauer Chindlimärkt (erster April)» – heute können sie nicht mehr mit diesem Versprechen veräppelt werden. Ebenso verschwunden ist der Stickelmarkt in Bad Ragaz, wo die Vättner ihre Ware den Herrschäftler Bauern anboten: Er ist zum profanen Frühlingsmarkt geworden. Der März ist daher nur noch bedingt der Monat, in dem die Rebstecken überprüft werden: Diese Arbeit ist schlicht nicht mehr jährlich nötig. (TF)
2 notes · View notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 128: «Galangger», «Venediger» und andere «Zigüüner»
Am 9. Februar 2020 wird im Kanton Bern über einen Transitplatz für ausländische Fahrende abgestimmt, und die Emotionen gehen hoch: Hier die rechtliche Verpflichtung, genügend Stellplätze zur Verfügung zu stellen, auch mit der Absicht, «wildes Campieren» von Fahrenden zu verhindern. Dort Vorbehalte in weiten Teilen der Bevölkerung, die auf Erfahrungen mit zurückgelassenem Abfall beruhen und auch auf antiziganistischen Vorurteilen. Solche Vorurteile gibt es wohl, seit Fahrende durch die Schweiz und Europa ziehen. Zu den tief verwurzelten Klischees gehört etwa die Vorstellung, wer bald weiterziehe, stehle auch Kinder. Zwangseinbürgerungen im 19. Jahrhundert und die Kindeswegnahme als administrative Zwangsmassnahme im 20. Jahrhundert sind bekannte und schlimme Auswüchse dieser Vorurteile. Bei aller Abneigung der sesshaften Bevölkerung gegen Fremde und Fahrende unterhielten diese Gruppen immer Geschäftsbeziehungen; die einen profitierten und profitieren vom Handwerk und den Dienstleistungen der andern. Entsprechend zahlreich sind die Einträge für fremde Händler im Schweizerischen Idiotikon. Diese waren teils nur saisonal unterwegs und kehrten immer wieder an ihren Herkunftsort zurück: Der Augsttaler «Krämer, Hausierer» war zuerst ein «Bewohner des Aostatals», das deutsch Augsttal heisst, die Galangger «herumziehende Leute, die sich mit allerlei Gewerbe oder auch mit Bettel ernährten», kamen zumindest ursprünglich aus dem Calancatal, und die Bezeichnung Grischeneier für «Krämer mit Südfrüchten und Spezereien» geht auf Gressoney im Aostatal zurück. Schon beim Galangger zeigt sich die Ablehnung dieser Lebensweise und die Verknüpfung von «(handelnd) herumziehen» mit «(ziel- und sittenlos) vagabundieren»: Er ist eben nicht nur ein «Gewerbetreibender (aus dem Calancatal)», sondern auch ein «Schlendrian (egal woher)». Aus dem südfranzösischen Cahors, einem Bankenzentrum des 13. Jahrhunderts, stammt der im Dialekt längst ausgestorbene Gawertschi «Geldwechsler, Bankier», aus der Lombardei, dem Ursprungsgebiet des modernen Bankwesens, der Lamparter «Geldwechsler», auch «Steinarbeiter» und «Metzger, der in der Deutschschweiz Vieh aufkauft». Der Gawertschi ist aber nicht nur ein «Geldwechsler», sondern auch ein «Wucherer». Hier berühren sich Vorurteile gegen aus der Fremde Zugezogene mit Vorurteilen gegen Juden, die ebenfalls im Geldverleihgeschäft tätig und als Wucherer verschrien waren. Weniger auf konkreten Personen als auf dem norditalienischen Reichtum am Ende des Mittelalters beruht wohl die Sagenfigur des Venedigers «Schatzgräber; Metallarbeiter, der in geheimnisvoller Weise das Gebirge nach Gold durchsucht und dann wieder verschwindet, nachdem er Einheimische als Führer benutzt und reichlich belohnt hat». Der Venediger ist aber in Amden auch ein «Tausendkünstler, fahrender Quacksalber, Kräuterhändler, Kleinkrämer aus Italien» – vielleicht spielt hier auch der Neid auf dessen (mehr geschäftliche als fachliche) Fähigkeiten hinein? Ein Walch ist ein Romane und spricht je nach Herkunftsregion französisch (oder frankoprovenzalisches Patois), italienisch (oder lombardischen Dialekt) oder rätoromanisch. So heisst aber auch eine «Arbeitskraft in Handwerk und Landwirtschaft» (so in Nufenen und Issime) oder ein «fahrender Händler». Wie es um sein Prestige steht, zeigt sich am Spruch bist an grobbe Walch, mit dem man in Issime jemanden beschimpfen kann. Keine genauere Angabe zur Herkunft gibt es beim Granitzler «mit Kleinwaren, Nippsachen hausierender Krämer; Schmuggler». Die Bezeichnung ist verwandt mit dem Wort Grenze, das einer slawischen Sprache entstammt. Schliesslich ist eine generelle und undifferenzierte (Fremd-)Bezeichnung für «Angehörige fremder, meist nicht sesshafter Volksgruppen» Zigüüner. Vorurteilsbehaftet wird das Wort auch für einen «unsteten, unordentlichen Menschen; Herumtreiber» verwendet. Wie sehr man Fahrenden unangemessenes Verhalten unterstellt, zeigen Aussprüche wie Chunst derthär wie-n-e Zigüüneri! (Rüdlingen) und Suuberi Gwandig und kei Zigüünerzüglete wil i ha, verstande? als Befehl eines Truppenkommandanten (Flums). In einem Text aus dem 17.Jahrhundert heisst es gar: Es siga a Schar wiesti uflätigi, rotzigi garstigi Jüdli uß Befelch deß stoltza Junchern Königs Herodis daher cho mit Knebelbärta as wie Türgga, schwartzruossige Angsichter wie d Kemifäger, langi Hor wie Ziginer und Heida, asa grosse Diebs-Händ wie d Schwartzwälder, Nägel wie d Rotgerber, Auga wie Pfluogrädli, mit eim Wort a böß verfluocht beltzibuobisch Gschlächt – hier werden von Angehörigen bestimmter Berufe über Andersgläubige bis zu Fremden diverse Bevölkerungsgruppen in einem einzigen grossen Vorurteil vereint. Vorurteile gegen «Fremdes» treten in jeder Gesellschaft und Sprache auf. Gut, sich zwischendurch ein paar Gedanken dazu zu machen! (TF)
1 note · View note
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 127: Näbel, Ribel, Säbeli und Züribaabi – Wörter für den Rausch
Redaktion und Mitarbeitende des Schweizerischen Idiotikons hoffen, dass alle Freundinnen und Freunde des Wörterbuchs das neue Jahr gut angefangen haben! Bei der einen oder dem andern könnte bei den vergangenen Festtagen vielleicht ein Gläschen zu viel der Feierfreude dabei gewesen sein. Hoffen wir, dass es beim Näbel geblieben ist, wie der «leichte Rausch» manchenorts auch genannt wird, wohl weil er den Geist vernebelt. Bei Gotthelf heisst es: «Man hat Beispiele, dass Menschen, welche viel essen und regelmässig des Abends mit einem kleinen Nebel zu Bette gehen, dessen ungeachtet sehr rührig sind, wenig Schlaf bedürfen, wenn sie auch des Abends die Allerletzten zu Bette gegangen, dennoch des Morgens wieder wecken und die ersten auf den Beinen und den ganzen Tag an allen Orten sind, als ob sie Flügel hätten.» Ja, die Schweizerinnen und Schweizer sind ein trinkfreudiges Volk. Wir wollen den Alkoholgenuss nicht verharmlosen; wie verbreitet das Rauschtrinken aber war und ist, zeigt sich an den vielen Namen der Trunkenheit. Die Benennungsmotive reichen von humoristisch über verharmlosend bis verhüllend. Besonders viele Bezeichnungen sind übrigens vom Lindenberg zwischen See- und Reusstal überliefert, was nicht heisst, dass dort ein besonders trinkfester (oder eben nicht) Menschenschlag zuhause sei; es ist wohl eher der Effekt eines fleissigen, wenn auch anonymen Sammlers entsprechender Benennungen. Aus St. Gallen ist der Euphemismus illuminiert für «betrunken» überliefert, wörtlich «erleuchtet». Der ehemalige Maienfelder Pfarrer Emil Marty teilte 1905 mit, dort heisse ein «Rausch in gemütlichem Stadium»[!] Ribel. Das Schweizerische Idiotikon hält das für eine Übertragung des gleichen Worts in der Bedeutung «am Hinterkopf kreisförmig aufgewundene Haare» – weil es einem im Zustand der Trunkenheit im Kopf dreht? Dass der «leichte Rausch» in Schwyz Kapuziinerli genannt wird, andernorts auch Jesuitli, stammt angeblich vom «Biercomment der Studenten, wo die verschiedenen Grade von Biercapacität [der Angehörigen von Verbindungen] nach den Graden der Hierarchie benannt werden». Vielleicht spielt aber die Übertragung auch nur darauf an, dass katholische Geistliche im Gegensatz zum einfachen Kirchenvolk im Gottesdienst Messwein trinken? Die Wirkung des Alkohols thematisiert die an verschiedenen Orten bekannte Bezeichnung Schwätzer für einen «leichten Rausch, der sich in ungewohnter Beredsamkeit äussert». Sie äussert sich auch im Zungetatterich, wie in Basel die «schwache Lähmung der Zunge im Zustand der Trunkenheit» heisst. In Glarus, im Gasterland und in Ausserschwyz wird der Rausch dagegen der Heer genannt, weil der Alkohol den Berauschten beherrscht. Ein «leichter Rausch» mag angenehm sein, kippt aber rasch ins Schmerzhafte. In Engelberg wird er dann Säbeli genannt, weil er «sticht wie ein Säbel». Und der Brand ist eine «Entzündung», aber eben auch ein «starker Rausch» – wobei man selbst das noch scherzhaft ausdrücken kann, zum Beispiel mit der Zürcher Redensart Der Herr Brändeli ischt zue-n-em choo «er ist angetrunken». Tut es richtig weh, wird auch einmal geflucht. Manchenorts wird der «Rausch» dann als Chätzer betitelt, eigentlich «Häretiker». Am Lindenberg nennt man ihn auch Kanalie, eigentlich ein «rohes Schimpfwort auf eine liederliche oder böse, streitsüchtige Weibsperson», in Graubünden dagegen Häx. Personalisiert (und damit vielleicht zumindest terminologisch auch entschärft) wird der «starke Rausch» in Amden unter dem Namen Ferdi – vermutlich ursprünglich nicht vom Vornamen abgeleitet, sondern von Fert «Fuhre, Ladung». Und wenn die Vermutung des Idiotikons zutrifft, heisst der «Rausch» in Sempach Züribaabi, weil man ihn vom Markt in Zürich mitbringt. Das Schweizerische Idiotikon wünscht allen Befreundeten, dass 2020 holops angefangen habe und auch weiterhin so verlaufen möge, nämlich «munter, lustig, hüpfend, ohne Mühe». Und wenn dabei der eine oder andere Holops resultiert, sind wir froh, dass damit in Luzern lediglich ein «leichter Rausch» bezeichnet wird. (TF)
0 notes
wortgeschichten · 4 years
Text
Wortgeschichte Nr. 126: Herr Füegli und Miss Right
Onlinedating ist die moderne Form des Kontaktknüpfens mit der Absicht, eine Beziehung einzugehen – ein Profil auf einer Plattform ersetzt dabei die gedruckte Kontaktanzeige. Aber nicht nur die Technik unterliegt einem Wandel, auch Sprache entwickelt sich immer weiter, und so unterscheidet sich die Ausdrucksweise solcher Profile von jener klassischer Anzeigen: Da kann man etwa häufiger lesen, Mister oder Miss Right seien gesucht, der oder die Richtige. Kaum noch die Rede ist dagegen von Eheanbahnung, zumal die Beziehung ja auch viel unverbindlicher bleiben kann. Das illustrieren auch Mister und Miss Right now, nämlich Personen, mit denen man sich (sexuell) vergnügen will: sofort (und nicht notwendigerweise mit der Absicht der Wiederholung). Im Deutschen waren die Anglizismen Mister und Miss Right bis vor Kurzem ungebräuchlich. Der Oxford English Dictionary definiert sie als «the right person, the destined husband or wife» und führt als Erstbeleg «I suppose I'm not the Mr. Right of her affections» aus einem Text von 1860 an. Nicht verloren gegangen ist im Lauf der Zeit aber die Idee der einen, richtigen Person fürs Leben. In St. Gallen und in Appenzell nannte man diese «angenehme Person» scherzhaft auch Füegli, etwa in der Redensart Der Herr Füegli (oder: ds Füeglis Tochter) chunnt spoot, was so viel bedeutet wie «der geeignete, passende Freier (oder die Braut) kommt spät zum Vorschein» – so gebraucht vielleicht von den Eltern einer Person im heiratsfähigen Alter, die sich mit der Partnerwahl zu viel Zeit liess oder zu anspruchsvoll war. Dieser missbilligende Ton schwingt in der Suche nach Mister und Miss Right natürlich nicht mehr mit. Der sprichwörtliche Füegli lehnt sich vielleicht an tatsächlich existierende Familiennamen an: Schon im 16. Jahrhundert ist in Basel ein Hans Füeg belegt, und heute noch gibt es die Solothurner Familie Füeg und den Richterswiler Namen Fügli (ausgesprochen Füegli). Wie diese Namen beruht Herr Füegli auf dem Adjektiv füeglich «wohlgefällig, angenehm, passend, angemessen, hübsch». Das Adjektiv seinerseits ist eine Ableitung von Fueg «glückliche Fügung» bzw. von füege «(z. B. Bretter) aneinanderpassen, passend verbinden». Schon in einem Bruderklausenspiel von 1601 wird füege bildlich für die Verbindung zweier Menschen durch die Ehe verwendet, wenn die Eltern des Paars «jren pfarherren heissendt kon, der beide zuosamen verfüeg». Ebenfalls in die Wortfamilie gehört das standarddeutsche Fuge «Verbindungsstelle zweier passender Teile». Letztlich ist also trotz allen Unterschieden des Sprachgebrauchs Herr Füegli dasselbe wie Miss Right: eine Person, die passt, wenn auch weniger im physischen als im emotionalen oder sozialen Sinn. (TF)
0 notes
wortgeschichten · 5 years
Text
Wortgeschichte Nr. 125: Heimweh
Angeblich ist das Heimweh die Nationalkrankheit der Schweiz – höchste Zeit, ihm eine Wortgeschichte zu widmen! Die frühesten Belege für «Heimweh», die das Schweizerische Idiotikon zitiert, stammen aus dem 17. Jahrhundert. In einer Sammlung von Scherzreden aus dem Jahr 1651 heisst es: «[Andere,] die auch ußert dem Vatterland sind, als da sind Soldaten und Handtwercksgesellen, [...] kömm etwann das Heimwee so starck an, daß si daran sterbind.» Interessant ist ein Eintrag in den ab 1667 verfassten Lebenserinnerungen des Toggenburgers Alexander Bösch, der in den 1630er-Jahren als junger Mann in Zürich Theologie studierte: «Glych am Anfang, als ich gen Zürich kamm, veillycht wegen Heimwehes und weil ich der Spyß nit Gewohnnet hatte, ohne Milch sein müeßt, bin ich in ein schwäre Krankheit gefallen» – ein Hinweis darauf, wie verschieden die Ernährung damals in Stadt und Land war. Zum Glück gibt es für fast alles ein Gegenmittel. Die eine Möglichkeit ist, sich am neuen Ort ein Paar Schuhe zu erstehen. Das wusste ein Basler 1762: «Hattet ir nummen e bar Schue am Ort machen lo, s Heimwe wäri gly vergangen.» Die andere Möglichkeit ist, Agetebroot in das Gewand einzunähen oder in die Tasche zu stecken, also am Agathatag (5. Februar) oder am Vorabend gebackenes und (so man katholisch ist) anschliessend geweihtes Brot. Die heilige Agatha hilft nämlich nicht nur gegen Feuer, sondern schützt auch ganz besonders die Gesundheit von Mensch und Tier. Brot ist überhaupt ein Wundermittel: In Horgen kann man beispielsweise jemanden wie folgt dazu bringen, sich in einen zu verlieben: «Man nehme zwei bis drei Stücklein Brot, trage dieselben einige Tage unter den Armen, bis sie von Schweiss durchdrungen sind, und suche sie dann der geliebten Person unter die Speise zu mischen.» Aber wir kommen vom Thema ab ... Das Wort «Heimweh» selbst muss man kaum erklären. «Weh» war in der älteren Sprache freilich viel geläufiger als in der modernen. Noch heute bekannt sind etwa das Kopfweh (das allerdings von den Kopfschmerzen bedrängt wird), das Fernweh (als Gegenwort zum Heimweh) sowie die Wehen (wörtlich die Schmerzen, die eine Gebärende hat). Wohl vergessen sind hingegen die Bezeichnungen (d)s falled («das fallende») oder s böös Weh für die Epilepsie, (d)s chalt Weh für einen mit Schüttelfrost verbundenen fiebrigen Krankheitszustand bzw. die früher auch in der Schweiz beheimatete Malaria, ds trinked Weh für das Delirium tremens und ds wild Weh für die Tobsucht. Ob Brot auch gegen alle diese Probleme hilft, weiss der Schreibende leider nicht. (CL)
5 notes · View notes
wortgeschichten · 5 years
Text
Wortgeschichte Nr. 124: Si isch sich nid z verrichta koo
Wenn Isabelle mit Nicole und Madlaina fürs Kino abgemacht hat, am Treffpunkt aber nur Madlaina antrifft und diese fragt, wo denn Nicole bleibe, so antwortet Madlaina vielleicht: «Si isch sich nid z verrichta koo» – und Isabelle, sofern sie keine Bündnerin ist, wird nur Bahnhof verstehen. Die Redewendung sich nid z verrichta koo, eigentlich eher eine feste Wortverbindung, besteht zwar aus lauter Wörtern, die jedes Kind versteht, aber in der Kombination löst sie Unverständnis aus. Ausser in Graubünden, wo sie heute noch gang und gäb ist. Das Schweizerische Idiotikon führt sie 1905 beim Verb verrichte für den Rheintaler Dialekt von Maienfeld an und gibt als Bedeutung «sich nicht zu helfen wissen». Als Beispielsatz bringt es aus dem Walserdialekt von Davos Iez warte wer afa ghand en halbi Stund, und Chindschi verzüht noch albig; er chund schi gwüss nid z verrichte «kommt gewiss nicht dazu, sich fertig zu machen». In seinem neueren Herrschäftler Mundart-Wörterbuch von 1999 definiert Hans-Peter Gansner die Wortverbindung mit «unbeweglich, unbeholfen sein», und im Davoserdeutschen Wörterbuch von Martin Schmid und Gaudenz Issler von 1982 steht als Beispiel D Nepööti gchund schi nid z verrichte z gaa «Meine Nichte kann sich nicht anschicken zu gehen», im Rheinwalder Mundartwörterbuch von Christian und Tilly Lorez-Brunold von 1987 Der Chrischta het welle verreise, aber er ischt schi nit z verrichte gcho «Christian wollte verreisen, aber es gelang ihm nicht, sich zu rüsten». Sich nid z verrichta koo meint also etwa «sich zu etwas nicht recht entschliessen können» bzw. «einen Plan, eine Absicht nicht umsetzen, weil man vorher noch anderes erledigen muss» oder noch eher «etwas nicht in Angriff nehmen, weil man sich selbst gegenüber vermeintliche Hinderungsgründe vorbringt», und wenn man von jemandem sagt, är keemi sich nid z verrichta, so hat das meist auch einen etwas tadelnden Unterton. Und woher kommt diese sehr spezifische Bedeutung? Sie ist eine Verknüpfung zweier ihrerseits besonderer Wortverwendungen. Einerseits wird das Verb verrichte in der ohnehin veralteten Bedeutung «bereit, fertig machen, rüsten» nur in Graubünden auch reflexiv gebraucht, also sich verrichta «sich rüsten, fertig machen; sich entschliessen» (Idiotikon VI 430, Bedeutungsziffer 8b). Aus einer Churer Wörtersammlung von Wolfgang Killias (1794–1868) zitiert das Idiotikon etwa I kann mi nit verrichta z schriiba. Andererseits wird das Verb choo, koo «kommen» bzw. seine präfigierte Form gchoo (vgl. die Beispielsätze aus den Walserdialekten – in den Dialekten mit dem typischen k- statt ch- ist der Unterschied lautlich nicht feststellbar) teilweise auch zusammen mit zu und einem Infinitiv verwendet, und zwar ebenfalls insbesondere, wenn auch nicht nur in Graubünden (Idiotikon III 269, Bedeutungsziffer II 2 2) a γ; III 280, Bedeutungsziffer 3 mit Verweis auf II 49, Bedeutungsziffer II C 5 h): Mer kumend das Emt nit z heimscha, vom Idiotikon ohne Bedeutungsangabe gedruckt, heisst wohl «wir schaffen es nicht, dieses Emd (rechtzeitig) heimzuführen», und aus Davos ist ds Bluet z gstella choo überliefert, «das Blut stillen», und zwar resultativ im Sinn von «damit zu Stande kommen, vermögen es auszurichten». Entsprechend kann man in Graubünden etwa klagen «Das kum i nid au no z macha!», also «Das kann ich nicht auch noch erledigen, das schaffe ich nicht auch noch!» Sich nid z verrichta koo erklärt sich damit als Kombination von zu + Infinitiv + (ge)kommen, etwa z macha koo «zustande bringen», und reflexivem sich verrichta «sich rüsten, sich entschliessen» – Si isch sich nid z verrichta koo «sie konnte sich nicht entschliessen, mitzukommen» ist als Wortverbindung so prägnant und eindeutig, dass Bündnerinnen und Bündner Schwierigkeiten haben, ihre Bedeutung zu erklären, wenn sie damit auf Unverständnis stossen. (TF)
6 notes · View notes
wortgeschichten · 5 years
Text
Wortgeschichte Nr. 123: Kanton
Für die Schweizer Gliedstaaten gab und gibt es viele Namen: Stadt, Land, Ort, Stand, Staat – und natürlich Kanton. – Die früheste offizielle Bezeichnung für die Glieder der Eigenossenschaft war «Stett und Lender». > Stadt kann man heute nicht mehr auf einen Kanton anwenden, da die damaligen Reichsstädte Zürich, Bern, Luzern usw. heute nur noch gewöhnliche Gemeinden sind. > Land lebt hingegen in einigen Kantonen weiter, die eine «Landsgemeinde», einen «Landrat», einen «Landammann», einen «Land(es)statthalter», einen «Landschreiber», ein «Landgericht», ein «Landesarchiv», eine «Landesbibliothek» haben. – Ort, ein zusammenfassender Begriff für die «Städte» und «Länder», findet sich erstmals 1426 in einem Zürcher Ratsbeschluss. Heute wird er nur noch historisch verwendet, beispielsweise in den Begriffen «achtörtige» und «dreizehnörtige Eidgenossenschaft». – Im 16. Jahrhundert kommt als ebenfalls neutraler Begriff für «Stadt» und «Land» der Begriff Stand auf – am beliebtesten war er im 18. Jahrhundert. Heute lebt «Stand» einerseits in der Formel «Volk und Stände haben entschieden ...», im «Ständemehr» und im «Ständerat», anderseits in der «Standeskommission», der «Standeskanzlei», dem «Standespräsidenten» und dem «Standesweibel» gewisser Kantone fort. Stand ist eine Ableitung von althochdeutsch stān oder stēn «stehen» und bedeutet eigentlich «Zustand» beziehungsweise spezifischer «Rechtszustand, politisches Gemeinwesen». – Staat kennen wir in zahlreichen Begriffen wie «Staatsanwalt», «Staatsarchiv», «Staatsbeitrag», «Staatskanzlei», «Staatspersonal», «Staatsrat», «Staatsschreiber», «Staatssteuer», «Staatsstrasse» oder «Staatsweibel», was sich alles auf den Kanton und nicht etwa auf den Bund bezieht. Staat ist das lateinischstämmige Pendant zum deutschstämmigen Stand: Es ist eine Ableitung von stāre «stehen» und bedeutet somit ebenfalls «Zustand, Rechtszustand, politisches Gemeinwesen». Ins Deutsche ist das Wort aus dem Italienischen, Französischen und Niederländischen gelangt; mit Bezug auf die Schweizer Kantone ist es aber im Wesentlichen erst nach 1800 anzutreffen. – Der Begriff Kanton wurde, aus der Westschweiz kommend, seit dem späten 17. Jahrhundert auch in der Deutschschweiz immer populärer; offiziell wurde er 1798. Diesem Wort, das eine recht verschlungene Geschichte hat, sei unsere Wortgeschichte im Folgenden gewidmet. Das früheste Zeugnis für die Verwendung von «Kanton» beziehungsweise «canton» für einen eidgenössischen «Ort» stammt aus einer Freiburger Akte von 1475 (nach einer andern Quelle gibt es schon einen von 1467). Am Anfang von «Kanton» steht aber lateinisch canthus, was «Radreifen» bedeutet – ein Wort, das ursprünglich wohl dem Keltischen angehörte. Später wurde die Bedeutung «Reifen» über die Zwischenbedeutung «Reifenrand» zur ganz allgemeinen Bezeichnung für den «Rand» überhaupt – eine Bedeutung, die als canto im Italienischen, Spanischen, Portugiesischen sowie als Lehnwort auch im Deutschen (Kante) und Niederländischen (kant) zu finden ist; auch im Kanton Graubünden wimmelt es nur so von cons, die auf Kanten und Anhöhen im Gelände Bezug nehmen. Vom «Rand» ausgehend, kann ein canto aber auch eine «Ecke», ein «Winkel» und schliesslich ein «Stück», ein «Teil» sein. Ein grosser canto ist ein cantone, und in dieser Form dient das Wort in Oberitalien seit dem 11. Jahrhundert zur Bezeichnung eines «grossen Stücks Landes» oder besser eines «Landesteils». Die Norditaliener brauchten cantone aber nicht nur für ihre eigenen Landesteile, sondern auch für diejenige der damaligen schweizerischen Eidgenossenschaft, und es waren wohl lombardische Kaufleute, die das Wort schliesslich im 15. Jahrhundert nach Freiburg und Genf brachten, wo es als canton ins Französische und von hier schliesslich als Kanton ins Deutsche gelangte. (CL)
4 notes · View notes